Gluten: Der Feind in meinem Brot

Ein Glückstreffer?

Hipster-Hype, Health-Hystery – wer jüngst auf eine glutenfreie Ernährung schwor, sah sich oft mit dem Vorwurf konfrontiert, auf Panikmache hereinzufallen und sich finanziell vorführen zu lassen. Die Verbraucherzentrale Hamburg etwa stieß bei der Marktanalyse auf ein Schwarzbrot, gluten- und laktosefrei, das um mächtige 383 Prozent teurer war als vergleichbare gewöhnliche Brote.
Zweifelsohne ist ein Free-from-Hype zu verzeichnen, dem auch viele Menschen folgen, die gar keine gesundheitlichen Probleme mit Weizen & Co. haben: Glutenfrei ist beinahe zum Synonym für gesundheitsbewusst evolviert. So manche*r setzte ergo jüngst entnervt zu wahren Hymnen an auf unser täglich Brot, geformt aus wertvollem Weizenmehl. Die Glutenfrage wurde zum Schauplatz ganzer Glaubenskriege. Während Stars mit Hang zur Selbstoptimierung wie Gwyneth Paltrow für Glutenverzicht als Diät warben, fuhren sie von abgebrühteren Kolleg*innen wie Jennifer Lawrence herbe Kommentare ein: Diese Glutenphobie sei nichts weiter als der neueste Essstörungstrend. Und auch manch Mediziner*in wetterte, Glutenunverträglichkeit sei eine kollektive Hysterie. Zweifelsohne ist es richtig, wenn die Gesellschaft eine Ernährungsmode auf ihren Nutzen hinterfragt. Doch die jüngsten Erkenntnisse lassen vermuten, dass da wohl, im Zuge des Glutenfrei-Hypes, so manche*r einen Glücksgriff tat. Sollten tatsächlich bis zu zwölf Prozent der Bevölkerung an Weizensensitivität und/oder Reizdarm leiden, wie es Forscher annehmen, kommen die Betroffenen mit einem Verzicht auf glutenhaltige Produkte sozusagen „versehentlich“ besser weg. Und zwar selbst dann, wenn Gluten gar nicht die Ursache ist, sondern nur gemeinsam mit den eigentlich problematischen Stoffen in Getreideprodukten enthalten ist.

Weitere Verdächtige

Neben ATIs und Gluten gibt es noch eine dritte Stoffgruppe, die in Sachen Verdauungskrankheiten in dringendem Verdacht steht: FODMAPS, kurz für Fermentierbare Oligo-, Di- und Mono-Saccharide und Polyole. Hinter der komplizierten Namensgebung verstecken sich komplexe Zuckermoleküle und mehrwertige Alkohole. Für die spezifischen Entzündungen, die im Zusammenhang mit Weizensensitivität beobachtet wurden, sind FODMAPs nicht verantwortlich. Doch so mancher Dünndarm hat seine Schwierigkeiten mit ihrer Verdauung. Gelangen sie dann in den Dickdarm, machen sich Bakterien begeistert darüber her, fermentieren sie – und so kann es zu Blähungen und Durchfall kommen. Vielen Reizdarmpatient*innen bereiten diese Stoffe Probleme. Eine Diät kann helfen. Auch Patrizia fühlt sich damit nach einigen Monaten wesentlich besser. „Das Dumme ist nur, dass FODMAPS auch in Früchten, in vielen Gemüsen und anderen Getreideprodukten enthalten sind“, erklärt sie. „So fallen viele eigentlich gesunde Dinge leider weg.“ Glücklich ist die junge Frau aber über die Perspektive: In dem Fall, dass sie an einer Weizensensitivität leidet, kann sie sich wohl ab und zu einen kleinen „Ausrutscher“ mit Brot oder Kuchen erlauben, ohne dass ihr Verdauungssystem gleich verrückt spielt. Experten wie Detlef Schuppan raten, die „großen Glutenquellen“ wie Pizza, Pasta und Brot wegzulassen. Und wenn es die FODMAPs sein sollten, die Patrizia plagen, können häufig nach einer konsequenten Diät einzelne Nahrungsmittel nach und nach wieder in den Speiseplan integriert werden – nach genauer Absprache mit dem Arzt und/oder Ernährungsberater. „Man muss eben behutsam vorgehen“, so Patrizia. „Neulich habe ich es gewagt, einen ganzen Donut zu essen. Das war himmlisch!“

Immerhin war das ein selbstgebackener Bio-Donut. Denn noch ein anderer Verdacht steht im Raum: dass Phänomene wie Weizensensitivität und Reizdarm davon ausgelöst werden, wie wir unsere Nahrungsmittel zubereiten. Fast Food lautet das Schlagwort, und damit sind auch all die Brötchen von der Backstube nebenan gemeint, die heute nur mehr Fertigwaren aufbackt. Und die Brote, Kuchen und Süßigkeiten, die uns die Industrie auftischt – vollgepumpt mit Lebensmittelchemie, Geschmacksverstärkern und Haltbarmachern. Übrigens auch die glutenfreien Waren, da diese vielen Menschen sonst einfach nicht schmeckten. Studien weisen darauf hin, dass solche Stoffe (etwa die häufig eingesetzten Emulgatoren E 466 und E 433) die Darmflora schädigen und chronische inflammatorische Erkrankungen (wie Colitis ulcerosa) fördern können. Und noch etwas läuft heute anders als in den vergangenen 50.000 Jahren, in denen sich der Mensch offenbar recht problemlos von Weizen ernährte. Es ist die Geschwindigkeit, mit der Getreideprodukte industriell verarbeitet werden. An der Uni Hohenheim analysierte man, dass sich nach viereinhalb Stunden Ruhezeit kaum mehr FODMAPs im Weizenbrotteig finden. Natürliche Gärungsprozesse machen den Teig viel bekömmlicher. Doch dieses Slow Baking hat die Industrie längst abgeschafft: Hier werden Teige meist schon nach einer Stunde gebacken – zur FODMAP-Hochzeit.
90 bis 80 Prozent der Menschen haben, da sind sich die Experten einig, kein Problem mit Weizen, egal ob mit Gluten, ATIs oder FODMAPs. Doch im Sinne der allgemeinen Bekömmlichkeit schadet es nicht, sich sein Brot, wenn möglich, beim kleinen Bäcker zu holen, der auf traditionelles Handwerk setzt.

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