„Gärtnern ist billiger als eine Therapie und man bekommt Tomaten“, sagt ein Sprichwort zu Recht. Wer keinen Garten hat, muss aber noch lange nicht verzweifeln, lassen sich doch nicht nur die Nachtschattengewächse easy auf dem Balkon ziehen. Ein kleiner Überblick für Balkongärtner und die, die es noch werden wollen.
„Ich will meine Hände in kühler, duftender Erde vergraben, mit dreckigen Fingern über neu gesetzte, zarte Pflänzchen streichen. Wohl wissentlich, dass sie größer und größer werden und mich bald reich beschenken.“ Für Städter ist diese nach „Landlust“ klingende, anheimelnde Vorstellung doch recht abwegig. Denn wer kann sich schon in deutschen Ballungsräumen wie Hamburg, Frankfurt oder München einen Garten leisten? Für Naturliebhaber bleiben also nur abgespeckte Alternativen zum privaten Gartenidyll, wie der Schrebergarten – meist zu teuer und mit zu langen Wartelisten. Oder Guerilla- Gardening – meist viel zu anstrengend. Oder eben der Balkon. Hach ja, der Balkon, ganze vier Quadratmeter der Ruhe. Klein, fein, aber mein. Eine Sonnenliege, ein gutes Buch und gekühlten, selbst gemachten Eistee in der Hand. Das Extra-Zimmer fungiert nicht selten als Rückzugsort. Abgesehen von der billigen Ausrede „Daheim ist es doch am schönsten“ zum Thema Urlaub auf Balkonien – ja, da gibt es mittlerweile sogar einen Marco- Polo-Reiseführer – kann der Balkon tatsächlich zum blühenden und nahrhaften Paradies heranwachsen. Wie das ökologisch sinnvoll funktioniert, zeigt unser Überblick:
Samenwahl
Wer es einfach haben will, kann sich ein paar Pflanzenkübel mit Tomaten oder Margeriten aus dem nächsten Baumarkt auf den Balkon stellen. Das ist, zugegeben, nicht nur einfach, sondern auch recht günstig – zumindest auf kurze Sicht. Von Nachhaltigkeit aber keine Spur. Selbst wenn wir unseren Speiseplan durch selbst Angebautes nur bereichern wollen, sollten wir gerade darauf und auf den ökologischen Sinn achten – unserer eigenen Gesundheit zuliebe. Der Grundstein für ein langfristiges, kostengünstiges und schmackhaftes Ergebnis wird noch vor der Bepflanzung gelegt – nämlich mit dem Kauf der Samen. Hier unterscheidet man zwischen samenfesten Sorten und Hybriden, die bei Selbstbefruchtung entstehen, also sozusagen Inzuchtlinien sind. Letztere sorgen für hohe Erträge und einheitliches Aussehen der Pflanzen, sind aber nicht vermehrungsfähig, sodass sich z.B. Bauern gezwungen sehen, alljährlich neues Saatgut zu kaufen. Dies begünstigt die Monopolstellung weniger Agrarkonzerne wie Monsato, BASF und Bayer. Von den Einbußen an Geschmack und Nährstoffen ganz zu schweigen.
Old but gold
Hybridsaatgut muss mit F 1 gekennzeichnet werden. Für die Sortenvielfalt und den Erhalt alter Pflanzenarten greifen wir lieber zu biologischem Saatgut und alten Sorten. Denn die Zahlen der FAO (Food and Agriculture Organization) zeigen: Es ist höchste Zeit, etwas für den Erhalt zu tun. Etwa 75 Prozent unserer Vielfalt haben wir seit Anfang des 20. Jahrhunderts bereits eingebüßt – und es verschwinden täglich mehr Pflanzensorten. Von den einst 26 Kulturarten des Weizens etwa dominieren heute nur noch zwei, von 2000 Apfelsorten liegen höchstens 20 in den Supermarktregalen. Die Liste ließe sich ewig weiterführen. Gut, dass wir selbst als Balkongärtner einen Teil zum Erhalt alter Pflanzen zutun können. Alleine Namen wie Indianerperle, Frühlingsgruß oder Brunetta veranlassen doch zum sofortigen Ausprobieren. Die drei Genannten sind übrigens Salate. Wer hätte das gedacht?
Startschuss oder: O‘pflanzt is‘
Ab Mitte Februar lässt sich das Saatgut (je nach Sorte) aussäen. Im Handel werden allerlei Gefäße dafür angeboten, die zumeist aus Torf bestehen. Da der Torfabbau allerdings Grund für den Rückgang der Moore ist und somit der Lebensraum vieler seltener Pflanzen- und Tierarten unwiederbringlich zerstört wird, stellen wir unsere Anzuchtschälchen lieber selbst her. Wunderbar eignen sich zum Beispiel Toilettenpapierrollen, Zeitungspapier oder kleine Pappschachteln wie Nudelverpackungen. Diese Art von Gefäßen bringt gleich zwei positive Nebeneffekte mit sich: Erstens vermeidet man durch sie Müll, zweitens lassen sie sich direkt in das nächstgrößere Gefäß mit einsetzen, wo sie kompostieren. Wenn die Entscheidung für die Art der Bepflanzung gefallen ist (abhängig von den Lichtverhältnissen auf dem Balkon), die Samen eingekauft sind und die Saaterde ausgewählt oder selbst hergestellt ist, kann der erste Schritt getan werden: die Aussaat. Für absolute Anfänger eignet sich die Zucchini hervorragend – ein Gemüse, das recht unkompliziert ist und etwa Ende April, Anfang Mai ausgesät werden möchte. Man legt jeweils ein Saatkorn in eines der selbstgebastelten, mit Saaterde gefüllten Schälchen, bedeckt sie mit wenig Erde und stellt sie an einen warmen und sonnigen Ort – etwa auf das Fensterbrett. Nach ungefähr einer Woche zeigt sich schon der erste Keimling, kurze Zeit später das erste Blatt. Bei drei Blättern darf der Setzling in einen größeren Topf umziehen. Hierfür wird der zarte Spross vorsichtig mithilfe eines Pikierstabs aus der Erde gehoben und umgesetzt. Für wen das Vorkultivieren zu großen Aufwand bedeutet, der kann Jungpflanzen vom Biogärtner erstehen oder auch online bei entsprechenden Shops ordern.
Licht und Schatten
Balkongärtner*innen dürfen dreidimensional denken: Töpfe und Kisten auf dem Boden, Hängekästen am Balkongeländer, Rankgitter als grüner Sichtschutz und von oben wächst die Tomate aus der Blumenampel. Was zuerst ungewöhnlich klingen mag, sieht toll aus und wirkt wie eine Geheimwaffe gegen die immer stärker grassierende Krautfäule – allerdings nur solange sie vor Regen geschützt ist, etwa durch einen Dachvorsprung. Sonnenliebende Kirschtomaten oder die Sorte Small Egg eignen sich besonders gut für die hängenden Körbe. Auch Paprika und Chili mögen es gerne sonnig, ihnen sollte man unbedingt die besten Sonnenplätze gönnen. In die Kategorie sonnenverliebt fällt auch die Physalis oder Andenbeere und natürlich die Erdbeere. Überhaupt sind Beeren beliebtes Naschobst – gerade bei Kindern – und können auch in kleinen Töpfen üppige Früchte tragen. Unseren klimatischen Bedingungen bestens angepasst und ein tolles Balkongemüse ist der Mangold. Bekommt er genügend Wasser, ist er recht unkompliziert in Aussaat und Pflege und beschenkt uns bereits acht Wochen nach der Aussaat immerzu neu. Entgegen jeder Vermutung gedeiht in kleinem Umfang auch Wurzelgemüse prächtig auf dem Balkon. Karotten und Pastinaken sind gesunde und robuste Kulturpflanzen und bieten sich besonders an, aber auch Kartoffeln können einfach gezogen werden – hier darf man allerdings, selbst bei großen Gefäßen, mit keiner allzu reichen Ernte rechnen. Praktisch: Sobald die Kartoffeln Triebe zeigen, können sie einfach in einem Sack Erde (mindestens 40 cm Durchmesser für zwei Knollen) verbuddelt werden. Schattig lieben es auch Grünkohl, Radieschen und Kohlrabi. Salate gehören zu den niedrig wachsenden Gemüsen und können je nach Sorte ab Mitte März auf dem Balkon ausgesät werden. In einem Gewächshäuschen klappt die Aussaat sogar schon im Februar. Baby-Leaf-Salate, also Salate, die keinen Kopf bilden, sondern feine Blätter, fühlen sich selbst auf Fensterbänken wohl. Hoch hinaus wollen Bohnen, Erbsen und Gurken. Rankgitter gibt es derer viele zu kaufen, sie können aber auch selbst gebaut werden. Auch Rohrleitungen dienen auf dem Weg nach oben als ideale Kletterhilfe. Mit Bindfaden und Gewindehaken können diese Kletteraktionen unterstützt – und so zu einem natürlichen und grünen Sichtschutz werden. Um für ein wahres Blütenmeer zu sorgen, braucht es keine Zierpflanzen. Wir überlassen den ohnehin schon spärlichen Platz lieber Kräutern. Lavendel, Bohnenkraut und Kapuzinerkresse blühen auch über den Frühling hinaus in den schönsten Farben und machen Speisen nicht nur schmackhafter, sondern hübschen sie auch ordentlich auf. Bekommt der Lavendel genügend Licht ab, ist er eine der anspruchslosesten Pflanzen überhaupt. Er blüht mehrfach im Jahr, nimmt es einem nicht krumm, wenn man mal das Gießen vergessen hat, sein Duft wirkt beruhigend und seine Blüten vertreiben, in kleine Säckchen gefüllt, Kleidermotten.
Kleine Helfer, großer Nutzen
Kein grünes und blühendes Idyll ohne Getier. Schmetterlinge, Bienen, Hummeln oder Schwebfliegen ermöglichen das Ökosystem Garten bzw. Balkon erst, denn ohne Bestäubung tragen selbst die schönsten Blüten keine Früchte. Ein schmaler Streifen Wildblumen, wie z.B. Kamille oder Kugeldistel, zu anderem Gemüse in den Topf gepflanzt, genügt meist schon, um die fleißigen Tierchen anzulocken. Die Insekten brauchen aber nicht nur Nahrung, sondern auch ein Zuhause. Hier gibt es unzählige Bastelmöglichkeiten mit unterschiedlichem Aufwand. Manchmal ist es schon ausreichend, Löcher von verschiedener Größe und Länge in einen großen Ast zu bohren und ihn an einem trockenen Balkonwinkel aufzuhängen. Bauanleitungen für richtige Insektenhotels findet man im Internet, z.B. unter www.bund-naturschutz.de. Wer Bienen nicht nur eine Unterbringung anbieten, sondern in kleinem Stil imkern möchte, kann in eine Bienenbox und in ein Bienenvolk investieren. Nicht nur die geflügelten Gesellen sind großartige Helferlein – Würmer, Käfer, Spinnen und sogar Ameisen sind es ebenso. Ob für Läusevertilger oder Kompostierprofis, auch auf einem kleinen Balkon fällt genug Arbeit an.
Gepflanztes Glück
„Ich habe glückliche Kompostwürmer, die unglaublich tolle Erde machen.“ „Die ganze Natur zieht ein, sobald man Wasser und Pflanzen anbietet.“ „Die Blütenpracht der Früchte und die vielen Bienen, die sie umsummen …“ „Das Dschungelgefühl im Sommer auf meinem Balkon“. Dies sind nur einige wenige Erfahrungen glücklicher Balkongärtner. 99 Prozent der durch das Netzwerk Balkongarten Befragten wollen im nächsten Jahr wieder im kleinen Stil gärtnern. Recht haben sie, überwiegen doch die positiven Aspekte gegenüber Schrebergärten & Co. Der Balkon ist der Garten des kleinen Mannes? Falsch, der Balkon ist die Leichtigkeit des urbanen Seins.