Grüne Glibbermasse als Grundnahrungsmittel? Die Chancen stehen gut! Die Algenexperten und Kochbuchautoren Kirstin Knufmann und Jörg Ullmann über Geschmack, Qualität und Herkunft des Alleskönners.
Algen sind für die meisten nur eine nervige Begleiterscheinung am See. Sie hingegen schreiben ein Kochbuch über die Wasserpflanzen. Wieso?
Ullmann: Wir wollen die Menschen für Algen begeistern. Sie sind nämlich unfassbar faszinierend.
Inwiefern?
Knufmann: Es gibt eine extreme Bandbreite und man muss sich jede Alge einzeln anschauen. Mit jeder lässt sich etwas Spannendes machen.
Ullmann: Es gibt z.B. Algen, die, wenn man sie richtig verarbeitet, nach Speck und Schinken schmecken. Andere wiederum haben eine reiches Vorkommen an Glutaminsäure, die den herzhaften Umami-Geschmack hervorruft. Auch gibt es Algen, mithilfe derer man den Salzgehalt in Nahrungsmitteln reduzieren kann. Und welche die zehnmal mehr Vitamin C enthalten als eine Orange oder in denen mehr Vitamin B12 steckt als in einer Leber. Oder welche, die Lebensmittel sehr schön blau färben, wie z.B. bei blauen Haribos oder Smarties.
Wie sieht es denn speziell im Vegan-Bereich aus?
Ullmann: Es gibt z.B. Algen, die Butter und Ei ersetzen können. Das ist etwas ganz Spannendes.
Toll! Aber schmeckt das Essen dann nach Algen?
Knufmann: Nein. Es hat sogar auch weniger Kalorien und birgt auch weniger die Gefahr von Allergien. Ein Knaller! (grinst)
Gibt es noch weitere Vorteile von Algen?
Ullmann: Algen wachsen 10- bis 30-mal so schnell wie Landpflanzen. Sie werden u.a. deswegen als Lebensmittel der Zukunft beschrieben. Irgendwann werden wir über unseren Tellerrand ins Wasser schauen müssen …
Sie meinen, wir müssen uns die Fläche des Meeres zunutze machen?
Ullmann: Unbedingt. Die Nutzflächen an Land sind begrenzt.
Knufmann: Das Tolle an Algen ist, dass sie sich nicht nur sehr schnell vermehren, sondern auch sehr nährstoffreich sind. Aus diesen Gründen begann man bereits in den 1960er Jahren sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, weil man sich gefragt hat, wie man zukünftig die Welt ernähren will. Das Essen der Zukunft wird nach wissenschaftlichen Einschätzungen gesünder und ethischer aussehen. Nicht nur Algen sondern auch Insekten sollen wichtige Proteinlieferanten werden.
Aus tierrechtlicher Sicht wäre es sehr zu wünschen, dass Algen bei den Menschen gefragter sind als Insekten …
Ullmann: Ja, hoffentlich! Algen haben weniger Akzeptanzprobleme. Die Algenproduktion ist ein sehr junger Zweig der industriellen Landwirtschaft, aber sie hat immenses Potenzial – sowohl im Bereich der Makroalgen, also der großen, die man auch vom Strand kennt wie z.B. Nori, Kombu, Dulse, als auch im Bereich der Mikroalgen, der mikroskopisch kleinen, die man mit dem bloßen Auge nicht erkennt wie z.B. Spirulina und Chlorella. Man muss sich nur mal vorstellen, dass es mehr als 40.000 Algenarten gibt und wir momentan nur etwas mehr als 100 nutzen.
Das hört sich gut an! Kritiker allerdings weisen darauf hin, dass die Wasserpflanzen Schwermetalle aus ihrer Umgebung aufnehmen können. Wie können Verbraucher sichergehen, dass sie Algen mit guter Qualität kaufen?
Ullmann: Ja, wenn Algen in Kontakt mit Schwermetallen kommen, können diese in der Biomasse angereichert werden. Generell sollten wir bei allen Lebensmitteln darauf achten, dass sie aus einer möglichst sauberen Umgebung stammen: Einen Pilz vom Straßenrand würde man ja auch nicht unbedingt essen. Ein Tipp von mir: Man sollte Makroalgen, wenn möglich, aus europäischen Anbaugebieten kaufen.
Ist die Herkunft denn auf der Verpackung angegeben?
Knufmann: Auf der Verpackung steht das leider nicht immer. Man müsste also vorab recherchieren, um sicherzugehen?!
Ullmann: Bislang ja. Das Ursprungsland muss nicht draufstehen. Daher ist es am besten, wenn man nur Algen kauft, bei denen es angegeben ist. China, Indonesien, Philippinen sind die größten Produzenten von Makroalgen. Man kann sie aber auch wie gesagt aus Europa beziehen: Makroalgen bekommt man etwa aus Schottland. Da kann man auch sicher sein, dass sie aus eher kalten Gewässern kommen, das ist oft ein Plus. Mikroalgen z.B. werden auch seit Jahren in Deutschland angebaut.
Apropos sichergehen: Gibt es Personengruppen, die Algen nur in Maßen zu sich nehmen sollten?
Ullmann: Bei Meeresalgen muss man unter Umständen vorsichtig sein. Sie sind sehr mineralstoffreich und jodhaltig. Die Faustregel lautet: Braunalgen enthalten sehr viel Jod, gefolgt von Rot- und Grünalgen. Wer Schilddrüsenprobleme hat, sollte sich vorher informieren.
Wer nun aber auf den Geschmack gekommen ist und Gerichte mit Algen ausprobieren möchte, findet in Ihrem Kochbuch verlockende Rezepte für z.B. Algenpasta, Algenburger und Algeneis …
Knufmann: Das Buch soll in die Welt der Algen einführen. Viele kennen Algen, wissen auch, dass sie gesund sind, aber sie wissen nicht genau, was man damit anstellen kann. Das Buch soll die Menschen inspirieren.
Ullmann: Es sind Gerichte dabei, die jeder schon kennt. Wie das Bruschetta-Rezept. Aber auch Besonderes.
Knufmann: Und Gerichte, bei denen Allesessern auch nicht das Fleisch fehlt.
Wie kam es eigentlich bei Ihnen beiden zur Zusammenarbeit?
Knufmann: Ich bin schon lange bekennender Algenfan und finde, dass die Pflanzen im Alltag extrem unterschätzt werden. Wir beide haben uns über die Algenthematik kennengelernt und sind ein Paar geworden. Da war das Algenbuch natürlich ein Muss.
Zwei Algenfans: Da stelle ich mir den gemeinsamen Kühlschrank
spannend vor …
Knufmann: Unser Kühlschrank ist kunterbunt. (lacht)
Ullmann: Wenn Besuch da ist, gucken sie sich natürlich um. Wir hören dann häufig: „Was ist denn das?“ (lacht)
Im Tank, auf dem Teller, als Wundheilung: Die grünen Pflanzen aus dem Meer erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und gelten als Rohstoff der Zukunft. Sie sollen sogar die ganze Weltbevölkerung ernähren können – auch 2050, wenn auf der Erde knapp 10 Milliarden Menschen leben werden. Was der Super-Stoff aus dem Wasser noch alles kann, erforscht seit vielen Jahren der Diplom-Biologe Jörg Ullmann auf seiner Algenfarm in Klötze. Hier werden Mikroalgen kultiviert und auf ihre optimalen Lebensbedingungen getestet. Privat startet er gerade mit Partnern ein Hilfsprojekt in Kolumbien, bei dem die Bekämpfung von Mangelernährung bei Kindern mit Hilfe der Mikroalge Spirulina im Mittelpunkt steht. Er und die PureRaw-Gründerin und Algen-Liebhaberin Kirstin Knufmann veröffentlichten vergangenen April das Kochbuch „Algen“.
Mehr Infos zu den Autoren unter:
www.algomed.de
www.weltderalgen.wordpress.com
www.pureraw.de