Grüne Abfahrt für Wintersportler*innen?

Ökosystem Alpen: Wie viel Wintersport vertragen die Berge noch?
(c) Ricardo Gomez Angel on Unsplash

Der Klimawandel macht vor keinem Ort halt und schon gar nicht vor den Alpen. Da stellt sich die Frage: Wie viel Pistenbetrieb kann das Ökosystem Alpen noch vertragen?

Eine Talabfahrt auf unberührtem Pulverschnee ist der Traum eines jeden Wintersportlers. Die Realität sieht mittlerweile vielerorts anders aus: vereiste Pisten, Grasbüschel, Erdflecken und Steine, die unter einer knirschenden Schneedecke hervorlugen und Abfahrten, die an der Mittelstation enden. Der Klimawandel macht vor keinem Ort halt und schon gar nicht vor den Alpen – einer Kulturlandschaft, für die der Wintersporttourismus ein unerlässlicher Wirtschaftsfaktor ist. Dieser stellt allerdings eine erhebliche Gefahr für die Umwelt dar …

Wir befinden uns in einem der bekanntesten und größten Skigebiete Oberbayerns, dem Sudelfeld. Seit über 100 Jahren wird hier Ski gefahren. Im Sommer 2014 begann man schließlich mit einer umfangreichen Erweiterung und Modernisierung des Gebietes. Ganze 14 Lifte, ein Snowpark für Freerider, zahlreiche Berggasthöfe und insgesamt 31 km präparierte Abfahrten warten in der Saison auf Touristen. Der Beschneiungsanlagen sei dank, denn ohne die wären neue Ziehwege, die die verschiedenen Pisten miteinander verbinden und deren uneingeschränkte Befahrbarkeit nicht möglich. Als Wasserreservoir für die Beschneiungsanlagen dient ein eigens hierfür angelegter Naturspeichersee, der laut Betreiber „so umweltfreundlich wie möglich“ gestaltet wurde. Als Ausgleich zu dem Speichersee, der naturgemäß ein möglichst reines und damit tier-, wie auch pflanzenfreies Gewässer sein sollte, wurden sogenannte Ausgleichsflächen (z.B. Biotope) geschaffen, die zum Artenerhalt der ansässigen Flora und Fauna beitragen sollen. So weit so gut, glaubt man den Ausführungen der Skigebiet-Betreiber. Gleichzeitig werden die Stimmen von Umweltforschern und Naturschützer immer lauter, die den Wintersport und vor allem das Expandieren ohnehin schon großer Skigebiete als eine ökologische Katastrophe bezeichnen. Durch die künstliche Beschneiung und den Skibetrieb an sich würden Erosionen, eine nachhaltige Schädigung der Böden und schließlich auch eine Gefährdung der ansässigen Tierwelt erwirkt. Eine Diskussion, die die Gemüter erhitzt, denn sie ist eine, die sich zwischen Tradition und Kulturgut, wirtschaftlichem Interesse und der Forderung nach einem nachhaltigen Umweltschutz erstreckt. Zeit also, die Auswirkungen, die der Wintersport auf die Berge hat, etwas genauer unter die Lupe zu nehmen …

Der Klimawandel in den Alpen

Auch wenn die Donald Trumps dieser Welt etwas Gegenteiliges behaupten: Der menschengemachte Klimawandel ist in vollem Gange! Was wir in Form von Weihnachten bei 20 °C zu spüren bekommen, trifft die Alpen noch stärker, denn hier ist der Klimawandel aufgrund der großen Höhenunterschiede besonders stark ausgeprägt. Das Bergökosystem ist auch deshalb so empfindlich, weil hier auf einem im Vergleich kleinen Raum viele sensible Naturräume nebeneinander leben. Im Gebirge zeigen sich die Auswirkungen der Erderwärmung vor allem anhand des Rückgangs der Gletscher, die – wie es der Deutsche Alpenverein ausdrückt – das „Fieberthermometer der Alpen“ sind. In 30-40 Jahren, so prognostiziert dieser, werden in den Ostalpen die meisten Gletscher vollständig verschwinden. Die Alpen werden mit der zunehmenden Klimaerwärmung besonders stark von den Auswirkungen extremer Wetterereignisse betroffen sein. Hierzu zählen starke Niederschläge und damit verbundenes Hochwasser, eine erhöhte Steinschlaggefahr, Permafrostverbreitung (Böden, die das ganze Jahr über gefroren sind und große Mengen an gebundenem Methan in sich speichern) sowie die Aufwärtsverschiebung biologischer Zonen, will heißen: Tiere und Pflanzen werden immer weiter in die Höhe wandern müssen, da die steigende Temperatur nicht mehr ihrem ursprünglichen Lebensraum entspricht.

Hinzu kommt, dass künftig eine Schneesicherheit, will meinen eine mindestens 50 cm hohe, geschlossene und natürliche Schneedecke, in den Bergen nicht mehr gewährleistet werden kann. Steigt die Durchschnittstemperatur künftig um nur 1 °C an, so eine Studie des Bund Naturschutz, so wird die Zahl der schneesicheren Skigebiete in Deutschland auf 60 Prozent sinken. Bei einem Temperaturanstieg um 4 °C, ein auf die Dauer gesehen nicht unwahrscheinliches Szenario, wird wohl nur noch die Zugspitze als einzig schneesicherer Berg zurückbleiben.

Das hilft auch Fräulein Smillas Gespür für Schnee leider nichts … Schneekanonen allerdings schon! Denn diese sollen es retten, das Winterwonderland, magischer Magnet für den Wintersporttourismus, und dafür sorgen, dass man pünktlich um Weihnachten herum und am besten bis in das Frühjahr hinein Ski- und Snowboard fahren kann. Das Geschäft mit dem Wintersport ist gerade in den Alpen ein existenzielles und so erscheint eine künstliche Beschneiung als der einzige Ausweg, um den Skibetrieb weiterhin aufrecht erhalten zu können.

Der Einsatz von Schneekanonen

Nahezu alle Skigebiete setzen Schneekanonen ein, um eine für den Alpinskibetrieb erforderliche Schneehöhe von ca. 30 cm – 1 m (je nach Beschaffenheit des Gebietes) gewährleisten zu können. Für die Produktion des Kunstschnees werden Temperaturen von wenigstens -3 °C sowie eine möglichst geringe Luftfeuchtigkeit benötigt. Da die Natur aber oftmals nicht so mitspielt wie sie soll, werden dem für die Schneeproduktion benötigtem Wasser hier und da chemische Zusätze, sogenannte Snow-Inducer beigefügt. Diese sorgen dafür, dass sich auch bei höheren Temperaturen Schnee produzieren lässt, der über einen längeren Zeitraum hinweg liegen bleibt. Derzeit werden entsprechende additive Stoffe, wie etwa das aus den USA stammende Snomax in Ländern wie Kanada, Norwegen, Australien, Finnland, Japan und der Schweiz eingesetzt. Der Stoff wird mit Hilfe eines Bakteriums (Pseudomonas syringae 31R) erzeugt, das zwar abgetötet, jedoch nicht entfernt wird und sich somit in der Umwelt anreichert. In Deutschland und Österreich ist Snomax aus diesen Gründen noch verboten, hier darf bislang nur reines Wasser zum Einsatz kommen.

Auch ohne den Zusatz chemischer Hilfsmittel, ist der Einsatz von Schneekanonen alles andere als umweltfreundlich. Pump- und Kompressorstationen, Stromversorgungseinrichtungen, Speicherbecken und Kühlanlagen müssen gebaut, Rohrsysteme und Stromleitungen verlegt werden. Neben dem hohen Energieaufwand ist vor allem der erhebliche Wasserverbrauch erwähnenswert: Rund eine Million Liter Wasser werden benötigt um einen Hektar Land zu beschneien. Um die Wassermengen heranzuschaffen, werden gebietsweise Speicherteiche, bzw. -seen geschaffen, aus denen man je nach Bedarf Wasser entnehmen kann. Einen geeigneten Ort dafür zu finden ist „gar nicht so einfach“, so Kathrin Struller die Alpenreferentin des Landesbundes für Vogelschutz e.V.: „Der Teich soll so angelegt sein, dass er dem Menschen möglichst nicht unangenehm auffällt und sich positiv in das Landschaftsbild integriert. Gleichzeitig muss genug Platz für die Wassermassen sein und ein stabiler Untergrund gewährleistet werden“. Da es so schwierig sei, Standorte zu finden, die alle Kriterien erfüllen, gerate man eben doch immer wieder in die Hochmoorlagen, so Struller, und diese seien hochsensible Gebiete, in denen durch das Anlegen eines Speicherbeckens Lebensraum zerstört und und in das bestehende Grundwassersystem eingegriffen werde.

Die Gefährdung des Ökosystems

Nicht nur der Klimawandel sorgt für Stress im alpinen Ökosystem, auch der Wintersportbetrieb leistet seinen Beitrag dazu. Ein Grund für die Veränderung der Vegetation ist die künstlich Beschneiung und damit ein – insbesondere für den Winter Jahreszeit Winter – unnatürlich hoher Wassereintrag, was durchaus zu Bodenerosionen führen kann. Vor allem die Dauer der künstlichen Beschneiung, die mit den natürlichen klimatischen Bedingungen kollidiert, beeinflusst die alpine Vegetation maßgeblich. In Fachkreisen spricht man hierbei von der sogenannten Schneetälchenvegetation, also Pflanzen, die vor allem in windgeschützten und von direkter Sonneneinstrahlung ausgenommenen Senken wachsen. Die hierfür typischen Arten wie Moose oder Krautweiden haben sich an eine langanhaltende und bisweilen ganzjährige Schneedecke gewöhnt und sich den entsprechenden Lebensbedingungen angepasst. Dort, wo künstlich beschneit wird, findet man immer häufiger Schneetälchenvegetations-Arten, die normalerweise in der Arktis oder extremen Hochlagen zu finden sind. Die Folge ist eine Anhäufung von sehr spät blühenden Pflanzen und eine abnehmende Biodiversität, die wiederum ein Problem für die Nahrungsaufnahme von Insekten darstellt.

Aber auch der Pistenbau an sich, die Präparierung bzw. das Planieren der Strecken und freilich auch das Befahren selbst, bedeutet ein mechanisches Einwirken auf die Pflanzendecke, wodurch aus dem Schnee herausragende Pflanzenteile plattgewalzt und damit zerstört werden. In diesem Falle zeigt sich die künstliche Beschneiung in Form des zweigesichtigen Janus. Trägt sie einerseits dazu bei, dass die Böden unnatürlich lange mit einer festen Schneedecke bedeckt sind, kann sie andererseits auch als Schutzschicht für Pflanzen und Gräser fungieren. Bei einer unzureichenden natürlichen Schneebedeckung, die nur einige Zentimeter hoch ist, kann das Ski- und Snowboardfahren erhebliche Schäden an der darunterliegenden Vegetation vornehmen. Wird der natürliche Schneefall um eine Beschneiung mit Hilfe von Schneekanonen ergänzt, bildet diese eine Art Schutzschild für die Pflanzen.

Neben den rund 130.000 Pflanzenarten, die die Alpen laut Bund Naturschutz derzeit noch beherbergen, gerät auch die Artenvielfalt der ca. 30.000 Tierarten zunehmend in Bedrängnis. Der eklatante Ausbau von Skigebieten führt entsprechend auch zu einer Bedrohung von Wildtieren, die vor allem in den Wintermonaten besonders störungsempfindlich sind. Gerade zu dieser Zeit stellt das Eindringen in den Lebensraum von Reh, Hirsch, Gams, Birkhuhn, Auerhuhn, Schneehase und Co. eine große Herausforderung dar. Hinzu kommt ein Trend, nämlich der Freeride, das – zum Teil unerlaubte – Fahren abseits der Piste, das den Tieren zusetzt.

Alles eine Sache der Intensität

Wie mag es wohl weitergehen mit dem Wintersport, fragt man sich angesichts dieser eher düsteren Tatsachen. Seit über 7000 Jahren sind die Alpen besiedelt, idyllische Bergtäler zum Teil von Menschenhand geschaffen, die Berglandschaft auch ein Verdienst der Bergbäuerinnen und -bauern, die das Land mit viel Liebe zur Natur gepflegt haben. „Darf ich denn nun gar nicht mehr Skifahren gehen?“, fragt die Münchnerin Angela Fürst (60), der die Skier quasi in die Wiege gelegt wurden und die der Alpinsport ihr ganzes Leben lang begleitet hat. Die Meinungen gehen hier weit auseinander … Wer nicht auf den Wintersport verzichten möchte, der kann sich an eine simple aber wirkungsvolle Faustregel halten: Wenn es reichlich geschneit hat, kann ich Skifahren gehen, wenn die Temperaturen relativ hoch sind und kein Schnee in Sicht ist, dann muss ich es eben sein lassen.

Angesichts der stetigen Klimaerwärmung wird das wohl bedeuten, dass der Start der Skisaison um Weihnachten herum nicht mehr gewährleistet werden kann und dass die Intervalle, in denen ein „natürlicher Wintersport“ betrieben werden kann immer kürzer werden. Das A und O eines möglichst nachhaltigen Skifahrens ist außerdem, sich nicht abseits der Pisten zu bewegen, bzw. sich an Ausschilderungen und Ratgeber zu halten, damit Flora und Fauna genug Platz finden, sich entfalten zu können. Egal was, wo und wie wir es machen – der Mensch wird immer in die Natur und auch in die bestehenden Ökosysteme eingreifen und diese alleine durch seine Existenz beeinflussen. Unsere Aufgabe ist es nun, den dabei entstehenden Schaden so gering wie möglich zu halten und auf die Zeichen der Natur zu achten.

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