Der Besuch einer Yogastunde kann zu den Highlights der Woche zählen. Darüber hinaus lohnt es sich, die Matte auch zu Hause regelmäßig auszurollen. Eigenständiges Üben lädt zum Experimentieren ein – und dazu, sich selbst besser kennen zu lernen
Von: Christina Raftery
Mit dem modernen Yoga im Studio verhält es sich so ähnlich wie immer im Restaurant zu essen: Es gibt nur das, was auf der Karte steht. Was auf dem Teller präsentiert wird, kann durchaus nähren, inspirieren und zum weiter Entwickeln einladen. Bezug zur eigenen Kreativität bekommt man allerdings nur, wenn man selber kocht.
Also auch Yoga neben dem Wäscheständer? Baum und Krähe, obwohl sich in direkter Nähe hundert mögliche Ablenkungen befinden? Aber ja doch, sagt die Berliner Yogalehrerin Jelena Lieberberg: Zu Hause Yoga zu praktizieren, sei für sie ein „Geschenk an sich selbst“, eine „Mini-Urlaubsinsel“ und ein „heilsamer Weg, mir selbst zuzuhören.“ Konzentration auf die eigene Art zu üben, Raum für Improvisation sowie die Möglichkeit, Dauer und Stil der Praxis an die Bedürfnisse des Moments anzupassen, lassen uns im wahrsten Sinne des Wortes bei uns selbst ankommen. Dabei ersetzen Sonnengrüße in den eigenen vier Wänden besonders am Anfang keinesfalls den Unterricht bei erfahrenen Lehrer*innen. Unterricht in der Gruppe setzt gemeinschaftliche Energie frei, stablisiert, beflügelt und motiviert. Ein wichtiger Schritt auf dem Yogaweg besteht jedoch in einer Art „Unabhängigkeitserklärung“ – dem Mut zum eigenen Experimentieren und Respekt vor den eigenen Grenzen. Dabei ist erfolgreiches Weiterkommen garantiert, und zwar im Sinne des bekannten Yogalehrers Mark Whitwell aus Neuseeland: „Fortschritt ist nicht die perfekte Beherrschung einer Haltung, sondern direkter, individueller Kontakt mit der Realität.“ Im Yoga bedeutet „Können“ nämlich nicht etwa Ehrgeiz und das Erreichen eines bestimmten Ziels, sondern allmähliches Loslassen und immer präzisere Beobachtung. Und wo liesse sich dies besser praktizieren als in unserer vertrautesten Umgebung, den eigenen vier Wänden. Zuhause ist’s nun mal am schönsten!
Raum schaffen
Natürlich reicht ein Stück freier Boden völlig, „sauber und frei von Ungeziefer“ nennen die alten Yogaschriften als einziges Kriterium. Wer allerdings gleich einen kompletten Raum seines Hauses oder seiner Wohnung zum Yoga-Refugium umgestaltet, räumt der Praxis nicht nur zeitlich einen hohen Stellenwert ein.
Ein Yoga-Zimmer oder auch nur eine Ecke, die rein diesem Zweck gewidmet ist, hat immense Vorteile: Ohne Öffnungszeiten und Stundenplan steht sie rund um die Uhr zur Verfügung. Für viele Yogis ist ihre bloße Existenz Motivation zum regelmäßigen Üben. Dazu wird das Bewusstsein für den Raum und sich selbst feiner: Wenn man täglich auf der gleichen Stelle praktiziert, bemerkt man das unterschiedliche Licht der Jahreszeiten, aber auch die eigene Befindlichkeit, die sich täglich ändert. Schon die vorbereitende Überlegung, welche Stelle des Hauses oder der Wohnung man zum Yoga-Space konvertiert, kann befreiend und belebend wirken: Braucht man wirklich das Büro im Haus? Könnte man den Kellerraum entrümpeln und verändern? Liesse sich zugunsten eines Yogaraums Wohn- und Schlafzimmer kombinieren? Wollte man den großen Eckschrank nicht längst loswerden?
Dazu ein paar Tipps:
Aus alt mach neu
In den wenigsten Fällen musst du für dein Yoga anbauen: Wandele, um Geld zu sparen und Ressourcen zu schonen, einfach bestehenden Raum um. Sei realistisch bei der Bewertung deiner Möglichkeiten. Räume aus und gestalte um. Verschenke und recycle, was du nicht mehr brauchst. Vielleicht ist der altmodische Teppich mit neuem Bezug am Ende ein bequemes Yogakissen?
Mehr oder weniger?
Formuliere, ähnlich wie zu Beginn der Übung, eine klare Absicht für den neuen Raum und seine Dekoration. Soll sie einem indischen Tempel ähneln oder reicht der Baum vor dem Fenster? Ein leerer Raum führt uns aus dem Kopf und tiefer in Körper und Bewusstsein, während dekorative Elemente wie ein Altar, Blumen oder Kissen die Atmosphäre weicher machen können. Bleibe jedoch auf jeden Fall bei deinem persönlichen Ausdruck und versuche nicht, andere zu beeindrucken.
Energie sparen
Ein achtsamer Umgang mit den Ressourcen ist gelebtes Yoga. Achte bei der Ausstattung des Yogaraums auf natürliche Lichtquellen und Belüftung, um unabhängiger von Elektrizität zu werden.
Keine Chemie, bitte!
Verzichte so weit wie möglich auf Kunststoff wie PVC. Yoga-Hilfsmittel gibt es auch aus Bambus, Bio-Baumwolle, Hanf und Naturkautschuk. Streiche die Wände mit Naturfarbe und wähle Holzböden mit einer Abdichtung auf Wasserbasis, nicht dem ölbasierten Polyurethan. Andere gute Grundlagen sind Kork und Bambus, zwei wiederverwertbare Naturstoffe.
„Wer atmen kann, kann Yoga üben.“ (Sri T. Krishnamacharya, Yogameister)