Wir begrüßen sie turnend, wir fürchten ihre Strahlen, wir verdanken ihr das Leben – unser Verhältnis zur Sonne ist so komplex wie ihr Wirken. Porträt eines faszinierenden Gestirns.
Hast du ein sonniges Gemüt oder lebst du auf der Sonnenseite des Lebens? Herzlichen Glückwunsch, das heißt, du bist ein Glückskind. Denn der Feuerball am Himmel steht in unserer Vorstellung für das Gute, für Freude, ja, für das Leben selbst. Wenn du zur stetig wachsenden Zahl der Yoga-Anhänger in diesem Land gehörst, dann startest du vielleicht sogar regelmäßig deinen Tag mit dem sogenannten Sonnengruß, um Körper, Geist und Seele in Schwung zu bringen. Diese ineinander übergehende Abfolge von zwölf grundlegendsten Stellungen (Asanas) ist zum einen ein effektives Training, zum anderen symbolisiert sie traditionell unsere Dankbarkeit gegenüber dem leuchtenden Himmelskörper, der uns Leben, Licht und Wärme schenkt. Mal küssen uns seine Strahlen ganz sanft, mal treibt uns seine Hitze den Schweiß auf die Stirn, und so lässt sich auch der Sonnengruß auf verschiedene Weisen durchführen – schnell und kraftvoll etwa, um den Kreislauf anzukurbeln, oder ruhig und meditativ zur Muskel- und Seelenstärkung.
So weit, so blumig, so wunderbar. Doch – um im eingangs verwendeten Sprichwort-Jargon zu bleiben: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Und so ist auch unser Verhältnis zur Sonne ein gespaltenes, und wenn im Sommer die ersten heißen Strahlen locken, greifen wir aus gutem Grund zur schützenden Lotion. Die Sonne hält uns am Leben und kann uns töten. Sie sorgt für Wärme und gute Laune, aber auch für Dürre und andere Klimakatastrophen. Kein Wunder, dass sie uns so fasziniert – wenn sie in unserer Kultur auch nicht ganz so ein mystischer Schleier umgibt wie ihr nächtlicher Gefährte, der Mond.
Zwar gab es da vor drei-, vierhundert Jahren diesen französischen „Sonnenkönig“ (Ludwig XIV.), auch im ein oder anderen Märchen darf die Sonne Dinge „an den Tag bringen“, doch mit solch einer Vielzahl an Legenden – und Produkten – wie der Mond kann sie zumindest hierzulande nicht aufwarten. Mondwasser etwa findet sich in vielen Bioläden, Sonnenwasser sucht man dort eher vergebens. Überhaupt ist auffällig, dass der Sonne in den meisten Kulturen und Religionen eine weitaus größere Rolle zugeschrieben wird als in unserem christlich geprägten Abendland. Ist es schlicht deshalb so, weil wir sehr stark eine dualistische Denkweise verinnerlicht haben, in der alles zweizuteilen ist, Körper und Geist, Verstand und Gefühl, Gut und Böse, Tag und Nacht? Dient letztere als Symbol für das Verborgene, Magische, während uns am Tag alles logisch und irdisch erscheint? Oder laden wir die Sonne (die außerhalb Deutschlands übrigens in der Regel als männlich gilt) vielleicht deshalb mit weniger „Hokuspokus“ auf, weil ihre Auswirkungen auf den Menschen nicht nur subjektiv spür-, sondern auch wissenschaftlich belegbar sind – anders als bei ihrem silbernen Bruder (der wiederum in anderen Kulturen den weiblichen Part übernimmt, doch auch das nur am Rande).
Vitaminbombe Sonnenbad?
Wollen wir dies doch einmal genauer – die geneigte Leserschaft verzeihe die kleine Wortspielerei – beleuchten. Wie sähe es ohne diesen Feuerball am Himmel hier unten auf der Erde aus? Die Antwort: Nun ja – ziemlich trostlos. Dunkel natürlich, das ist klar, aber auch recht kahl, denn wo kein Licht ist, da können keine Pflanzen wachsen. Und Pflanzen wiederum wandeln Licht in Sauerstoff um, den Menschen und Tiere zum Atmen und damit zum Überleben brauchen. Aber nicht nur das! Der Einfluss des Sonnenlichts auf unseren Körper und unsere Psyche ist noch viel weitreichender und komplexer. Da wäre etwa die Bildung des Vitamins D3, dessen Bezeichnung häufig synonym mit Vitamin D gebraucht wird und das von seiner biochemischen Struktur her eigentlich eine Hormon-Vorstufe ist. Unter anderem hat es eine entscheidende Bedeutung für unseren Knochenbau, stärkt unser Immunsystem und ist für eine Vielzahl weiterer biologischer Abläufe im Körper verantwortlich. Es allein über die Nahrung aufzunehmen, ist kaum möglich, stattdessen entsteht es, wenn unsere Haut Sonnenlicht aufnimmt – ein Grund, weshalb in unseren eher sonnenarmen Breitengraden mehr als die Hälfte der Bevölkerung an einem Mangel daran leiden soll. Laut Robert-Koch-Institut und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind es im Schnitt sogar satte 60 Prozent. Die Folgen zeigen sich eher schleichend und sind häufig nicht eindeutig zuordenbar. Als klassische Vitamin-D-Mangel-Krankheit gilt etwa die Rachitis, auch geschwollene Gelenke, verwachsene Wirbelsäulen und brüchige Knochen können darauf zurückgehen. Nicht zuletzt bringt man auch seelische Krankheiten wie Depressionen damit in Zusammenhang, und so werden diese bisweilen auch mit einer Lichttherapie behandelt, während derer Patienten täglich etwa eine halbe Stunde vor Tageslichtlampen mit einer Stärke von 10.000 Lux gesetzt werden.
Zu betonen ist allerdings, dass die Richtwerte für einen optimalen Vitamin-D-Spiegel unter Experten umstritten sind – während die einen für mindestens 50 (und höchstens 100) Nanogramm pro Milliliter Blut plädieren, halten andere bereits 20 bis 30 Milligramm für vollkommen ausreichend. Und von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie heißt es, dass der oft betonte deutsche Vitamin-D-Mangel doch ein wenig überbewertet sei und nur die wenigsten von uns einen wirklich bedenklichen Mangel zu beklagen hätten. So oder so scheint ein Dilemma zu bleiben, denn dass wir das „Sonnenhormon“ brauchen, steht außer Frage. Für eine optimale Vitamin-D-Versorgung wird empfohlen, seine ungeschützte Haut regelmäßig direkter Sonneneinstrahlung auszusetzen – gleichzeitig haben wir in den letzten Jahrzehnten doch eigentlich gelernt, dass allzu viel Sonnenbaden Hautkrebs verursachen kann, weil die UV-Strahlung uns schadet. Was denn nun also? So dröge dieses Mantra manchmal klingen mag, so oft wir es uns schon anhören mussten, es trifft auch auf diesen Lebensbereich zu: Alles eine Frage des richtigen Maßes. Dieses Maß festzulegen, ist hier jedoch schwierig, da es von Mensch und Mensch, Hauttyp zu Hauttyp beziehungsweise Region zu Region unterschiedlich einzuschätzen ist. Als Faustregel aber gilt: Ein tägliches Sonnenbad oder ein kleiner Spaziergang von ca. zehn bis 15 Minuten ist zu empfehlen.
Heiße Angelegenheit
Sie merken es vielleicht: Vitamin D verdient eigentlich einen eigenen Artikel für sich, das ganze Thema in seiner Komplexität kann an dieser Stelle nur angerissen werden. Nun aber zurück zu dem für uns wichtigsten Himmelskörper unserer Milchstraße, zum Zentrum unseres – da haben wir’s! – Sonnensystems. Wo genau kommt all die Energie des Leuchtballs eigentlich her? Hauptsächlich besteht unsere Wunderkugel aus Wasserstoff und Helium, zu dem ersterer in ihrem Inneren verschmilzt. Dort im Kern ist es unglaubliche 15 Millionen Grad Celsius heiß, und so kann man sich vorstellen, dass bei dem Prozess riesige Energiemengen freigesetzt werden. Bis die sich an die immer noch 5700 Grad Celsius heiße Oberfläche gekämpft haben, vergehen gern mal schlappe 100.000 Jahre. Dann aber hat es die Energie wahrlich in sich, die Sonne fungiert quasi als gewaltiger Kernfusionsreaktor, der uns noch für ca. fünf Milliarden Jahre Energie liefern kann. Menschliche und tierische Körper sowie Pflanzen nutzen diese, wie oben bereits angedeutet, schon seit Urzeiten auf ganz natürliche Weise zum schlichten Überleben. Mehr und mehr aber nimmt Solarenergie auch im technischen Bereich an Bedeutung zu, etwa, wenn es um unsere Strom- und Wärmeversorgung geht, bei der wir etwa Sonnenkollektoren oder Solarzellen einsetzen, um die himmlische Energie zu bündeln und irdischen Zwecken zuzuführen.
Wenn man sich unsere Abhängigkeit von der Sonne so ansieht, mag es fast verwundern, dass unser geozentrisches Weltbild erst im 16. Jahrhundert erschüttert wurde, als der Astronom Nikolaus Kopernikus die für damalige Zeiten gewagte These aufstellte, dass die Erde sich um die Sonne drehe und nicht umgekehrt – was der Naturwissenschaftler Johannes Kepler einige Jahrzehnte später durch seine Beobachtungen und Untersuchungen bestätigen konnte. Dass auch das heliozentrische Weltbild mit der Sonne als Mittelpunkt des Universums heutzutage als überholt gilt, steht auf einem anderen Blatt. Zwar dreht sich unser Leben um die Sonne, doch heute ist uns bewusst, dass unser Sonnensystem nur einen kleinen Teil des gesamten Universums ausmacht, von dem wir längst noch nicht alles wissen.
Vielleicht ist letzteres ja auf eine gewisse Weise gar nicht mal so schlecht. Denn, so spannend Wissenschaft auch sein kann und so wichtig es ist, dass wir auf unseren Vitaminhaushalt sowie unsere Haut- und Seelengesundheit achten – wer zu viel von einer Sache weiß, verlernt womöglich das Wundern. Das Wundern über die Wunder der Natur. Wir müssen nicht alles vergöttlichen wie etwa die alten Ägypter, die den Sonnengott Re verehren, quasi die mächtige Personifizierung der Sonne selbst, in der mit der Zeit verschiedenste Gottheiten verschmolzen. Auch müssen wir „Sonnenanbetung“ nicht wortwörtlich verstehen, sondern können uns weiterhin schlicht am Biergarten- und Freibadwetter freuen. Aber manchmal tut es auch dem rationalsten Kopf ganz gut, mal wieder wie ein Kind durch die Welt zu tapsen, den Kopf in den Nacken zu legen, in die Sonne zu blinzeln und einfach nur zu staunen. Über die vielen Aspekte, die unser Leben, und die Welt so wunderbar machen. So warm, so hell, so sonnenklar.
Foto: Aaron Burden