Pest, Cholera, Tuberkulose – dank Antibiotika hatten wir Seuchen gut im Griff. Aber neuerdings legt sich ein bedrohlicher Schatten über diese medizinische Sicherheit: resistente Keime. Seuchen werden wieder zur ernsten Bedrohung – auch durch die Tierindustrie. Doch warum eigentlich?
Antibiotika gehören zum Fundament moderner Zivilisation. Sie stehen für das menschliche Selbstverständnis, Macht über die alltäglichen Widrigkeiten der Natur zu haben. Einige Experten warnen nun, Antibiotika-Resistenz sei die gefährlichste Seuche, von der sich die Menschheit gegenwärtig und weltweit bedroht sieht. Einer ihrer Hauptverursacher steht längst fest: die Tierindustrie. Galt zum Beispiel MRSA, der Methicillin-resistente Staphylokokkus aureus, bislang als „Krankenhauskeim“, erweist sich dieser Keim zunehmend als Monstrosität, die den Tierfabriken entsteigt. Dann nennt man ihn la-MRSA: livestock associated, also aus der Tierhaltung stammend. MRSA führt zu lebensgefährlichen Wundinfektionen, Furunkeln, Atemwegserkrankungen oder auch Sepsis. Mit Antibiotika bekämpfen? Fehlanzeige. Mit der vertrauten Wunderwaffe lässt sich MRSA nicht beikommen. Und es geht nicht nur um dieses Bakterium. In den vergangenen Jahren sind vermehrt weitere sogenannter „Superbugs“ aufgetaucht, also Keime, die gegen alle bekannten Antibiotika immun sind, zum Beispiel neue Varianten multiresistenter Salmonellen oder Tuberkulose, hartnäckige Escherichia coli-Stämme und weitere Bakterien, die ESBL bilden. Letzteres sind Enzyme, die ein breites Spektrum von Beta-Laktam-Antibiotika verändern – und dadurch unwirksam machen.
Eine medizinische Misere, über deren Ursache bereits viel diskutiert wurde: die ungezügelte Vergabe von Antibiotika in der Tierindustrie. Warum hier mit die Hauptschuld liegt, ist aber vielen Menschen zunächst nicht einsichtig. Viele Verbraucher machen sich vor allem Gedanken darum, dass sie so über Wurst oder Milch selbst jene Arzneimittelrückstände abbekommen, die ursprünglich den Tieren verabreicht wurden. Glaubt man Kommentaren, die online zu finden sind, denkt sich gar mancher: Wenn Keime das Problem sind, ist es doch super, wenn Schweine und Puten mit Medikamenten behandelt werden. Schließlich esse man dann mit Schinken und Schnitzel gleich eine gute Dosis an Mittelchen mit. Ein nett-naiver Gedanke, der aber nicht nur die falschen Schlüsse zieht, sondern zeigt, wie sehr viele noch immer das Gefahrenpotenzial der Situation verkennen.
Wie multiresistente Keime entstehen
Bakterien sind anpassungsfähig. Bombardiert man sie mit antimikrobiellen Mitteln, wie es in der Massentierhaltung geschieht, verändern sie sich. Sie wehren sich gewissermaßen gegen den Angriff und entwickeln Resistenzen. Vor allem eine überflüssige Gabe von Antibiotika begünstigt solche Resistenzbildung. Deswegen ist es, zumindest in Deutschland, gesetzlich verboten, gesunde Tiere einer Antibiose zu unterziehen, auch als Prophylaxe, also als vorbeugende Maßnahme.
Das Problem: Unter dem Begriff Metaphylaxe findet diese Praxis in der Tierhaltung trotzdem statt, und zwar völlig legal. Das heißt, wenn einzelne Tiere krank sind, wird die ganze Gruppe mit Antibiotika therapiert: als Maßnahme gegen Symptome, die bei den bislang gesunden nur noch nicht aufgetreten seien. Die Crux der Massentierhaltung: Eines der vielen Tiere ist meistens krank. Und schon wird Antibiotika-Gabe zur Dauertherapie. In Deutschland benötigt die Veterinärmedizin, mit über 1.700 Tonnen jährlich etwa zwei Mal so viele Antibiotika wie die Humanmedizin (816 Tonnen). Noch gravierender ist es zum Beispiel in den USA: Hier macht der landwirtschaftliche Verbrauch ca. 80 Prozent des Antibiotika-Einsatzes insgesamt aus.
Wo liegt nun die Gefahr für den Menschen?
Die Tierfabriken werden zu Brutstätten für Keime, denen kaum mehr kein Einhalt geboten werden kann – auch nicht beim Menschen, denn in der Humanmedizin kommen dieselben Antibiotika zum Einsatz wie bei Tieren. Die Erreger wie MRSA, Salmonellen oder E. coli landen über den Tierdung auf dem Feld und im Grundwasser, sie landen im Fleisch, in der Milch und auf der Eierschale. Und Lebensmittel sind einer der zentralen Infektionswege für Krankheiten, die sich vom Tier auf den Menschen ausbreiten. Vielfach haben Studien zum Beispiel die hohe Belastung von Discounter-Fleisch mit resistenten Keimen festgestellt. Der BUND fand Erreger in 88 Prozent der Putenfleisch-Proben von Aldi, Lidl und Co.
Doch es geht nicht nur ums Essen, es geht auch um die Luft. Die Tierärztliche Hochschule Hannover und die FU Berlin haben die Luft in Mastbetrieben auf MRSA-Keime untersucht: 85 Prozent der Schweine- und 79 Prozent der Geflügelstelle wiesen den Erreger in der Atemluft auf. Die industrielle Tierhaltung hat eine unsichtbare Gefahr heraufbeschworen, die unseren hohen medizinischen Standard außer Kraft zu setzen droht.
Es ist an der Politik, zu handeln. Im Mai 2015 hat die Bundesregierung eine „Deutsche Antibiotika-Resistenz-Strategie“ aufgestellt. Sie soll mehr Kontrolle und Hygiene im Stall, aber auch mehr Forschung ermöglichen, um multiresistente Keime einzudämmen. Es bleibt abzuwarten, wie viel Gewicht diese politische Initiative zumindest hierzulande aufbringt.