Fleisch, Fisch, Käse: Wer keine tierischen Produkte konsumiert, ernährt sich mangelhaft, so die weitverbreitete Meinung. Was ist dran? Wie gesund ist es, sich ausschließlich pflanzlich zu ernähren? Ein Blick auf die aktuelle Studienlage schafft Klarheit.
Autor: Niko Rittenau
Die Frage nach dem gesundheitlichen Wert einer veganen Ernährung wird in den Medien seit Jahren kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite wird eine rein pflanzliche Ernährungsweise als gesundheitlich überaus zuträglich dargestellt und es wird auf eine Vielzahl an Positionspapieren von Ernährungsfachgesellschaften aus Ländern wie den USA, Kanada, Australien, Portugal, Großbritannien und weiteren verwiesen, die eine gut geplante vegane Ernährung in jeder Phase des Lebenszyklus empfehlen. Auf der anderen Seite bemängeln viele Gegner der veganen Lebensweise die eingeschränkte Datenlage zu veganer Ernährung in Lebensphasen wie der der Schwangerschaft, Stillzeit und dem Kindesalter und verweisen auf Positionspapiere zu veganer Ernährung von Fachgesellschaften aus Ländern wie Deutschland oder der Schweiz, die zumindest in jenen kritischen Lebensphasen Vorbehalte gegenüber einer veganen Ernährung hegen.
Die zentrale Frage, die hier zum gesundheitlichen Wert einer veganen Ernährung beantwortet werden soll, lautet: Wie kann es sein, dass unterschiedliche Ernährungsfachgesellschaften anhand der selben wissenschaftlichen Daten zu unterschiedlichen Empfehlungen für ihre Bürger und Bürgerinnen kommen? Darüber hinaus gilt es zu klären, ob eine vegane Ernährung tatsächlich für jede Person in jedem Alter geeignet ist und was genau eine gesunde vegane Ernährung eigentlich bedeutet.
Kritische Stimmen zu veganer Ernährung
In Deutschland hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) im Jahr 2016 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie über den ernährungsphysiologischen Wert einer veganen Ernährung kritisch resümiert: „Bei einer rein pflanzlichen Ernährung ist eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen nicht oder nur schwer möglich. Der kritischste Nährstoff ist Vitamin B12. Zu den potenziell kritischen Nährstoffen bei veganer Ernährung gehören außerdem Protein bzw. unentbehrliche Aminosäuren und langkettige n3-Fettsäuren sowie weitere Vitamine (Riboflavin, Vitamin D) und Mineralstoffe (Kalzium, Eisen, Jod, Zink, Selen). Für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche wird eine vegane Ernährung von der DGE nicht empfohlen.“ Auch die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) teilte in einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2016 mit, dass sie eine vegane Ernährung nicht für die breite Bevölkerung empfiehlt und dass vor allem bei einer veganen Ernährung für Kinder, Schwangere oder Stillende ein besonderes Augenmerk auf die Nährstoffversorgung gelegt werden muss.Entgegen der etwas unglücklichen Formulierung der Zusammenfassung leisten die Autoren der DGE-Veröffentlichung aber grundsätzlich sehr gute Arbeit und liefern einen umfangreichen Bericht über die Datenlage zu veganer Ernährung, der insgesamt weitaus positiver ausfällt, als es die Zusammenfassung vermuten lässt. So schreiben die DGE-Autoren: Es „[…] kann angenommen werden, dass eine pflanzenbetonte Ernährungsform (mit oder ohne einen geringen Fleischanteil) gegenüber der derzeitig in Deutschland üblichen Ernährung mit einer Risikosenkung für ernährungsmitbedingte Krankheiten verbunden ist“. Außerdem ergänzen sie: „[…] durch eine gezielte Lebensmittelauswahl und gute Planung ist es möglich, eine vegane Kost zusammenzustellen, bei der kein Nährstoffmangel auftritt.“ Die Autoren schreiben, dass jede Ernährungsweise, die essenzielle Nährstoffe und Energie nicht bedarfsgerecht zuführt, ungünstig auf die Gesundheit wirken kann und empfehlen daher Anhängern jeder Ernährungsform, auf eine gut geplante Ernährung zu achten. Damit die DGE eine vegane Ernährung als bedarfsgerecht ansieht, müssen laut ihrem Positionspapier vor allem drei wichtige Punkte erfüllt werden, die für die meisten vegan lebenden Menschen keine große Schwierigkeit darstellen sollten:
Die dauerhafte Einnahme eines Vitamin-B12-Präparats sowie eine regelmäßige Kontrolle der B12-Werte. Eine gezielte Zufuhr nährstoffdichter und gegebenenfalls angereicherter Lebensmittel zur Vorbeugung von Mängeln an kritischen Nährstoffen. Eine gezielte Ernährungsberatung durch eine Fachkraft, um ein Grundverständnis über die eigene Ernährung zu erlangen
Die DGE nennt in ihrem Positionspapier zwar die Studien, die die Möglichkeit aufzeigen, dass Vitamin B12 in gewissen Algenarten ebenso wie in mit den richtigen Bakterien fermentierten Produkten vorhanden sein kann. Sie rät jedoch strikt davon ab, diese unsicheren Quellen für die eigene Bedarfsdeckung zu verwenden. Dies steht im Einklang mit den Empfehlungen anderer Gesellschaften und Fachleute, die ebenfalls explizit zur Einnahme von Vitamin-B12-Supplementen oder angereicherten Lebensmitteln raten. Diese Empfehlung gilt aber nicht nur für Veganer, sondern wird in den USA außerdem vom National Institute of Health (NIH) allen Menschen über 50 Jahren unabhängig von ihrer Ernährungsweise empfohlen, um die sinkende Aufnahmerate an Vitamin B12 aus Lebensmitteln mit steigendem Alter zu kompensieren.Die zweite Voraussetzung der DGE zur gezielten Zufuhr nährstoffdichter Lebensmittel sowie die ein oder andere unterstützende Nahrungsergänzung hilft Menschen vieler Ernährungsformen, sich im Alltag bedarfsgerecht zu ernähren, und so kann diese Empfehlung auch für vegan lebende Menschen nur begrüßt werden. Neben der ausreichenden Mikronährstoffzufuhr sollte auch ein Fokus auf der Kalorienbedarfsdeckung insgesamt liegen.Als dritte Voraussetzung für eine bedarfsgerechte vegane Ernährung wird von der DGE eine gezielte Beratung durch eine Fachperson genannt. Dieser Informationsbedarf war nicht nur einer der Gründe für die Entstehung meines Buches „Vegan-Klischee ade!“, sondern auch für die Konzeption meiner Ernährungsseminarreihe „Mehr Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden durch pflanzliche Ernährung“, die mehrmals jährlich in konzentrierter Form das benötigte Basiswissen vermittelt, um sich in jeder Phase des Lebenszyklus’ bedarfsdeckend zu ernähren. Wie man sieht, sind die Einwände der DGE gegenüber einer veganen Ernährung für Erwachsene Menschen recht gering. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da eine vollwertige vegane Ernährung eine sehr hohe Deckungsgleichheit mit den Empfehlungen der DGE hat. In ihrer Veröffentlichung „Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE“ empfiehlt die DGE in Bezug auf die Menge an tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln in der Ernährung: »Wählen Sie überwiegend pflanzliche Lebensmittel.« Die DGE schreibt zu den Ähnlichkeiten zwischen ihren offiziellen Empfehlungen und einer veganen Ernährung: „Ein Vergleich der vollwertigen Ernährung nach den Empfehlungen der DGE mit den Empfehlungen für eine vegane Ernährung nach der Gießener vegetarischen Lebensmittelpyramide zeigt, dass die Basis jeweils gleich ist und die entsprechenden lebensmittelbezogenen Empfehlungen sehr ähnlich sind“.
Vegan bedeutet nicht immer vollwertig pflanzlich
Während der gesundheitliche Wert einer veganen Ernährung in Deutschland also durchaus gemischt dargestellt wird, sind viele andere Länder wie Australien, den USA, Kanada, Großbritannien und weitere wesentlich konkreter. So schreibt beispielseweise das „National Health and Medical Research Council of Australia (NHMRC)“ bereits im Jahr 2013: „Adäquat geplante vegetarische Ernährungsformen, inklusive veganer Ernährungsweisen, sind gesund und bedarfsdeckend. Gut geplante vegetarische Kostformen sind für Menschen in jeder Lebensphase angemessen. Menschen, welche einer veganen Ernährung folgen, können ihren Nährstoffbedarf decken, so lange sie auch ihren Kalorienbedarf decken und eine angemessene Vielfalt an pflanzlichen Lebensmittel über den Tag verteilt konsumieren“. Ähnliche Aussagen treffen auch die Ernährungsfachgesellschaften der anderen erwähnten Länder.
Obwohl der Konsens aller Ernährungsfachgesellschaften aller Länder lautet, dass Menschen wesentlich mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel verzehren sollten und viele Gesellschaften auch rein pflanzliche Ernährungsweisen in jeder Lebensphase empfehlen, ist die Gesamtheit der wissenschaftlichen Datenlage zu rein pflanzlichen Ernährungsweisen dennoch gemischt und nicht in jeder Studie schnitten vegan lebende Menschen durchwegs besser als Mischköstler ab. Um wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können, wäre es ideal, auf eine große Reihe an Interventionsstudien mit genau festgelegten Speiseplänen zurückgreifen zu können, in denen es Kontrollgruppen gibt und deren Studiendesign keinen Spielraum für Spekulation in der Ernährungs- und Lebensweise der Probanden lässt. Leider sind derartige Studien schwer umsetzbar, da man in Ernährungsfragen unweigerlich lange Beobachtungszeiträume zur Beurteilung der mittel- und langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen benötigt und sehr viele Einflussfaktoren die gesundheitlichen Langzeitfolgen gewisser Ernährungsinterventionen beeinflussen. Selbst bei der Untersuchung eines einzelnen Nährstoffs oder eines einzelnen Nahrungsmittels und seiner gesundheitlichen Auswirkungen gibt es oft viele Widersprüche in der Summe der Daten und um ein noch Vielfaches höher ist die Anfälligkeit für Fehler und Ungenauigkeiten beim Vergleich der gesamten Ernährungsweise von verschiedenen Gruppen untereinander. Eine klare und abgegrenzte Definition zur wissenschaftlichen Untersuchung bietet die vegane Ernährung nämlich nicht, da das einzige verbindliche Kriterium der veganen Ernährung lautet, dass keine tierischen Produkte verzehrt werden. Dies lässt allerdings ein sehr weites Feld an unterschiedlichen Ernährungsweisen zu. Diese können entweder sehr gesund oder weniger gesund sein, weil es mittlerweile beinahe die gesamte Reihe an ungesundem Fast- und Junkfood sowie die meisten Süßigkeiten und Softdrinks auch in einer veganen Variante gibt. Ebenso wichtig wie die Definition, was in einer veganen Ernährung nicht gegessen wird, wäre eine Definition, woraus eine gesunde vegane Ernährung zusammengestellt ist.
Viele Menschen entscheiden sich in erster Linie aus tierethischen Motiven für eine vegane Ernährung und haben möglicherweise nicht immer den Anspruch, dass ihre Ernährung sonderlich vollwertig und gesund sein muss. In dieser Ernährungsweise spielen dann ebenso hoch verarbeitete Produkte, Weißmehl, Zucker und größere Mengen an Salz und versteckten (Trans-)Fetten eine Rolle. Andere Menschen entschließen sich hingegen überwiegend aus gesundheitlichen Motiven für eine vegane Ernährung und wählen vollwertige Getreide, Hülsenfrüchte, Obst, Gemüse, Nüsse und Samen und achten auf kritische Nährstoffe.
Beide Gruppen werden in Studien zu einer Kategorie zusammengefasst, obwohl sich ihre Ernährungsweisen und oft auch die gesamte Lebensweise von Grund auf unterscheiden. Dies führt dazu, dass zum einen eventuell die negativen Effekte einer veganen Junkfood-Ernährung durch die gesundheitsmotivierten Veganer in der gleichen Probandengruppe relativiert werden, und zum anderen dazu, dass die Junkfood-Veganer in der Gruppe die gesundheitlichen Vorteile der vollwertigen Ernährung der gesundheitsbewussten Veganer relativieren. In zukünftigen Studien sollte also nicht nur zwischen vegan, vegetarisch und mischköstlich unterschieden werden, sondern auch differenziert werden, welche Qualität von veganer Ernährung die Teilnehmer praktizieren.
Daher verwundert es auch nicht, dass eine vegane Ernährung nicht in jeder Studie so gut abschneidet, wie man es von einer vollwertigen pflanzlichen Ernährung erwarten würde. Vergleicht man beispielsweise die Ernährungsmuster der veganen Gruppe in der sogenannten „Adventist Health Study 2 (AHS-2)“ mit jener aus der „EPIC Oxford Study“, so wird deutlich, dass letztere durchschnittlich eine wesentlich geringere Zufuhr an Ballaststoffen und Vitamin C aufwies, was wiederum auf eine geringere Zufuhr an ballaststoffreichen Vollkorngetreide und Hülsenfrüchten sowie Vitamin-C-reichem Obst und Gemüse schließen lässt. Hierbei handelt es sich also eindeutig um zwei qualitativ sehr unterschiedliche vegane Ernährungsweisen, die man mitnichten gleichsetzen kann. Die Quintessenz ist, dass zwar jede vollwertige rein pflanzliche Ernährung automatisch eine vegane Ernährung ist, aber nicht jede vegane Ernährung auch eine vollwertige rein pflanzliche Ernährung darstellt. Das Ziel sollte es aber sein, nicht nur Tier- und Umweltschutz mit Messer und Gabel zu betreiben, sondern auch die eigene Gesundheit zu schützen. Diesem Ziel kann nur eine Ernährung entsprechen, die nicht die ungesunden westlichen Ernährungsmuster mit veganen Lebensmitteln nachstellt, sondern als vollwertige vegane Ernährung die Speisen völlig neu überdenkt: Mit vermehrt Vollkorn statt Weißmehl, Süße bevorzugt aus Früchten statt raffiniertem Zucker, proteinreichen Hülsenfrüchten statt Proteinisolaten, Fetten bevorzugt aus Nüssen, Samen und anderen fettreichen vollwertigen Lebensmitteln sowie weniger isolierten Fetten.
Die Gründe der unterschiedlichen Positionspapiere
Eine letzte Frage steht weiterhin im Raum: Warum wird in Deutschland eine rein vegane Ernährung im Gegensatz zu anderen Ländern in gewissen Lebensphasen nicht empfohlen? Während einige Menschen hier Verschwörungen vermuten, ist die tatsächliche Antwort vermutlich eher in der verfügbaren Lebensmittelauswahl in Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen, die sich recht deutlich von anderen Ländern wie den USA unterscheidet. Zum einen verhindern die EU-Richtlinien, dass Bioprodukte wie biologische Pflanzendrinks hierzulande mit wichtigen Vitaminen wie Vitamin B12, Vitamin D und weiteren angereichert werden, was wiederum in Amerika durchaus möglich ist. Außerdem sind deutsche Böden wesentlich selenärmer als viele Böden in den USA und Kanada, wodurch vegan lebende Menschen in Deutschland sich proaktiv um ihre Selenversorgung kümmern müssen, während diese in den USA meist automatisch gewährleistet ist. Auch weitere Beispiele zu den Unterschieden in der Nährstoffversorgung könnten an dieser Stelle noch angeführt werden. Es ist dabei auf keinen Fall so, dass diese und weitere oftmals als „kritisch“ bezeichnete Nährstoffe in einer veganen Ernährung in Deutschland gar nicht zu decken wären, aber vegan lebende Menschen benötigen hierzulande einfach ein bisschen mehr Grundverständnis für ihre Ernährung, um eine optimale Bedarfsdeckung zu erzielen. Wie eine Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2016 allerdings ergab, beschäftigen sich vegan lebende Menschen überdurchschnittlich viel mit ihrer Ernährung und sind entsprechend gut aufgeklärt. Daher resümiert auch das BfR in seiner Stellungnahme, dass das Risiko einer Mangelversorgung bei veganer Ernährung in Deutschland wesentlich geringer als oftmals angenommen ist und bestätigt erneut, was man seit vielen Jahren weiß: Jede Ernährungsweise hat kritische Nährstoffe und es gilt stets einen Fokus auf die ausreichende Bedarfsdeckung zu legen. Wird dies im Rahmen einer vollwertigen pflanzlichen Ernährung beachtet, kann diese für jede Person in jeder Phase des Lebenszyklus bedarfsdeckend und gesundheitsförderlich sein und kann im Vergleich zu einer westlichen Mischkost mit gesundheitlichen Vorteilen einhergehen.
INFO:
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