Wasser ist die Grundlage des Lebens — aber wie lange reicht es noch?

Wie viel Sorglosigkeit dürfen wir uns eigentlich noch erlauben, wenn es um eine der wichtigsten Ressourcen unseres Planeten geht? Wir sprachen mit dem Klimaexperten Prof. Dr. Dieter Gerten.

Autor: Alexander Nym

Die Sonne lacht, die Menschen drängen ins Freie an die See- und Flussufer. In diesem Jahr wohl noch mehr als sonst, da für viele dank Corona Fernreisen und Sommerurlaub ins Wasser fallen, sie dieses aber trotzdem genießen wollen. Der absehbare Ansturm wirft die Frage auf, in welchem Zustand unsere Gewässer eigentlich sind. Wir haben Prof. Dr. Dieter Gerten gefragt, der an der Humboldt-Universität globale Klimatologie und Hydrologie unterrichtet, und seit 20 Jahren am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erkundet, wie sich Erdklima, Ökosysteme und der Wasserkreislauf verändern. Was sind die Gründe, was die Folgen, und auf welchen Wegen kann es uns gelingen, den Auswirkungen zu begegnen?

Der Name des PIK bringt den Kernbereich eurer Arbeit auf den Punkt, aber könntest du trotzdem kurz erläutern, was genau ihr da macht?
Ja, eine leitende Fragestellung ist: „Was passiert, wenn der Klimawandel weiter voranschreitet, mit der Umwelt und den Gesellschaften?“ Dafür werfen wir Langzeitblicke in die Zukunft und Vergangenheit, um die aktuellen Klimaänderungen im Kontext der Erdgeschichte verstehen und bewerten zu können. Und Maßnahmen abzuleiten, um weiteren Klimawandel zu vermeiden – und sofern das nicht gelingen sollte: Was kann man dann noch tun, sich an die Folgen anzupassen? In meiner Abteilung ‚Erdsystemanalyse‘ beschäftigen wir uns unter anderem mit Wasser: Ohne Wasser kein Pflanzenwachstum, keine Landwirtschaft, keine funktionierenden Industrien, Haushalte … Und: Nicht nur das Süßwasser, sondern auch Landfläche ist begrenzt, die man also ebenso schonend behandeln müsste, zumal deren Nutzung auf Kosten der Biodiversität bereits viel zu weit fortgeschritten ist. Der Artenverlust ist in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen, in erster Linie wegen Landumwandlungen für Nahrungsmittel produktion, aber auch durch Verschmutzung und Übernutzung von Gewässern und Meeren. Wir betrachten die Klimafrage im Kontext der gesamten Veränderungen des Erdsystems, also die verschiedenen Umweltdimensionen des Planeten. Es geht auch um zunehmende Umweltverschmutzung, Wasserübernutzung, Waldrodungen, Ozeanversauerung und andere Veränderungen in den Meeren: Solche Aspekte werden wir in der nächsten Phase des Instituts unter den Gesichtspunkten „Planetare Grenzen“ und „Globale Gemeinschaftsgüter“ noch mehr integrieren, als es bisher schon der Fall war.

Was ist damit gemeint?
Das relativ neue Konzept der Planetaren Grenzen wirft einen globalen Blick auf die
verschiedenen Umweltänderungen, also neben Klimawandel auch Wassernutzung,Waldrodung, etc., und wie diese Probleme miteinander zusammenhängen. Stichwort Anthropozän, das Mensch-Zeitalter: Wir greifen derart stark in die globale Umwelt ein, dass man von einer neuen Epoche sprechen kann, wo die Erde so umgestaltet ist, dass das auf natürlichem Weg gar nicht hätte passieren können. Die Aufgabe ist jetzt, diese Entwicklungen gemeinsam global zu betrachten und Pfade aufzuzeigen, wie man innerhalb definierter Grenzen des Eingriffs in die Umwelt verbleibt, damit nicht das gesamte Erdsystem auf die schiefe Bahn gerät. So ein Abdriften oder gar Kippen kann durch den Klimawandel allein geschehen, aber auch durch die Schädigung der Biosphäre – insbesondere wenn diese Veränderungen zusammenwirken, können wir in einen Zustand geraten, der den Planeten wenig lebensfreundlich für eine Weltbevölkerung von mehreren Milliarden macht.

Es gibt auch Stimmen, die sagen, die Menschheit selbst sei an ihre planetare Grenze geraten; die Erde könne gar nicht so viele Menschen ernähren. Stimmt das?
Nein, nicht per se. Eine explorative Studie, die wir jüngst gemacht haben, kam zu dem Schluss, dass es im Prinzip ginge, weltweit genug Nahrungsmittel zu produzieren, auch für 10 Milliarden, unter Einhaltung dieser planetaren Umweltgrenzen. Das Potenzial ist da; es geht um die Umsetzung. Das heißt in der Konsequenz: Naturschutzmaßnahmen,effizientere Wasser- und Nährstoffnutzung in der Landwirtschaft, veränderte Ernährungsweise inklusive geringerem Konsum von Fleisch und anderen tierbasierten Produkten, und Vermeidung von Lebensmittelverlusten vom Feld bis in den Supermarkt. Was uns jetzt in den Szenarien fehlt, ist der nächste Schritt: Welche gesellschaftlichen und politischen Veränderungen sind wo nötig, um diesen nachhaltigen Pfad einzuschlagen und alle diese Aspekte zu integrieren. Eine Megaaufgabe der nächsten Jahre, solche sozialen Dynamiken zu verstehen und zu simulieren.

Wenn jemand wie du sagt, es ist machbar, und dieser Gedanke in die Breite geht und in sagen wir zehn Jahren, wenn die FFF-Generation an den Schaltstellen sitzt …
Das ist das Interessante, dass es auch gesellschaftliche Umbrüche und Kipppunkte gibt. Wenn z.B. eine genügende Masse in der Gesellschaft umdenkt oder bestimmte nachhaltige Technologien einen Vorbildcharakter entfalten, kann die Entwicklung ganz schnell in andere Richtungen umschlagen; vielleicht passiert das ja, was die Umweltfragen angeht, nun einmal so richtig und massiv. Es gibt auch die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN und das Klimaabkommen von Paris, bei dem die USA jetzt wieder dabei sind, was wiederum den globalen politischen Boden für solche Dynamiken bereitet. Dieses Jahrzehnt ist ohnehin ein Nadelöhr für diese Prozesse – jedes weitere verschlafene Jahr verschärft die Situation in der Zukunft. Daher ist auch die BVerfG-Entscheidung zum Klimaschutzgesetz so interessant, die genau das zum Thema hat: Dass wir uns jetzt wirklich für die Zukunft aufstellen müssen, und mit welchen Maßnahmen wir den Klimawandel vermeiden wollen. Die Zukunftsgerechtigkeit ernst zu nehmen, ist eine wichtige Wendung auch in der Gesetzgebung.

Womit müssen wir im Sommer rechnen, wenn wegen Corona weniger Fernreisen unternommen werden, und die Leute vermehrt die Seen und Flüsse zum Baden nutzen werden?
Wenn das Wetter gemeint ist: Konkrete Jahreszeitenvorhersagen sind für unsere wechselhaften Breiten nicht möglich. Aber wir haben während der Dürren in den letzten Jahren gesehen, dass man auch in Deutschland Wassermangel erleben kann. Diese Jahre 2018-20 – recht trockene, heiße Sommer – sind ein gutes Indiz, was uns in Zukunft als Normalzustand erwarten würde, wenn der Klimawandel nicht gebremst wird. Aber vor feuchtwarmen Phasen mit Überflutungen sind wir ebenso wenig gefeit. Insofern wird die Wasserfrage in Deutschland auch bedeutender als bisher.

Manche Winzer bewässern bereits Reben, um Ertragseinbußen entgegenzusteuern. In Lüneburg gibt es Streit, weil Coca Cola plant, das dortige Wasser für die Getränkeproduktion zu nutzen, und in Brandenburg, quasi in der Nachbarschaft des PIK, baut Tesla eine Megafabrik, deren Verbrauch stündlich 400.000 Liter Wasser betragen soll. Sind da nicht Konflikte vorprogrammiert?
Vor allem bei Wassermangel stellt sich die Frage, wie zwischen verschiedenen Nutzer*innen die Balance herzustellen ist: Ist ein bestimmter Bedarf gerechtfertigt,lässt er sich drosseln, wie ist das Wasser nach fairen Gesichtspunkten zu verteilen? Deutschland wird sich noch der Herausforderung stellen müssen, wie man eine faire Wasserverteilung unter verschärften Dürrebedingungen und unter ethischen Gesichtspunkten organisieren würde. Die letzten Jahre waren abermals ein Weckruf, dass wir zunehmend mit Extremen werden umgehen müssen. Wir kennen die immer wieder auftretenden Hochwasserextreme: Rheinhochwasser, Elbehochwasser, Oderhochwasser – aber gleichzeitig sehen wir zunehmend auch Dürren, die andere Seite der Medaille. Man muss sich letztlich auf beides vorbereiten und langfristig denken. Diesen steilen Anstieg in der Häufigkeit der Extremereignisse, und auch deren Intensität und räumliche Ausdehnung, gibt es im Übrigen nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Teilen der Welt.

Wie ist der Zustand der Gewässer hier in Deutschland?
Die Wassermenge kann abnehmen, zumindest in einzelnen Jahren wegen der steigenden Dürrewahrscheinlichkeit. Aber auch die Qualität ist bei weitem nicht so gut, wie man eigentlich denken würde. Zwar hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten, aber es gibt immer noch eine Menge roter Flecken auf der Karte. Nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie verpflichten sich die Länder, anspruchsvolle Standards einzuhalten, was die biologische und chemische Qualität von Fließgewässern und Seen angeht. Allerdings hinkt man den selbstgesetzten Erwartungen hinterher. Es gibt weiterhin punktuelle Einträge von Schad- und Nährstoffen etwa aus Industrieanlagen, aber auch flächenmäßige über Dünger und Gülle aus der Landwirtschaft. Das Muster dieser Einträge und der Gewässerbelastung ist in jedem Fluss, Flussabschnitt, See oder Grundwasserkörper anders. Besonders der Nitrateintrag durch die intensive Landwirtschaft ist ein Thema, weshalb vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt wurde, dass Deutschland bitte eine Ziele bezüglich der Senkung der Nitratbelastung des Grundwassers erfüllen möge. Ich denke nicht, dass das Nitrat die Trinkwasserversorgung an sich gefährdet, weil wir Filtertechniken haben, um dem entgegenzuwirken; aber es ist natürlich ein ökologisches Problem, wenn wir Böden und Grundwasser damit belasten. Plus die anderen Stoffe, z.B. von Medikamenten (inklusive Tierarzneimitteln) und Pestiziden, die in den Gewässeruntersuchungen auch immer wieder detektiert werden. Es gibt also einige
Problemfelder und -gebiete, sodass wir in Deutschland allenfalls mittelgut fahren,was die Gewässerqualität angeht.

Und wie steht’s um die (Bade-)Seen?
Da ist gebietsweise das Problem übermäßiger Nährstoffeintrag, der sich vor allem im Sommer bemerkbar machen kann, wenn sich der See bei hohen Temperaturen schichtet.Dann durchmischt sich das Seesystem nicht mehr gut, was quasi zur Überdüngung in den oberen Schichten führt und damit zur Algenblüte, auch der toxischen Blaualgen; die sollte man also besser nicht berühren oder gar das umgebende Wasser schlucken.

Auch die Ostsee hat seit Jahren ein massives Algenproblem …
Bei einigen Meeren und Küstengebieten ist es ähnlich: Stickstoff- und Phosphoreinträge und andere Schadstoffe zeitigen ihre Folgen. Bei höheren Temperaturen kippen insbesondere seichte Gewässer leichter um. Man kann sich das ungefähr so vorstellen, dass die Stoffe dank mangelnder Durchmischung vor Ort stehen bleiben und sich weiter anreichern – ebenso Bakterien, die sich bei den steigenden Temperaturen besser vermehren. Extremfälle sind die durch höhere Temperaturen, Nährstoffeinträge und Bakterien verursachten sauerstoffarmen Todeszonen, die es übrigens auch in Seen und Flüssen gibt. Das ist ein dramatischer Begriff, aber für die Organismen, speziell die Fische in den betroffenen Gewässern stimmt das natürlich. 2018 gab es während des trocken-heißen Sommers streckenweise überdies so wenig Wasser in den Flüssen, dass Fische und andere Organismen keinen Lebensraum mehr fanden, und/oder die Sauerstoffversorgung so absank, dass massives Fischsterben eingesetzt hat.

Kann sich so ein Fluss im Herbst/ Winter regenerieren, oder drohen dann wieder Hochwässer?
Ob sich das jeweilige Ökosystem erholen kann, ist vom Einzelfall abhängig, von der Art und Dauer der Störung der natürlichen Bedingungen. Aber der Artenschwund bzw. Rückgang an Populationen in Gewässern und Feuchtgebieten, weltweit und auch in Mitteleuropa, ist immens, sogar stärker als an Land, was aus mir nicht ganz erklärlichen Gründen weniger Aufmerksamkeit erregt. Übernutzung, Überfischung, Verschmutzung und Überregulierung sind die Gründe.

Überregulierung?
Die Begradigung oder Umleitung von Flüssen, Talsperren und Staudammbau, also die Regulierung des natürlichen Flusslaufes. Gemäß der Wasserrahmenrichtlinie gibt es seit einiger Zeit allerdings Bestrebungen für einen Rückbau. Die natürlichen Auensysteme zu regenerieren, sodass man wieder intaktere Ökosysteme ermöglicht und natürliche Überflutungsflächen für Hochwässer schafft. Bei einem begradigten Lauf breiten Hochwasser sich schneller aus und können Innenstädte erreichen, aber Auen und Überflutungsflächen dämpfen Hochwasserwellen.

In ärmeren Regionen der Welt schreiten Flächenumwandlung, Erosion usw. voran, und bei uns findet Renaturierung statt, weil man erkannt hat, dass das eine Sackgasse ist …
Im Prinzip schon. Man muss auch sagen, dass wir unsere Eingriffe in die Umwelt mit guten Versorgungssystemen quasi verdeckt haben. Nun, da gewisse Schäden bzw. Mängel offensichtlich werden, müssen wir die Systeme anpassen, teils „zurück zur Natur“. Speziell beim Klimawandel sieht man: Oh, unsere Talsperren können doch leer laufen, wenn nicht mehr genug Regennachschub kommt, oder unsere Flüsse können trockenfallen mit den genannten Ökosystemschäden und auch Versorgungs- und Navigationsproblemen. Das Eindringen in komplexe Ökosysteme und die Massentierhaltung fördern Pandemien, oder die Böden und Gewässer ertragen die Verschmutzung nicht mehr, die unsere hoch technisierte Landwirtschaft hervorruft, usw. Wir haben uns einen guten Versorgungszustand erkauft, aber angesichts der ökologischen und sozialen Probleme werden wir noch viel mehr Anstrengungen wie Renaturierung unternehmen müssen: Schonende Wassernutzung, weniger Entwaldung, Aufforstung … all diese Maßnahmen gehören zum Erhalt stabiler und intakter Landschaften, auch Kulturlandschaften. Es gibt natürlich Länder, wo diese Probleme viel gravierender sind, etwa in Form dramatischer Wasserverknappungen. Da wir nur den einen Planeten haben, brauchen wir eben einen globalen Blickwinkel über die verschiedenen Umweltdimensionen hinweg, und das nicht nur als Forscher*in, sondern auch als Politiker*in. Sich nicht nur mit Agrarpolitik zu beschäftigen, oder nur mit Wasserpolitik, oder anderen Umweltpolitiken – es gilt, gemeinsame, den eigenen Bereich und die eigene Region übergreifende Lösungen zu erarbeiten. Das ist die Herausforderung des 21. Jahrhunderts, und der Klimawandel ist da nur eins, wenn auch vielleicht das größte, von vielen Problemfeldern.

Wenn man sich ansieht, dass sich eine kleine aber laute Minderheit an gewissen Denkmustern festkrallt, von Klimawandel- bis zu Pandemieleugnung, dann artikuliert sich damit auch eine eklatante Wissens- bzw. Wissenschaftsfeindlichkeit. Wie gehst Du damit um?
Misstrauen ist es wohl auch, aber gleichzeitig das angebliche Bemühen, sich das „richtige“ Wissen zusammenzusuchen. Also eine Rosinenpickerei, um dann vorzutäuschen: „Ich bin ja wissenschaftlich informiert – aber aus den nichtoffiziellen Kanälen, die eigentlich recht haben“. Das scheinen oft Leute zu sein, die den Wissenschaftsbetrieb nicht kennen und nicht wissen, wie hart es eigentlich ist, ein Paper durchzubekommen: Jahrelange Arbeit erst einmal, wofür es ein bestimmtes Methodenspektrum und eine Kenntnis des aktuellen Wissensstands braucht. Dazu Fragen wie: Wie eng grenze ich mein Thema ein, wie weit öffne ich es, was kann ich robust aussagen, was nicht? Und wenn man das Ergebnis dann hat, schreibt man’s auf – auch ein teils langwieriger Prozess – und darauf folgt das Peer Review von mindestens zwei Gutachter*innen. Da kriegst du in der Regel viele (mehr oder weniger hilfreiche) Kommentare, die dich nochmals ein paar Monate beschäftigen, um die Studie abzusichern. Wer dann wie nach Veröffentlichung auf die Publikation reagiert – ich kenne Reaktionen aller Art – das liegt natürlich nicht in deiner Hand. Vielleicht bin ich bei anstrengenden Diskussionen selber eher jemand, der gern noch mal erklärt, und auch nicht übertreibt oder polarisiert – aber seine Zeit auch nicht mit der Widerlegung alberner Behauptungen verschwenden kann. Ich zeige nach Möglichkeit auch Lösungsaspekte auf.Für Klima- und Wasserfragen gibt’s ja ein ganzes Spektrum an Pfaden und Möglichkeiten, die wir in globalen Simulationen auch systematisch durchrechnen. Die Umsetzung der Forschung in der Gesellschaft obliegt dann anderen, wofür ich gern meine Erkenntnisse vermittele.

Vom Komplexen zum Konkreten – wie kann man bei diesen großen Zusammenhängen auch im Kleinen einen positiven Effekt bewirken?
Es gibt einen Hebel über das, was wir essen: Wie viel Wasser ging in die Produktion des Nahrungsmittels ein, wieviel Land, wie viele Arten könnten durch die Rodung von Flächen verloren gegangen sein, um dieses Produkt zu erzeugen? Zum Beispiel für Sojaanbauflächen zur Verfütterung an Tiere. Ein Fünftel des Bewässerungswasserverbrauchs ist für Tierfuttermittel, das ist schon eine Hausnummer. Es gibt noch weitere Hebel: Mit welchen Verkehrsmitteln bewegen wir uns, oder welche natürlichen Ressourcen können wir am Arbeitsplatz, in der Firma, am Institut einsparen. Ich rege auch immer dazu an, in den globalen Zusammenhängen zu denken. Nicht nur zu sehen, was vor der eigenen Haustür getan werden kann, sondern: Was sind das für Produkte, die ich konsumiere, wie und wo wurden die hergestellt? Das inkludiert am Ende auch soziale Aspekte; wir kennen das von Kleidung, die mit Kinderarbeit oder unter ähnlich desaströsen Umständen hergestellt wird. Oder die Fleischproduktion im mittleren Westen der USA, in Australien, in den Trockengebieten: Eine aus Wassersicht negative
Bilanz für solche Exportprodukte. Ähnlich die bewässerten Tomaten aus Südspanien; dort ist das Wasser oft knapp, aber riesige Felder werden bewässert für den Export, während man das Wasser vor Ort sicher auch anders nutzen könnte. Also: immer mitdenken, wieviel Wasser wo für die Herstellung eines Produkts benötigt wird.

Heißt das überspitzt gesagt, dass man sich am Badesee weniger Gedanken machen muss, wieviel Sonnencreme man ins Wasser trägt, als über die mitgebrachten Snacks? Bravouröses Beispiel; könnte durchaus sein, dass das relevanter ist. Wasser- und Flächenverbrauch sind Faktoren, die bei allen Produkten – dem Snack und aber auch der Sonnencreme – eine Rolle spielen. Es ist vielleicht schwierig, an diese teils speziellen Informationen heranzukommen, aber schon der Versuch ist es wert, darüber nachzudenken, und sich Beispiele vorzustellen, wie das alles zusammenhängt. Bei Wasserfragen muss man vor Ort nach den passenden Lösungen suchen, ohne aber das globale Gesamtbild aus den Augen zu verlieren. Eigentlich wieder die alte Formel: Global denken, lokal handeln. Darüber lässt sich am See doch gut sinnieren.

INFO:
Prof. Dieter Gerten, geb.1970, ist studierter Geograf (Universität Trier, 1997), promovierter Ökologe (Institut für Gewässerökologie & Binnenfischerei Berlin und Universität Potsdam, 2001) und habilitierter Geograf (Humboldt-Universität zu Berlin, 2013). Seit 2016 hat er eine Professur für „Klimasystem & Wasserhaushalt im Globalen Wandel” am Geografischen Institut der HU Berlin inne und ist zugleich Forschergruppenleiter und Koordinator für Erdmodellierung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Gerten veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt zur globalen Wassersituation (siehe Buchtipp). Er ist Mitautor des letzten IPCC-Sachstandsberichts und der jüngsten Referenzpublikation zum Konzept der Planetaren Grenzen. Mehr dazu findest du unter pik-potsdam.de

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