„Möhre liebt Schnitzel“, „Tofu küsst Steak“: Schon vor einigen Jahren erschienen diese Kochbücher, die auf ein Phänomen aufmerksam machen, dass wir vermutlich alle kennen, sei es aus eigener Erfahrung oder als Beobachter*in: Beziehungen zwischen Veggies und Fleischfans. Über die Tücken und Chancen solcher Liaisons …
Autorin: Carmen Schnitzer
„Liebe ist der Entschluss das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen“, schrieb einst der Schriftsteller Otto Flake (1880-1963).
Nun, … das kriegen die meisten von uns eher so mittelgut hin, nehme ich an, nicht wahr? Spätestens wenn die Rosarote-BrillenZeit vorbei ist, geht‘s ans Eingemachte und wir müssen uns irgendwie mit dem Menschen zusammenraufen, den wir uns als Partnerin ausgeguckt haben, sofern wir wollen, dass die Beziehung weiter besteht. Und da sind es dann nicht selten die „Einzelheiten“, die uns ganz fuchsig machen. Wer als Veganer*in einen (oder mehrere) Fleischfan(s) liebt, sieht sich besonderen Herausforderungen ausgesetzt, und umgekehrt gilt das natürlich ebenso. Denn gegessen wird immer, das Thema ist also permanent irgendwie „da“. Dass es für die Liebe nicht unbedingt förderlich ist, sein omnivores Gegenüber permanent als „Mörderin“ zu beschimpfen oder den*die veganen Liebsten als „Spaßbremse“, leuchtet ein, und da dürften sich die meisten Menschen in einer solchen Beziehung auch einigermaßen im Griff haben. Nichtsdestotrotz bieten die gegensätzlichen Essgewohnheiten natürlich Zündstoff, denn gemeinsame ethische Werte sind in der Regel eine wichtige Grundlage für eine stabile Partnerschaft, das ergeben Studien aus der Paarforschung immer wieder. Und einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsunternehmens POSpulse zufolge haben sich 81 Prozent aller Veganerinnen (unter anderem) aus ethischen Gründen für ihre Ernährungsweise entschieden. Je zentraler ein ethischer Wert für uns ist, umso entscheidender ist es, dass eine Partner*in diesen Wert teilt, auch das ergeben psychologische und sozialwissenschaftliche Studien immer wieder. Unter diesem Aspekt ist es nicht verwunderlich, dass Veganismus auch das Flirtverhalten beeinflusst. 2007 geisterte der Begriff „veganer Sex“ durch die Medien, da die neuseeländische Wissenschaftlerin Annie Potts in einer Studie mit 157 Teilnehmer*innen herausgefunden hatte, dass Veganerinnen zunehmend den Austausch von Körperflüssigkeiten mit Menschen, die Fleisch essen, meiden. „Ich möchte nicht intim mit jemand werden, dessen Körper buchstäblich aus den Körpern anderer besteht, die für seine Nahrung sterben mussten“, zitierte die Forscherin eine Teilnehmerin. Wie aussagekräftig diese Studie war und/ oder heute noch ist, sei mal dahingestellt. Dass der Aspekt „Was isst der*die andere?“ aber einen gewissen Einfluss auf die Partner*innenwahl haben kann, belegen auch andere Nachforschungen. Bei einer Umfrage der alternativen Dating-Plattform Gleichklang und dem Info-Portal vegan.eu etwa kam heraus, dass sich 85 Prozent aller Veganerinnen, die ihrem Singledasein ein Ende setzen wollen, einen zumindest vegetarisch lebenden Partnerin wünschen,gut die Hälfte möchte, dass der*die Auserwählte ebenfalls vegan lebt. Nun wissen wir aber: Die Liebe ist ein seltsames Spiel, das Leben kein „Wünsch dir was“, und man verliebt sich meistens nicht in den Menschen, der am meisten Punkte auf der inneren Traumpartnerin-Checkliste erfüllt, sondern in den*die mit den blitzenden Augen, der faszinierenden Stimme, der liebevollen Art, dem scharfen Intellekt oder … so halt. Zudem gibt es natürlich auch den Fall, dass der Entschluss, sich vegan zu ernähren, erst im Laufe der Beziehung gefasst wird. Mit der Ernährungsumstellung auch dendie Partner*in austauschen, weil er*sie nicht mitzieht? So rigoros dürften die wenigsten sein. Und so hatten oder haben rund zwei Drittel der vegan lebenden Frauen aus der Umfrage Erfahrung mit der Beziehung zu einem*r Fleischesser*in, bei den Männern sind es lediglich 41,6 Prozent und bei den Intersexuellen ließen sich aufgrund der geringen Teilnehmer*innenzahl (52 von 5173 Befragten) keine Schlussfolgerungen ziehen. Dass die Zahl bei den Geschlechtern derart auseinandriftet, dürfte daran liegen, dass die Auswahl an potenziellen veganen Partnern für heterosexuelle Veganerinnen deutlich geringer ist als umgekehrt, denn noch immer ist der Veganismus eine ziemliche Frauendomäne, nur etwa jede*r fünfte Veganer*in ist männlich.sucht, darauf Einfluss zu nehmen. Festzuhalten ist auch, dass „sich wünschen“ nicht unbedingt bedeutet „es verlangen“, und die meisten Pflanzenfans deutlich toleranter sind als ihr Ruf, auch wenn drei Viertel von ihnen insgeheim hoffen, dass der Partner seine Einstellung früher oder später ändert und etwa die Hälfte auch versucht, darauf Einfluss zu nehmen. Eine Umfrage des Dating-Portals eDarling ergab jedoch, dass nur jeder zehnte Veggie in dieser Beziehung komplett unerbitterlich ist, gleichzeitig aber 37 Prozent aller Fleischesser*innen Dates mit ihnen scheuen, aus Angst, man würde sie irgendwann vor die Wahl stellen: Fleisch oder ich? Falls du selbst mit solch einem Ultimatum liebäugelst, überleg dir das bitte gut, denn sage und schreibe 74 Prozent der Omnis würden sich in solch einem Fall aus der Beziehung verabschieden – behaupten sie zumindest. Womöglich würden sie aber auch einfach heimlich weiter ihr Schnitzel verzehren, was ja irgendwie auch nicht Sinn der Sache sein kann. Ein weiteres Merkmal stabiler, langjähriger Beziehungen ist nämlich, dass sich die Partner*innen gegenseitig so akzeptieren, wie sie sind und umgekehrt auch akzeptiert fühlen.
VERHANDELN IST ANGESAGT
Es gilt also, irgendwie Kompromisse zu finden, vor allem, wenn man zusammen wohnt und sich Kühlschrank, Herd, Geschirr und Besteck teilt. Was als okay empfunden wird und was nicht, ist dabei höchst unterschiedlich, und wenn (Patchwork-)Kinder im Spiel sind oder ihr polyamor lebt, wird‘s noch mal komplizierter. Der Einfachheit halber gehen wir hier mal von lediglich zwei Menschen aus, die miteinander klarkommen wollen. Das, was es dabei zu beachten gilt, lässt sich aber auch auf weitere übertragen. Zunächst einmal gilt es, ehrlich mit sich selbst zu sein: Es mag sein, dass deine vegane*r Kumpel*in in der Partnerschaft sehr viel gelassener mit manchen Dingen umgeht als du, aber das ist nicht der Punkt. Du bist du. (Auch bei uns im Verlag gehen die Ansichten bei dem Thema übrigens auseinander.) Wenn es dich ekelt, deinen Tofu in derselben Pfanne anzubraten, in der dein*e Partner*in regelmäßig Fleisch brutzelt, kannst du dir zwar um des lieben Friedens willen Kommentare verkneifen und beim Abspülen extralange schrubben, früher oder später aber wird dein Unmut darüber aber aus dir herausplatzen und das vielleicht sogar aus einem vergleichsweise harmlosen Anlass heraus. Gefühle zu unterdrücken ist außerdem schlecht für die Gesundheit, wie diverse Studien belegen, es erhöht zum Beispiel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, auch Schlaf- oder Magenprobleme können die Folge sein. Ähnliches gilt allerdings für unkontrollierte, heftige Wut-Attacken, auch die gilt es also weitgehend zu vermeiden. Das Ziel sollte es sein, einen goldenen Mittelweg zu finden. Das ist natürlich umso schwieriger, je kleiner euer beider Toleranz-Spielraum ist. Auch über den solltest du dir klarwerden. Wo liegt deine Schmerzgrenze, wie viel Entgegenkommen traust du dir zu? Lautet deine Antwort: gar keins, dann sieht es ehrlich gesagt ziemlich düster aus, siehe oben. Versuche daher, ergebnisoffen und ruhig ins Gespräch zu gehen, und dir anzuhören, was dein*e Partner*in vorschlägt, damit ihr gemeinsam eine Lösung findet, mit der ihre beide leben könnt. Im oben genannten Beispiel könnte das so aussehen, dass ihr euer Geschirr trennt, es also eine Fleisch- und eine Veggie-Pfanne gibt und ihr euch beide strikt an diese Trennung haltet. Der Gleichklang-Umfrage ist übrigens zu entnehmen, dass die Kompromissbereitschaft bei den Fleischesser*innen relativ hoch zu sein scheint: 78,7 Prozent reduzieren offenbar dem*der Partner*in zuliebe ihren Fleischkonsum, mehr als die Hälfte isst zu Hause gar kein Fleisch mehr.
MEHR VERSTÄNDNIS ALS GEDACHT
Den einen Weg wird es nicht geben, da muss jedes Paar den eigenen finden. Noch
eine weitere gute Nachricht gibt es allerdings: Viele Fleischesser*innen können die Argumente für den Veganismus durchaus nachvollziehen und stimmen ihnen sogar weitgehend zu – theoretisch. Das geht aus einer Studie des britischen Psychologen Christopher Bryant und seines Teams hervor, die im Dezember 2019 im Fachjournal Sustainibility erschien und für die 1000 erwachsene Fleischesser*innen befragt wurden. Rund drei Viertel davon bestätigten darin jeweils, dass Veganismus aus ökologischen und ethischen Gründen sinnvoll sei. Warum sie aus dieser theoretischen Einsicht kein praktisches Handeln machten, kam in der Studie ebenfalls heraus. Es sind überwiegend Gründe, die ihr bestimmt auch schon mal gehört habt: Eine vegane Ernährung sei zu kompliziert (83 Prozent), zu unbequem (76 Prozent) oder schmecke nicht beziehungsweise sei zu teuer (jeweils gut 60 Prozent). Nichtsdestotrotz hatten hatte etwa jeder sechste Befragte vor, im kommenden Monat den Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten zu reduzieren. So ist das Problem in vielen „gemischten“ Partnerschaften vielleicht deutlich kleiner als gedacht, da die ethischen Werte gar nicht so sehr kollidieren und es lediglich darum geht, demder geliebten Omni zu zeigen, wie unkompliziert und lecker die vegane Küche sein kann? Das dürfte doch hinzukriegen sein – lass ruhig öfter mal eine Vegan-WorldAusgabe herumliegen, lass dich von den Artikeln inspirieren oder koch für euch beide regelmäßig die verführerischen Rezepte nach! Gut möglich, dass dein Schatz mit der Zeit Steak & Co. immer weniger vermisst.