Ihr Charisma speist sich aus ihrer Haltungsstärke, ihrem freundlichen, offenen Wesen, ihrer einnehmenden Art: Alissa White-Gluz strahlt Größe aus. Bodenständig und fokussiert nimmt sie eine Position ein, die man nicht unbedingt mit dem Genre Heavy Metal assoziiert: die einer bewussten Lebensweise. Sie lebt vegan, setzt sich für Menschen- und Tierrechte ein und macht sich stark für gesellschaftspolitische und ökologische Themen. Vegan World sprach mit der kanadischen Arch-Enemy-Sängerin über die Rolle, die Veganismus in ihrer Familie, im Tourleben und in ihrer Beziehung spielt.
Wann hast du beschlossen, vegan zu leben, und was hat dich dazubewegt?
Wie auch meine ältere Schwester und mein jüngerer Bruder habe auch ich mich schon immer vegetarisch ernährt, unsere Mutter ist Vegetarierin. Sie hat mir schon als kleines Kind sehr nüchtern – weder verteufelnd noch verharmlosend – erklärt, was ich da zu mir nehme, wenn ich z.B. Schinken esse, und hat mir die Entscheidung überlassen. Mit ungefähr 13 begann ich, darüber nachzudenken, wie ein derart hohes Angebot an tierischen Produkten möglich sein kann, ohne dass dabei Tiere zu Schaden kommen. Mir wurde klar, dass die Milch- und Eierindustrie den Tieren genauso viel Leid zufügt wie die Fleischindustrie. Von da an entschied ich, dass bloßer Fleischverzicht nicht genug sei. Ich wollte die Industrie in ihrer Gesamtheit boykottieren und beschloss, vegan zu leben.
Das war in den Neunzigern sicher weitaus schwerer als heute.
Da waren tatsächlich selbst die einfachsten Dinge schwer zu kriegen. Ich hatte mich damals damit abgefunden, nie wieder Eis oder Kuchen zu essen. Und heute? Gibt es alles: veganes Fleisch, veganes Eis, veganen Kuchen. Und das Erstaunliche ist – ich bin ja ständig auf Tour –, dass ich überall auf der Welt extrem leckeres veganes Essen bekomme. Ob in Russland, China, Süd- und Nordamerika, Europa: überall. Auch in Ländern, von denen man glauben würde, dass dort Veganismus nicht einmal existiert.
Sind manche Länder offener als andere?
Es gibt durchaus Unterschiede. Manche Kulturen denken bei dem Thema etwas progressiver, weite Teile der westlichen Welt zum Beispiel. Dann gibt es wiederum Länder wie Argentinien, in denen der Fleischverzehr Teil der nationalen Identität ist. Die haben aber meist aufgrund ihres Klimas ein fantastisches Angebot an Tropenfrüchten. Man findet also eine Menge gutes veganes Essen auch dort, wo Fleisch sehr im Fokus steht. Ich kann natürlich nachvollziehen, dass die Ernährungsweise der Menschen eines Landes von den vorherrschenden klimatischen Bedingungen geprägt ist. Im kalten Russland baut man Erdfrüchte wie Kartoffeln oder Bohnen an. Und ernährt sich eben auch viel von Fleisch. Aber 2018 hat man ganz andere Möglichkeiten als früher, man kann z. B. Lebensmittel importieren. Ich habe in Russland viele vegane Jugendliche kennengelernt.
Du führst eine Beziehung mit Doyle, einer Ikone des Horrorpunk. Auch er lebt vegan. Kannst Du Dir vorstellen, mit jemandem zusammen zu sein, der Fleisch isst?
Ich persönlich finde Menschen, die Fleisch essen, nicht automatisch widerlich. Ich mag nur den Geruch nicht, wenn jemand in meiner Gegenwart Fleisch isst. Aber ich bin ständig auf Tour, bin andauernd von vielen Menschen umgeben, und ich respektiere jeden. Wenn jemand Fleisch isst und damit die Tötung von Tieren in Kauf nimmt, ist das nur ein Aspekt seiner Persönlichkeit unter vielen. Das macht diesen Menschen in meinen Augen noch lange nicht zu jemanden, den ich weniger schätzen würde. Ich denke mir dann eher, dass derjenige seine Einstellung vielleicht überdenken würde, wenn er wirklich en détail wüsste, was er da eigentlich macht, welches System er damit unterstützt. Wenn mich jemand nach meiner Meinung fragt, dann helfe ich gerne mit Buch- und Film-Empfehlungen weiter. So war es auch mit Doyle. Als wir uns kennengelernt haben, lebte er noch nicht vegan. Und, ehrlich gesagt: Ich hatte auch davor noch nie jemanden gedatet, der bereits vegan war. Zwei oder drei meiner Ex-Partner sind es heute aufgrund des Austausches, den wir in unserer Beziehung hatten. Doyle hat die Entscheidung für sich selbst getroffen und mir erst viele Monate später überhaupt davon erzählt.
Für sich selbst Standpunkte zu finden, ist eine Sache, sein Umfeld von deren Richtigkeit zu überzeugen, eine andere. Wie stehst Du zum Thema Aktivismus?
Ich befürworte Aktivismus, man muss sich nur im Klaren darüber sein, dass nicht alle Formen bei allen gleich gut funktionieren. Was meine Person betrifft, so bin ich mir der Tatsache bewusst, dass die Reichweite, die ich erziele, nicht auf meiner veganen Lebensweise beruht, sondern auf meiner Musik. Ich weiß, dass ich auf Facebook oder Instagram mit Postings in einem veganen Kontext unter Umständen bei Nicht-Veganern anecken würde. Würde ich beispielsweise extrem explizite Bilder posten, wären die Leute nur abgeturnt, was der Sache rein gar nichts nützt. Meine Strategie: sehr persönliche Postings verfassen, in denen ich erkläre, was Veganismus für mich selbst bedeutet. Damit schreibe ich niemandem vor, was er zu tun oder zu denken hat. Ich poste Fotos von leckerem Essen, von Work-out Sessions, oder einfach nur schöne Fotos von lebenden Tieren. Weil ich Tiere einfach liebe. Das muss ich dann nicht mal kommentieren, ein #vegan-Hashtag reicht aus. Vielleicht kommt bei den Betrachtern die Botschaft an, dass sie sich eigentlich im Inneren schon für Veganismus allein aufgrund ihrer Liebe zu Tieren entschieden haben. Und vielleicht ist das dann ein winziger Beitrag unter vielen dazu, dass jemand sich irgendwann für ein veganes Leben entscheidet.
„Will To Power“ heißt die aktuelle Platte der schwedischen Melodic-Death-Metal-Band Arch Enemy: eine erstklassige Mischung aus Power- und Melodic-Deathmetal. Für Fans dieses Genres ein echtes Muss. Das hierzu auch gut Obst und Gemüse passen, beweist die Front-Frau Alissa White-Gluz. Auf ihrem Speiseplan befinden sich keinerlei tierische Produkte. Mehr über die Band und Alissa findest du unter: www.archenemy.net