Kolumne: Das große Krabbeln

In der EU sind seit dem 24. Januar vier Insektenarten als Lebensmittelbestandteile zugelassen. Ein Beschluss, über den seitdem viel und emotional diskutiert wird.

Autorin: Jacqueline Flossmann

Der Konsum von Insekten ist ein Thema, das in den letzten Jahren immer näher an westlich geprägte Kulturkreise herangerückt ist. Insgesamt sind in der EU bisher vier Insekten als Lebensmittel zugelassen, so beispielsweise seit 2021 der gelbe Mehlwurm und die Wanderheuschrecke. Seit dem 24. Januar sind nun auch das Beimischen eines „teilweise entfetteten Pulvers aus Acheta Domesticus (Hausgrille)“ und die Larven des Getreideschimmelkäfers in Lebensmitteln erlaubt. Diese Zulassung gilt laut “EU Verordnung 2023/5” zunächst nur für das eine vietnamesische Unternehmen Cricket One Co. Ltd, das einen Antrag gestellt hat. Nach fünf Jahren dürfen dann auch andere Hersteller*innen das Pulver aus der sogenannten Hausgrille benutzen. Laut Gesetz müssen die Insekten klar und verständlich in der Zutatenliste eines neuartigen Lebensmittels aufgelistet werden, außerdem müsse ein allergener Hinweis abgedruckt sein, da Insekten ähnlich wie Krebs- oder Weichtiere allergische Reaktionen hervorrufen können. Das bedeutet, dass Verbraucher*innen, die kein Insektenmehl in ihren Speisen wünschen,die Zutatenliste genau studieren müssen, da eine spezifische Kennzeichnung der Verpackung nicht vorgesehen ist. Auch in vielen Fleischersatzprodukten könne man sich künftig einen Insektenanteil vorstellen, die Vegan-Blume werden solche Artikel dann jedoch nicht mehr erhalten, so die Prognose diverser Verbraucherschützer*innen. Der Insektenanteil solle hierbei auf etwa fünf Prozent des Gesamtprodukts beschränkt werden. Dass dieser Beschluss erneut für Diskussionszunder sorgt, war zu erwarten. Warum überhaupt die Idee, Insekten zu Lebensmitteln zu verarbeiten, mag man sich jetzt fragen. Vor allem in einem Kulturkreis, der als erste Reaktion auf ein solches Vorhaben aus internalisierten Gründen heraus erst einmal mit Ekel statt freudigem Speichelfluss reagiert? Die Antwort: Die Menschheit wächst zunehmend und die Frage nach einer Ernährungsform, die viele auf gesunde Art und Weise satt machen kann, wird immer lauter. Hinzu kommt die sogenannte Proteinlücke im weltweiten menschlichen Speiseplan, die nach Möglichkeit geschlossen werden soll. Und da kämen Insekten theoretisch wie gerufen. Nicht nur enthalten Schaben, Würmer, Grillen und Co. einen Haufen Protein und viele Nährstoffe, auch würde die Haltung von massenweise Kriechtieren natürlich sehr viel platzsparender, ressourcenschonender und CO2-ärmer von Statten gehen als beispielsweise eine Rinder- oder Schweinezucht. Ein Anstieg des Insektenanteils in Lebensmitteln wäre theoretisch also auch ein Schritt in Richtung Klimaschutz. Doch es bleiben natürlich mehrere Fragen offen. Erstens: Kann man über Jahrhunderte eingeschliffene Essgewohnheiten wirklich so schnell verändern, vor allem wenn Ekelgefühle im Spiel sind? (Wenn man sich die Kommentare von Omnivor*innen dazu auf Instagram ansieht, fällt man schnell das gefühlte Urteil „nein“) Zweitens: Wie ethisch vertretbar ist es, Insekten zu konsumieren? Natürlich kann man aus einem utilitaristischen Ansatz heraus argumentieren, dass der Verzehr von Insekten im Vergleich zum Konsum von Säugetieren das kleinere Übel wäre. Viele Menschen fragen sich jedoch zurecht: Reicht es, dass das Schmerz- und Bewusstseinsempfinden von Insekten und Säugetieren wohl unterschiedlich ausgeprägt ist? Man geht zwar davon aus, ganz sicher kann man sich jedoch nicht sein. Und selbst wenn es so ist: Woher nimmt man das Recht, ein Lebewesen mit anders ausgeprägtem Sinnes-Instrumentarium automatisch zum Lebensmittel zu degradieren? Diesen Ansatz sehen viele Tierschützer*innen äußerst kritisch. Aus einer vegetarischen und veganen Perspektive, die vor allem auf ethischen Gründen basiert, dürften Insekten deshalb kaum als akzeptable Alternative bewertet werden. Wer rein aus Umweltgründen auf tierische Produkte verzichtet oder sich eh omnivor ernährt, könnte diesbezüglich wiederum eine andere Meinung haben. Grundsätzlich sind sich viele Expert*innen und Forscher*innen in der Klärung der Welternährungsfrage eigentlich relativ einig: Würde man großteils auf pflanzliche Kost umsteigen, könnte man die gesamte rasant wachsende Weltbevölkerung mühelos ernähren. Und zwar gesund und mit ausreichend Protein! Bestünde also die Möglichkeit, genügend Leguminosen und Nüsse auf die Esstische der Menschen zu bringen, wäre das eine nachhaltige Bewältigung des Problems. Ob es Insekten in Nahrungsmitteln also braucht und ob man in Fleischersatzprodukte, aus denen man tierische Inhaltsstoffe mühsam hinaus komplementiert hat, Insekten einarbeiten sollte – diese Frage muss jede*r Konsument*in für sich selbst beantworten. Die Moral von der Geschicht’ lautet am Ende wohl eh: Die Nachfrage regelt das Angebot. Und noch ein letzter gut gemeinter Tipp für alle Omnivor*innen, denen es vor Insekten im Essen graut: Mit der Vegan-Blume auf der Verpackung fährt man weiterhin sicher.

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