Glück: eine reine Kopfsache?

Dauerbusy, multitaskingsüchtig und flexibel bis zum Identitätsverlust?

Wer das Glück im „Lifestyle“ sucht, der ihm über crossmediale Abziehbilder auf Schritt und Tritt angeboten wird, kann nur verlieren. Schon rein chemisch gesehen. Aber irgendwie müsste das doch zu machen sein mit dem glücklichen Leben?

Von: Eva Mäkler

„Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet wurden, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.“ Ganz schön gemein, die amerikanische Verfassung. Was macht man denn bitte mit einem Grundrecht, von dem man nicht weiß, wie man es verwirklichen soll? Ok, der „amerikanische Traum“ gibt eindeutige Hinweise: „Vom Tellerwäscher zum Millionär.“ Macht Geld vielleicht doch glücklich?

Ja: Vielleicht. Wenn man es als Mittel zum Zweck erkennt. Nicht nur, um materielle, kulturelle und soziale Grundbedürfnisse abzudecken. Das ist sowieso eine der wichtigsten Grundbedingungen, die auch in Deutschland oft nicht erfüllt ist. Untersuchungen wie die „Münchener Studie zur Lebenszufriedenheit“ des Instituts für Soziologie der Ludwig-Maximilian-Universität aus dem Jahr 2010 weisen nach, dass die Menschen in Stadtteilen, in denen vorwiegend Ärmere leben, insgesamt weniger glücklich sind. Aber auch darüber hinaus ist die Verwirklichung etlicher Träume ja mit Geldausgeben verbunden. Wenn man nicht viel, vielleicht unendlich viel Lebenszeit und Energie darauf verwenden muss, selbiges erst mal zu verdienen, ist das schon mal ein Grund zum Glücklichsein.
Glück ist Chemie

Sollte der Traum aus einem Ferrari bestehen, den man sich nun vor die Tür stellt, kann das Glücksgefühl zunächst überwältigend sein, wird sich aber bald abnutzen. Es ist einfach sehr schnell eine Gewohnheit für unser Gehirn, mit diesem Auto zu fahren. Wozu also weiter Energie verschwenden und im Mittelhirn die Dopaminproduktion ankurbeln, um uns dann über Folgereaktionen im Nucleus accumbens, unserem Belohnungszentrum, darin zu bestärken, was für eine super Entscheidung es war, in genau diesen Wagen zu steigen?! Das haben wir ja offensichtlich schon kapiert und tun es brav jeden Tag. Ziel erreicht, keine weiteren Glücksgefühle zur Belohnung nötig. Das gilt für alles, was uns dank Dopamin-Anschub einen richtigen Kick versetzt; ohne Erholungspausen wären solche Endorphinschübe für unseren Körper auch viel zu anstrengend.

Zu Hause fühlen

Bessere Chancen haben wir auf eine andere Form von Glück: Wohlige, heimelige Zufriedenheitsgefühle, Geborgenheit, Sicherheit, Stärke. Dazu müssen ganz verschiedene Hormone an den Schnittstellen unserer Nervenzellen, den Synapsen, Reaktionen auslösen. Serotonin und Oxytocin sind zwei der prominentesten Beispiele, wenn es um Zuversicht und Vertrauen geht.

Eine gute Investition kann demnach das Traumhaus sein. Nicht unbedingt, wenn wir es vom teuersten In-Architekten mit dem modischsten Hightech am angesagtesten „Place to be“ des Jahres bauen lassen. Sondern genau so, wie es unserer Seele ein Zuhause gibt, weil wir uns darin wohl und sicher fühlen; eines, wo wir viel Platz haben, um jederzeit all die Menschen zu beherbergen, die wir lieben.

Überhaupt, die Liebe. Sie ist der Glücksquell überhaupt. Das klingt nur banal, weil sie selten in all ihren Dimensionen geschätzt und gepflegt wird. Schon die Liebe zu Familie, Freunden „dem einen“ oder „der einen“ vernachlässigen wir im Alltag viel zu oft. Noch weniger Wertschätzung erfahren aber Erlebnisse, in denen wir ganz aufgehen können. Mit soviel Liebe, dass wir alles um uns vergessen. Das kann das Singen im Chor sein, Theaterspielen, das Lernen einer neuen Sprache … Wenn nur das, was wir da tun, uns wirklich in unserem Innersten berührt, uns ganz in uns selbst zu Hause sein und und so angstfrei sein lässt, dass wir ganz von alleine alle Masken fallen lassen. Nicht nur Kinder sehen in Momenten der „selbstvergessenen“ Hingabe ans Hier und Jetzt am schönsten aus, sondern jeder von uns. Weil wir unser Selbst dabei gar nicht vergessen, sondern es einfach leben. Was wir vergessen, sind die Konstrukte – gesellschaftliche wie individuelle – in unseren Köpfen, wie wir selbst und unsere Umwelt sein sollten.

Dabei hat jedes dieser Erlebnisse noch ganz eigene Glückspotenziale. Regelmäßiges Singen im Chor zum Beispiel fördert nachweislich eine positive Gestimmtheit sowohl im eigenen Körper als auch innerhalb der Gemeinschaft. Folge: Über den Speichel lassen sich bei regelmäßigen wöchentlichen Treffen schon nach wenigen Monaten ein stärkeres Immunsystem, weniger Stress und ein höherer Oxytocinspiegel nachweisen. Letzterer zeugt von stärkeren sozialen Bindungen und Geborgenheitsgefühlen.

Sucht, die glücklich macht

Wenn wir uns als Schauspieler auf die Bühne wagen, haben wir wahrscheinlich wochenlang viel Text gelernt, uns intensiv mit menschlichen Eigenschaften und Ausdrucksformen beschäftigt, dabei ganz neue Gefühle bei uns selbst

und anderen wahrgenommen … und mit all dem stehen wir schließlich hinter einer Bühne, auf deren anderen Seite immer mehr Menschen den Zuschauerraum betreten. Wir spüren unsere Unruhe im Magen, müssen dringend noch mal auf Toilette, sind leicht zittrig und haben schweißnasse Hände. Eine große Herausforderung wartet auf uns, wir sind entsprechend aufgeregt, aber andererseits freuen wir uns auch wahnsinnig darauf, dass sie endlich losgeht, die Aufführung, auf die wir seit Wochen hinarbeiten. Die typische Reaktion unseres Gehirns: Lampenfieber. Anders ausgedrückt: Eine gehörige Portion Dopamin. Gut für uns. Denn bevor es nach der Vorstellung, wenn alles gut gelaufen ist, belohnt, indem es quasi zu körpereigenem Morphium abgebaut wird, sorgt es erst mal dafür, dass hinter der Stirn alles optimal verschaltet wird – und macht uns extrem wach und leistungsfähig. Dabei regt es übrigens Opium-artige Substanzen in uns an. Und ja, der Chemie-Cocktail kann tatsächlich süchtig machen – aber in diesem Fall nach dem Gang auf die Bühne, nicht nach einer Spritze.

Der große Unterschied: Die Nebenwirkungen sind im Allgemeinen ausschließlich positiv. Ständiger Aufbau neuer Vernetzungen in unserer „Schaltzentrale“, vor allem. Das hält geistig jung. Und kann immer wieder neue Lust auslösen. Denn dass Lernen eine existenziell wichtige Tätigkeit ist, dieses Wissen ist ganz tief eingebrannt in unseren Genen. Entsprechend hoch ist der Lustgewinn, wenn wir zum ersten Mal erfolgreich unseren Kaffee in einer anderen Sprache bestellen, mit dem Surfbrett die perfekte Welle erwischen oder die Eskimorolle in Kajak hinbekommen. Und je mehr hart erarbeitete Erfolgserlebnisse wir gesammelt haben, desto mehr werden wir beim nächsten Mal wieder belohnt. Besonders, wenn wir uns an etwas ganz Neues wagen, es uns erkennbar nicht leicht gemacht haben, und am besten Koordination und Muskeln sich dabei auch entwickeln können. Dann ist von langweiliger Gewöhnung keine Spur.

Übrigens funktionieren solche Umbaumaßnahmen im Gehirn nicht nur im Positiven. Es kann sich auch auf Angst und Abwehr einstellen, wenn es durch hinreichend negative Erlebnisse lernt, allen Missmut verursachenden Informationen Vorrang zu geben. Das geschieht einfach aus Effizienzgründen – die Erfahrungen der Vergangenheit scheinen nahezulegen, dass es grundsätzlich viel Verdruss zu verarbeiten gibt und man besser gut darauf vorbereitet ist.
„Positives Denken macht krank“

Der vielzitierte Rat zum „positiven Denken“ hat insofern durchaus eine wissenschaftliche Grundlage. Nur simplifiziert er die Dinge leider so sehr, dass im Extremfall daraus dann wirklich schwerwiegende Probleme erwachsen können. „Positives Denken macht krank“, sagt dazu der Psychologe und Psychotherapeut Günter Scheich – und hat diese These provokanterweise gleich zum Buchtitel gemacht. Er weist damit auf Wesentliches hin: die Aufforderung zum „positiven Denken“ ist in unserer Gesellschaft so omnipräsent und so verkürzt, dass wir einem starken Druck ausgesetzt sind, zwanghaft alle negativen Gedanken im Keim zu ersticken. Wer diesem Druck dauerhaft nachgibt, wird krank. Denn er entwickelt eine panische Angst vor der vermeintlich ach so dunklen Seite seiner Seele. Dabei handelt es sich um Affekte, Gedanken und Gefühle, die Teil einer jeden Persönlichkeit sind – und in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll. Um aus schmerzhaften Erfahrungen zu lernen, zum Beispiel, oder auch aus Selbstschutzgründen. Umgehen kann man damit aber nur, wenn man sie nicht verdrängt; abgesehen davon, dass das nur mit einem extrem hohen Energieaufwand überhaupt möglich ist, gelingt es nie auf Dauer. Aber je länger der Deckel auf dem Kessel mit all den verbotenen Emotionen und Gedanken gehalten wird, desto unkontrollierter brechen diese sich hinterher Bahn. Und das kann selbstzerstörerisch sein bis hin zur Schizophrenie.

Außerdem legt Scheich den Finger auf die Wunde, dass populäre Verfechter des „positiven Denkens“ ihre Anhänger in letzter Konsequenz lähmen und der aktiven Verarbeitung von Lernerfahrungen entheben: Wo alles mit der reinen Kraft der Gedanken möglich scheint, tritt das konkrete Handeln innerhalb realistischer Gestaltungs- und Veränderungsmöglichkeiten in den Hintergrund. So kann es leicht passieren, dass tatsächliche Handlungsoptionen nicht wahrgenommen werden, solange sie da sind.

Das ist oft praktisch für diejenigen, die innerhalb einer Gesellschaft Privilegien besitzen und deren Berechtigung nicht hinterfragt wissen wollen. Für die Betroffenen bedeutet es ein Leben ohne Ausnutzung der eigenen Ressourcen – und in der Konsequenz auch in politischer Unmündigkeit. Das hat dann nicht nur Auswirkungen auf das verhinderte eigene Glücksempfinden, sondern auch auf das vieler Mitmenschen, die aktiver Mitstreiter bedürften, um gesellschaftlich verankerte Ungerechtigkeiten auszuräumen.

Glücklich macht es hingegen, Selbstwirksamkeit zu spüren – besonders in der Gruppe. Zum einen schafft man zusammen größere Erfolgserlebnisse, zum anderen erlebt man den eigenen Einsatz als noch wertvoller, wenn man weiß, dass man damit auch für andere etwas erreicht. Dafür gibt es bei allen möglichen Rückschlägen von außen auch immer wieder positives Feedback innerhalb der Mitstreiter-Gruppe, und so wachsen die Gefühle gegenseitiger Wertschätzung und Zuneigung: Bahn frei für Oxytocin. Das Gefühl von Vertrauen und stabilen Bindungen ist nämlich lebensnotwendig für das soziale Wesen Mensch. Echtheit und Authentizität gehören dazu. Es macht uns glücklich, sie bei anderen zu erfahren und bei uns selbst – so spüren wir den sicheren Boden, der uns trägt, dafür sorgt, dass unsere materiellen Grundbedürfnisse gedeckt sind und uns zuverlässig mit den Nährstoffen versorgt, die uns wachsen lassen: Liebe, Anerkennung und Selbstwirksamkeit.

Happy banana?

Und die materiellen Nährstoffe, Nahrung? Bananen sind schließlich berühmt dafür, Serotonin zu enthalten. Machen sie also glücklich? Nein. Zumindest nicht auf diesem Wege. Das besonders in Bananen und Nüssen enthaltene Serotonin schafft es nämlich nicht in unser Gehirn, da es nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren kann. Tryptophan hingegen schon. Das ist eine Vorstufe, die im Gehirn zu Serotonin umgebaut werden kann. Tryptophan ist zwar besonders reichlich in Fleisch und Käse enthalten, was natürlich Vegetariern nur bedingt und Veganern gar nicht schmeckt. Die richtig gute Nachricht kommt aber erst noch: Am besten wirksam ist Tryptophan, wenn es im Rahmen einer eiweißarmen Mahlzeit aufgenommen wird. Dafür sind Datteln ideal. Bitterschokolade, Cashewkerne und Feigen liefern den Stoff auch.

Eine Sache haben Bananen aber durchaus mit Schokolade gemein: Sie sind relativ nährstoffreich, enthalten viel Zucker, der über das Blut sehr schnell ins Gehirn gelangt. Und das ist den meisten Gehirnen durchaus ein Wohlgefühl wert. Schließlich war die Menschheit die längste Zeit ihrer Existenz von Mangel an Nahrung bedroht, nicht vom Überfluss. Wenn wir also innerhalb kurzer Zeit viel Energie „für schlechte Zeiten“ bunkern, finden wir das im tiefsten Innern immer noch klasse. Aber wir können gegensteuern – mit Achtsamkeit und langsamem Genuss in der Gemeinschaft. Die ist uns nämlich – siehe oben – viel wichtiger als die bloße Nahrungsaufnahme. Sie ist die universellste Grundlage für stabiles Glück.

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