Fleisch zum Fest? Wie alles begann …

Alle Jahre wieder: Warum an den Weihnachtstagen oft Monotonie den Speiseplan dominiert? Bei so manch traditionellem Saisongericht fragt sich der vegane Mensch, warum es zu Weihnachten unbedingt ein Gänsebraten sein muss. VEGAN WORLD hat sich auf Spurensuche begeben.

Autor: Alexander Nym

Der Herbst ist die Jahreszeit der Kürbissuppen und Maronen, bevor wir uns in der
kältesten Jahreszeit an Lebkuchen und Glühwein erfreuen. Aufgrund der saisonalen Verfügbarkeit mancher Nahrungsmittel können wir uns mitunter kaum vorstellen, wie es umgekehrt wäre, z.B. Kürbissuppe und Jagertee im Hochsommer zu genießen, und kühles Eis bei winterlichen Temperaturen. Klingt unsinnig? Werfen wir einen Blick auf die ebenso unhinterfragten Dauerbrenner, die alle Jahre wieder bei Familienzusammenkünften Ende Dezember auf den Tisch kommen: Warum
wird eigentlich bei uns zu Weihnachten geradezu zwanghaft Federvieh verspeist?
Oft müssen für nebulöse Zusammenhänge zwischen Futter(n) und Tradition kirchliche Feiertage und Vorschriften herhalten (nur freitags kein Fleisch, anyone?). In der Bibel steht aber nirgends, dass Jesus zum Geburtstag am liebsten Gänsebraten hatte, oder man zum Jahreswechsel rituelle Ertränkungen von Rindfleischbrocken in siedendem Fett durchführen musste, damit die nächste Ernte gut wird, oder dergleichen – woher dann stammen diese jährlich wiederkehrenden Gewohnheiten, die uns gleichermaßen gottgegeben scheinen, wie die zigfache Ausstrahlung von „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ und „Dinner For One“?

Am Anfang war das Schwein
Die Geschichte der Weihnachtsgans beginnt genau genommen mit der des Schweins.Denn in vorchristlicher Zeit symbolisierte die Gans zwar auch schon mal den Segen der Erdgöttin, war aber beileibe keine Festtagsspeise. An den Wintersonnwendfeiern bevorzugten etwa die Germanen gebratene Schweine, nicht zuletzt, weil sie üppige Verpflegung für die dunkle Zeit der Rauhnächte versprachen. Dieser Brauch hielt sich bis ins christliche Zeitalter, als der Schweinebraten, dekoriert mit zwölf Äpfeln, welche die Apostel symbolisierten, zum Festtagsmahl avancierte, um am 25. Dezember die bösen Geister zu vertreiben. Selbst die beigegebenen Gewürze waren nicht frei von religiöser Symbolik: Im Gedenken an die Dreifaltigkeit wurde das Fleisch mit drei mal drei Gewürzen zubereitet. Dazu gab es Salate aus Pflanzen, denen Heilkräfte zugeschrieben wurden. Salz und Brot halfen, den Tod fern zu halten, Äpfel standen für Gesundheit,und Bohnen und Linsen repräsentierten (die Hoffnung auf) Wohlstand. Auch Fisch war nicht unüblich, und der Weihnachtskarpfen konkurriert vielerorts bis heute mit der Gans als bevorzugtem Festtagsschmaus, während sich einfache Leute und Bauern hingegen nur Blut- und Leberwürste leisten konnten. Diese als „Mettenwürste“, „Weihnachtssau“ oder „Weihnachter“ bekannten Produkte sind vielen auch heute das Mahl der Wahl zu Weihnachten. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis auch vegane Mettenwürste erhältlich sind …

Nicht Fisch, nicht Fleisch
Der heute noch in Ost- und Mitteleuropa verbreitete Brauch des Weihnachtskarpfens ist den Römern zu verdanken, die den ursprünglich aus Asien stammenden Gründelfisch in Europa heimisch machten. Im Verlauf des christlichen Mittelalters, als es an insgesamt 150 (!) Feiertagen verboten war, Fleisch zu essen, entstanden recht anpassungsfähige Definitionen von „Fisch“: Unter anderem deklarierte man Krebse, Wale und Muscheln zu Fischen um, aber auch gewässernahe Tiere wie Enten, Biber – und Gänse. Lange Zeit wurde Gänsebraten nur an zwei Tagen des Jahres zubereitet, nämlich am 11.November, dem Martinstag, und am 29.September, zur Feier des Erzengels Michael. Dass die Gans in vielen Regionen Schwein und Karpfen als Fleischlieferant zum Festtag abgelöst hat, ist wohl nicht nur dem Fastenbrauch geschuldet. Es kursieren Geschichten, von denen einige um den Rang als Legende konkurrieren. Wer herausfinden möchte, was die Weinachtgans mit der spanischen Armada zu tun hat, wird im Internet fündig. Nur so viel sei noch bemerkt: Beim überwiegenden Anteil der für die Festtage erhältlichen Tiefkühlgänse handelt es sich nicht etwa um glücklich gackerndes, freilaufendes Federvieh – dieses ist meist für die Küchen der umliegenden Dorfgasthöfe bestimmt. Die Discount-Gans stammt zumeist aus miserablen Mastbedingungen im osteuropäischen Ausland, wo das gewaltsame Stopfen von Gänsen noch nicht verboten ist. Ein unter solch grauenvollen Bedingungen gefristetes Gänseleben dauert gerade mal drei Monate und endet damit,
vor der Schlachtung wegen der Daunen bei lebendigem Leibe gerupft zu werden.

Weihnachtliche Backkunst
Wenden wir uns nun aber den süßeren Seiten des Essens zu, nämlich den typisch weihnachtlichen Naschereien. Dazu zählen neben Spekulatius (ohnehin vegan) und Stollen (auch vegan erhältlich!) vor allem Lebkuchen aus Nürnberg. Sie verdanken ihre internationale Popularität nicht zuletzt dem Christkindlesmarkt, der während der Adventszeit Scharen von Tourist*innen aus aller Welt in die alte Kaiserstadt lockt. Die nahrhaften und lang haltbaren Lebkuchen waren ideale Kraftspender, um durch karge Winter zu kommen. Seit dem Mittelalter wurden sie mit Honig aus dem Nürnberger Reichswald hergestellt – und enthalten für gewöhnlich Eier in irgendeiner Form, sind also für streng vegan lebende Menschen nur beschränkt zu empfehlen. Doch das seit 1643 als eigene Zunft etablierte Lebküchnerhandwerk ist vielfältig, und so gibt es mittlerweile selbstredend auch vegane Lebkuchen im Sortiment. Wobei darauf hingewiesen werden muss, dass zwischen solch edlem Back-Handwerk und den in Discountketten erhältlichen Massenprodukten oft himmelweite Unterschiede existieren. Am besten informiert und versorgt man sich bei den (meist ganzjährig aktiven) Backstuben direkt. Die Vielfalt ist groß; seit der Zeit der Zunftgründung entwickelten die Backstuben ihre eigenen, eifersüchtig geheim gehaltenen Gewürzmischungen. Darin enthalten: Kardamom, Zimt, Fenchel, Koriander, Nelken und Piment. Denn ähnlich wie bei den nicht weniger bekannten Nürnberger Bratwürsten ist die Gewürzrezeptur das geschmackliche Alleinstellungsmerkmal und somit bestens gehütetes Betriebsgeheimnis. Während des 17. Jahrhunderts boomte Europa; überall wuchsen die Städte, Universitäten wurden gegründet, das internationale Handelswesen florierte und sorgte allerorten für Innovationen und steigenden Wohlstand, aber auch für Kolonialismus Es war nicht nur der Beginn der Globalisierung, wie wir sie heute kennen, und durch ihres Faibles für die vorchristlichen Klassiker rückblickend als Renaissance (der Antike) bezeichnen. Nur zwei Jahrhunderte früher, ohne den internationalen Welthandel, wären solch exotische Zutaten im kulinarisch eher kargen Europa des ausgehenden Mittelalters entweder gar nicht verfügbar gewesen, oder nur zu unerschwinglichen Preisen. Doch zu hohen Feiertagen bestand der Wunsch, wie auch noch heute, der Familie ein festliches Mahl zu servieren. Das ist unabhängig davon, was auf den Tisch kommt, eine Tradition, der auch wir genussvoll, nachhaltig und ganz ohne Tier zum Jahresende frönen wollen.In diesem Sinne: Guten Appetit!

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