Die vier Leder-Legenden

Legende 1: „Leder ist ein Naturprodukt”

Der erwähnte uralte Lederschuh hat Größe 37, ist aus einem Stück Rinder- oder Schweinehaut gefertigt und besitzt ein Innenfutter aus Gras: mehr Natur am Fuß geht wohl kaum. Doch schon seit der Antike, spätestens aber seit dem Mittelalter können Lederträger*innen kein „echtes Naturprodukt” mehr erwarten. Gerberei wurde zum schmutzigen Handwerk, da es mehr und mehr Chemikalien für sich entdeckte. Und zimperlich war man im Mittelalter sicherlich nicht – vor allem nicht, was Gerüche anging. Trotzdem hieß es damals offiziell für die Gerber: Raus aus der Stadt! Denn ihr Business aus Beizen und Äschern, Entfleischen und Zurichten stank buchstäblich zum Himmel; Hilfsmittel wie Alaun und Arsenik ruinierten nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch die der Gewässer. So betrachtet gehört das Lederhandwerk wohl zu den ersten Auslösern von Diskussionen über Umweltschutz und Gesundheitsrisiken einer Branche.

Das ist Jahrhunderte her. Doch bis heute hat dies weder an Lederbeliebtheit noch -herstellung viel geändert. Verändert hat sich allein die Größendimension des Ledergewerbes – und dessen “Entfernung” zu unseren Lebensräumen. Denn weit über die Hälfte des Leders in unseren Läden stammt aus dem fernen Asien: aus China, Indien oder auch Vietnam. Nur Italien hatte mit 12 % im Jahr 2017 ebenfalls einen guten Anteil am Lederexport nach Deutschland – wobei allerdings auch beinahe 6 % des indischen Leders wiederum nach Italien gehen. Und über diese Zwischenstation eventuell auch nach Deutschland. Da mag dann “Made in Italy” auf dem Etikett von Sport- oder auch Kinderschuhen stehen, doch das Material für diese Schuhe kann trotzdem aus Asien stammen.

Dieser undurchsichtige Weltmarkt mit den Tierhäuten stinkt in unserer Zeit noch stärker zum Himmel als im Mittelalter: Für gut 200 bis 250 kg Leder bedarf es heute rund 500 kg Chemikalien für die Verarbeitung. Leder ist alles – nur kein Naturprodukt. Auch dann nicht, wenn „Natur-” oder „Bio-” draufsteht: „Von Bioleder zu sprechen, das würde ich nicht für angemessen erachten”, warnt der TÜV-Experte Dr. Christian Schelle im Interview mit dem ZDF. „Weil der Begriff Bio unter Umständen eine Erwartungshaltung suggeriert, die von der Produktqualität Leder nicht eingehalten werden kann. Auf Basis unserer Prüferfahrung gibt es keine vollständig schadstofffreien Lederqualitäten.”

Welches Ausmaß diese Schadstoffbelastung in der Lederproduktion angenommen hat, wird in Asiens Gerbereien deutlich: Widerliche Schaumkronen wabern da auf verfärbten Flüssen in Indien und China, aber auch in Bangladesch oder Vietnam, den zwei aufstrebenden Lederproduzenten. Ausgezehrte Arbeiter*innen – auch Kinder – stehen ungeschützt in einer toxischen Brühe, rühren ohne Atemmasken chemische Substanzen zusammen, um den Ledermarkt mit günstigen Gürteln und Geldbörsen zu versorgen. Vor einigen Jahren hatte die ZDF-Doku „Gift auf unserer Haut“ aufgedeckt, dass die Lebenserwartung der Arbeiter*innen in der Lederindustrie Bangladeschs bei nur 50 Jahren liegt: rund 20 Jahre unter dem Landesdurchschnitt! Ähnlich ist es in Indien, das sich auf Deutschland als zweitgrößten Absatzmarkt für seine Lederwaren verlassen kann. “Dieser Schaum ist mit Chrom kontaminiert, und das ist hochgiftig”, erläutert Sonalal Yadev, Vorstand eines Zusammenschlusses von Landwirten im indischen Dörfchen Payundee, im Interview mit dem Pulitzer-Center. Er weist auf das Wasser, das aus den über 300 Gerbereien in der Nähe kommt und letztlich auf den Feldern landet. “Wir wurden hier mal die ‘Rosenkönige’ genannt”, erzählt Yadev. “Jetzt gibt es hier keine Rosen mehr. Auch das Gemüse ist nicht mehr gut. Alles Gemüse hier ist vergiftet.” Wer sich die Arbeiter*innen in den Gerbereien vor Ort ansieht, bemerkt, wie auffallend weiß ihre Haut ist: vermutlich eine Reaktion auf das kontaminierte Wasser. Weitere Phänomene: Tuberkulose, Blindheit und Kinder, die mit schlimmen Behinderungen geboren werden.

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