Foto: Roland Straller, www.roland-straller.com/de/
Leben und Tod, Lust und Leid, Recht und Unrecht – Kunst lehrt den Menschen hinzusehen. Dorthin, wo es brodelt unter der Oberfläche, dorthin, wo Fragen lauern und vielleicht auch die eine oder andere Antwort. Spannend, dass derzeit immer mehr Veggie-Künstler ihre Lebensweise zum Thema ihrer Arbeit machen!
Text-Auszug:
Nacktes, blutendes Fleisch. Tierisches. Menschliches. Im Theater riecht es nach verschiedenen Körpersäften, die reichlich fließen bei den „Orgien-Mysterien-Spielen“ des Hermann Nitsch. Seit gut vier Jahrzehnten bringt der Wiener Aktionskünstler sie regelmäßig auf die Bühne, schwelgt in ritualisierten Ekel-Bildern, feiert Leben und Tod, bedient sich christlicher Symbolik und kreuzigt auf der Bühne auch mal ein ausgeweide-tes Schwein. Dass er die toten Körper, die in seinen Inszenierungen zum Einsatz kommen, „ordnungsgemäß“ ankaufen lässt, macht die Sache nicht appetitlicher oder weniger grausam, jedoch muss die Frage erlaubt sein: Wie appetitlich und mitfühlend ist eine Welt, in der es Tierleichen so einfach zu erwerben gibt, wie ehrlich ist ein Betrachter, der sich über die Eingeweide-Schlacht im Theater angewidert empört, am nächsten Tag jedoch genüsslich sein Zwei-Euro-Hähnchen verspeist? Ist die schnelle Befriedigung von Gelüsten tatsächlich mehr wert und ethisch vertretbarer als ein inszenierter Schock Moment, der ein kathartisches Rauscherlebnis zum Ziel hat und uns knallhart die Wirklichkeit vor Augen führt?
Nun wäre es natürlich verfehlt, ja geradezu absurd, Hermann Nitsch zu einem Vorkämpfer für den Vegetarismus zu stilisieren, und doch – er legt den Finger in eine Wunde, vor der ein Großteil der Gesellschaft nur allzu gern die Augen verschließt. Und soll das die Kunst nicht gerade – sichtbar machen, was wir nicht sehen (wollen)? „Mir geht es um intensives, sinnliches Erleben“, sagte Nitsch einst in einem ZEIT-Interview. „Unsere Zivilisation und die Religion wollen verdrängen. Es wird geleugnet, dass wir tote Tiere essen, das wird hygienisch und ästhetisch verpackt.“ So wenig keimfrei aber unser eigener Körper daherkommt, so wenig ästhetisch sieht auch die Realität in den Schlachthäusern aus.
Anonymisierung des Tötungsaktes
Das tote – vom Menschen geschlachtete – Tier war schon vor Jahrhunderten ein häufiger Gegenstand in der bildenden Kunst, zunächst im Rahmen religiöser Darstellungen. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts rückte dann der Körper als solches ins Zentrum des darstellerischen Interesses, etwa in Bildern des niederländischen Malers Pieter Aertsen (1509-1575) und seines Neffen Joachim Beuckelaer (1530-1573/74).
Später wollte der Expressionist Franz Marc (1880-1916) den Tieren ihre Seele zurückgeben, fragte nach ihrer Sicht auf die Welt und stellte die eigene infrage. Zu seinen bekanntesten Werken zählt das apokalyptisch wirkende „Tierschicksale“ von 1913, das er später selbst als Vorahnung des ersten Weltkrieges interpretierte.
Jahrzehnte nach ihm war es schließlich Joseph Beuys, der das Verhältnis des Menschen zu der ihn umgebenden Natur, insbesondere zum Tier, auf unterschiedlichste Arten zum Thema machte – man denke nur an seine „Honigpumpe“ (1977), die „Hirschdenkmäler“ (1982) oder die Aktion „I like America and America likes Me“, bei der er sich 1974 mit einem Kojoten in einer New Yorker Galerie einschloss.
Seit den frühen Darstellungen toter Rinder und Schweine hat sich viel getan – die Mechanisierung des Schlachtprozesses hat den Menschen vom Tötungsakt entfremdet, wiewohl der von seiner Grausamkeit nichts eingebüßt hat, ja diese durch die Anonymisierung des Prozesses im Grunde sogar verstärkt wurde. Ein Aspekt, den immer mehr moderne Künstler aufgreifen, wenngleich mit weniger drastischen und umstrittenen Mitteln als der Blut-und-Gedärme-Künstler Nitsch. Was in der Natur der Sache liegt, denn in jenen neuen Werken wird der Fokus auf tierethische Fragen gelegt, wird unser Konsumverhalten hinterfragt sowie gegen Spezieismus und Massentierhaltung protestiert. Zu diesem Zweck tote Tiere als künstlerisches „Material“ zu benutzen, würde gänzlich den Sinn verfehlen.
Es sei denn, man geht es so hintergründig an wie das Kölner Künstlerduo Ute Hörner und Mathias Antlfinger (www.h–a.org), deren Installation „KRAMFORS“ auf den ersten Blick geradezu niedlich daherkommt und einen im zweiten Moment den Atem stocken lässt. Da hockt ein süßes Stofftier auf dem titelgebenden Sofa eines schwedischen Möbelhauses, den Blick auf das Schnittmuster gerichtet, nach dem das vermeintliche Spielzeug gefertigt wurde. Allein – der Stoff, aus dem es besteht, ist Leder und diente einst dem Sitzmöbel als Bezug. Nun ist die Couch „gehäutet“ und die Haut wieder da, wo sie ursprünglich hingehörte: ans Tier. Die Langsamkeit,mit der dem Betrachter dieser Zusammenhang be-wusst wird, macht die Verstörung nur noch stärker und verdeutlicht, dass es Hörner und Antlfinger um mehr geht als das schlichte Anprangern einer Industrie, die allzu grausam mit den Tieren umgeht, welche sie zu Nahrung, Kleidung oder anderen Produkten verarbeitet. (…)
Den ganzen Artikel gibt’s in der Dezember/Januar-Ausgabe 2013 ab Seite 24!