Nadeln in der Haut – was sich nach einem schmerzvollen Unterfangen anhört, ist ein Heilverfahren der Traditionellen Chinesischen Medizin. Warum es in der Akupunktur um mehr als den lokalen Schmerz geht und man wieder mehr an die Kraft des eigenen Körpers glauben
sollte: Ein kleiner Überblick …
Wenn der Kopf vor Schmerzen zu zerbrechen droht, der Nacken spannt oder der Magen-Darm-Trakt außer Kontrolle geraten ist, dann können Medikamente für eine erste Linderung des Schmerzes sorgen. Langfristig entscheidet sich aber mittlerweile eine Vielzahl an Patienten für alternative Heilverfahren. Eine der beliebtesten Methoden darunter: die Akupunktur. Was noch bis in die 90er Jahre hinein stellenweise als Humbug abgetan und belächelt wurde, gilt heute als eine der effektivsten Methoden in der Schmerztherapie.
Wie die Nadel von China nach Europa reiste
Die erste schriftliche Erwähnung der Behandlung mit Nadeln – damals noch in Form von Steinnadeln oder Bambussplittern – stammt aus China und ist etwa 2200 Jahre alt. Bis sie sich in Europa etablierte, dauerte es jedoch noch eine Weile. Zwar wird die Akupunktur hier schon um 1700 bekannt, erregt jedoch erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Zuge einer wachsenden Neugierde gegenüber der Traditionellen Chinesischen Medizin das Interesse einer Vielzahl an Ärzten und hält damit Einzug in die westliche Kultur. Die anfängliche Euphorie, mit der die Akupunktur dort untersucht und auch weiterentwickelt wird, hält allerdings nicht lange an und so wird dieses östliche Verfahrens erst sehr viel später annähernd in die westliche Medizin integriert. Mit einem Bericht der New York Times, in dem 1971 die Wirkung des Nadelstichs als naturwissenschaftlich belegt bezeichnet wird, erfolgt schließlich eine für diese Integration wichtige Anerkennung der Akupunktur, die sich damit eine angesehene Stellung im medizinischen Bereich erworben hat. Doch wie kam man überhaupt auf die Idee, mit Stichen heilen zu können? Einer chinesischen Legende nach soll einst ein verwundeter Krieger von einem Pfeil getroffen und daraufhin genesen sein. Solche Erzählungen mögen zur Mystifizierung der Methode beigetragen haben, ebenso wie die Tatsache, dass es sich um ein Heilverfahren handelt, das nicht der westlichen Betrachtungsweise des Körpers und dessen Schmerzleidens – im Sinne einer schulmedizinischen Analyse – entspricht. Das könnte unter anderem daran liegen, dass in der Traditionellen Chinesischen Medizin Symptome nicht gesondert, sondern stets im Kontext des gesamten Körpers und der Lebensumstände des Patienten betrachtet werden.
Der Körper in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise
Eine Akupunkturtherapie wie auch die Diagnosestellung beginnen in der Regel erst, nachdem eine ausführliche Anamnese durchgeführt wurde, die über die Untersuchung des Körpers hinaus auch relevante Informationen zu der psychischen Verfassung des Patienten gibt. Um einem Missverständnis vorzubeugen, sei an dieser Stelle erwähnt, dass es sich bei einem Akupunkteur oder Heilpraktiker nicht um einen Fachmann mit psychologischer Ausbildung handelt. Da in der Akupunktur aber nicht nur der Schmerzherd herausgegriffen und untersucht, sondern der Körper ganzheitlich betrachtet wird, spielt auch das Seelenleben des Patienten eine Rolle für die medizinische Analyse. Um eine Diagnose stellen zu können, sind emotionale Verfassung, Ess- und Schlafgewohnheiten, Ängste, Verhaltensmuster und das soziale Umfeld für die Untersuchung dabei genauso wichtig wie das Leiden selbst.
Bei der Akupunktur wird also eine dualistische Auffassung im Sinne einer Leib-Seele-Trennung ausgeschlossen. Vielmehr werden mentale und physische Entitäten als eine Einheit begriffen. Der rein anatomische und physiologische Blick auf den Körper wird im Heilverfahren der Akupunktur also um eine Ebene erweitert, die auch die emotionalen Zustände des Patienten erfasst und in die Behandlung miteinbezieht. Dass auch in unseren Gefilden somatische und psychische Vorgänge durchaus in Verbindung miteinander gebracht werden, wird an Redewendungen wie etwa „Ihm ist eine Laus über die Leber gelaufen“, „Das schlägt mir auf den Magen“ oder einen „Dolch in der Brust haben“ deutlich. So fremd ist uns das Prinzip der ganzheitlichen Betrachtung des Körper also gar nicht.
Im Zeichen des Qi – alles ist im Fluss
Trotz einer westlich geprägten Weiterentwicklung der Akupunktur basiert diese immer noch auf dem Gedankengut der Traditionellen Chinesischen Medizin und begründet sich in der Vorstellung eines Un- bzw. Gleichgewichts, der Annahme des sogenannten Qi. Demnach zirkuliert das Körper Qi, eine im philosophischen Sinn universelle Spannungsenergie als dynamisches Element im Körper. Diese Energie beinhaltet sowohl emotionale Bewegungen als auch physische Vorgänge wie die Verdauung, Atmung oder die Körperbewegung selbst. Ist der Fluss dieser Energie gestört, dann liegt ein Ungleichgewicht des Yin und Yang vor, ein duales Ordnungsschema, bei dem sich beide Seiten des Organismus wie eine Waagschale austarieren und somit den Körper im Gleichge- wicht halten. Eine Beeinträchtigung der Dynamik des Qi hat demnach ein unausgewogenes Verhältnis von Yin und Yang zur Folge und führt schließlich zu Unwohlsein und Schmerzen im Körper, der nicht mehr in „seiner Mitte“ ist. Während ein sogenannter Qi-Mangel, also eine nur mäßig und träge zirkulierende Energie sich in Form von Erschöpfung oder Blässe kenntlich machen kann, bewirkt das rebellische Qi mit einem Überschuss an Energie genau das Gegenteil und kann, indem es in die entgegengesetzte Richtung innerhalb des Körpers strömt, zu Erbrechen oder Reizhusten führen. Eine Qi-Stagnation schließlich stört den Fluss komplett und führt zu Schmerzen. Durch die Akupunktur wird versucht, das in den Leitbahnen (auch Meridiane genannt) zirkulierende Qi wieder in einen ausgeglichenen Fluss zu bringen. Je nach betroffener Leitbahn werden hierfür entsprechende Akupunkturpunkte, die perlschnurartig und nach dem Schema von Yin und Yang, auf der Körperfläche angeordnet sind, stimuliert, um das Qi wieder in Schwung zu bringen.
Die Selbstheilungskräfte aufwecken
Wenn der Körper in einen Zustand von Disharmonie geraten ist und sich Krankheitssymptome als Folge dieses Ungleichgewichts einstellen, dann werden in der Akupunktur mithilfe der Stimulation von betroffenen Meridianen, die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert. Die Nadel selbst heilt aber nicht die Krankheit, sondern bewirkt lediglich, dass der Körper „aufwacht“, sich aus eigener Kraft heraus mit seiner Krankheit auseinandersetzt und dagegen vorgeht. Zur Stimulation wird neben dem Einsatz von sterilen, ca. 10-15 cm langen Nadeln, die in ausgewählte Punkte (je nachdem, wo der Schmerz sitzt, werden die zugehörigen Akupunkturpunkte ausgewählt) gestochen werden, auch andere akupunkturverwandte Verfahren angewendet:
Laserakupunktur:
Hierbei werden die Nadeln durch Laserstrahlen ersetzt. Insbesondere für Personen, die eine Abneigung gegen das Einstechen von Nadeln haben, hat sich die Laserakupunktur als eine gute Alternativmethode herausgestellt. Ca. 20 Sekunden dauert die Bearbeitung eines einzel- nen Akupunkturpunktes in diesem Verfahren. Moxibustion: Bei der Moxibustion wird die Akupunkturnadel vor dem Setzen zunächst erwärmt und anschließend in die entsprechende Stelle eingestochen, wodurch die Wärme in den Körper dringt und sich im Gewebe verteilt. Im Sinne der chinesischen Medizin empfiehlt sich diese Methode bei sogenannten Kälteerkrankungen wie beispielsweise Atemwegsinfektionen.
Elektroakupunktur (ESA):
In der Elektroakupunktur werden die gesetzten Nadeln zusätzlich mit einem geringen Maß an elektrischem Strom stimuliert.
Ohrakupunktur:
In Frankreich entwickelt und mittlerweile auch in China in die klassische Körperakupunktur integriert, wird bei diesem Verfahren zunächst das Ohr abgetastet, um anhand der Reflexe Empfindlichkeiten festzustellen. Die jeweiligen Punkte im und am Ohr stehen in Verbindung mit jeweils einem Organ, das sie „vertreten“ und welches bei der Nadelung des Punktes aktiviert wird. Oftmals wird die Zeich- nung eines mit dem Kopf nach unten liegenden Embryos auf das Bild einer Ohrmuschel gelegt. Es dient als Orientierung dafür, an welchen Stellen des Ohrs sich die jeweiligen Punkte für die zugehörigen Körperregionen befinden.
Triggerpunktakupunktur:
Hier wird die Nadel in den sogenannten myofaszialen („die Muskeln und Faszien betreffend“) Triggerpunkt gestochen und evoziert damit eine lokale Muskelreaktion, die zur Behandlung myofaszialer Beschwerden herangezogen wird.
Die Akupunktur als eine Behandlungsmethode der Traditionellen Chinesischen Medizin, die den Menschen als Mikrokosmos begreift, wird in sogenannten Kombinationsverfahren immer wieder begleitend zur naturwissenschaftlichen bzw. westlichen Medizin angewendet. Was die wissenschaftliche Belegbarkeit der Wirkungsweise von Akupunktur betrifft, so reicht die praktische Erfahrung wie auch die empirischen Beobachtung dieses Verfahrens mehrere Jahrhunderte zurück und kann auch durch seriöse Dokumentationen, Datenerfassungen und Experimente teilweise nachgewiesen werden. In bestimmten Behandlungsbereichen gibt es allerdings momentan nur Beobachtungen aus Studien, die noch keine endgültigen Schlüsse über die Wirksamkeit der Akupunktur zulassen. Diese regt vor allem die Selbstheilungskräfte des Körpers an, die ohnehin schon im Körper vorhanden sind, und kann damit eine heilende Wirkung auf gestörte Funktionsabläufe haben. Bei schwerwiegenden und irreparablen Krankheiten wie etwa einem Krebsleiden oder einer Organschädigung, sind die Grenzen der Akupunktur allerdings schnell erreicht.
Da die Traditionelle Chinesische Medizin nicht zum Ziel hat, mit der naturwissenschaftlichen Medizin zu konkurrieren, wäre es wünschenswert, wenn die Akupunktur im Sinne einer Daoistischen Ethik, die für eine Non-Dualität steht, nicht ewig um ihr Ansehen in der Medizin ringen müsste, sondern als eigene Form der Medizin parallel zur westlichen Medizin akzeptiert und in diese integriert werden könnte, wodurch sich beide Formen gegenseitig positiv befruchten und ineinandergreifen würden. Denn es ist das Wesentliche in der Medizin, was die beiden miteinander verbindet: der Wunsch, den Menschen zu heilen, seine Schmerzen zu lindern und den Körper gesund zu halten.