Fleischalternativen: Top oder Flop?

Fleischalternativen: top oder flop

Hochwertige Proteinquelle oder bloßer Pflanzenpantsch: Was steckt drin, in Lupinensteak und Sojawurst? Bevor wir alle den Grill anschmeißen, haben wir uns Fleischalternativen nochmals genauer angesehen. Das Ergebnis: ein Plädoyer pro Fleischersatz.

Von: Katharina Weiss

Davos 2018: Die Mächtigen der Erde kommen zum Weltwirtschaftsforum zusammen. Selbstverständlich steht da First-Class-Kulinarik auf dem Programm. Doch Traci Des Jardins, Starköchin aus San Francisco, muss geschmunzelt haben, als sie den Spitzenpolitiker*innen und Topmanager*innen in diesem Jahr ein exquisites Menü aus italienischen Hackbällchen, französischem Tartar und anderen derartigen Gerichten präsentierte – hergestellt gänzlich ohne Fleisch. Außerdem wurde der Impossible Burger serviert: Ein, wie es wenig sexy heißt, Fleischersatzprodukt, das, wenngleich schon nicht auf jedem Teller, sofort in aller Munde war. Denn dieser vegane Burger schmeckt nicht nur exakt wie Rindfleisch, sondern besitzt auch einen medium-rosigen Kern. Der sogar „blutet“, wenn er „rare“ belassen wird.
Der futuristische Fleischersatz, der in Davos aufs Porzellan kam, stammte von dem US-Start-Up Impossible Foods. Herstellungsbasis? Unter anderem Proteine aus Kartoffeln und Weizen. In Deutschland ist der Impossible Burger bislang nicht erhältlich. Dies könnte auch schwierig werden, schließlich ist seine zentrale Zutat – die auch für das legendäre „Bluten“ verantwortlich ist – einem gentechnischen Eingriff zu verdanken: Die DNA von Hefe wurde so verändert, dass sie in großen Mengen ein Hämoprotein herstellen kann. Dieses sorgt eigentlich für das Rot in Säugetierblut, ist aber auch in Pflanzen enthalten. Wird hier die genveränderte Hefe aufgebracht, erhält man jenes Destillat, das dem veganen Burger laut Impossible Foods das fleischartige A und O verleiht.
Freilich ist solcherart Future Food nicht nach jedermanns und jedefraus Geschmack. Und es verwundert kaum, dass dieser High-Tech-Burger aus dem Silicon Valley stammt, finanziert von Tech-
Größen wie Bill Gates. Doch es gibt andere neue Fleischanaloga aus den USA, die demnächst auch in unseren Supermarktr­egalen eintreffen. Erst vor wenigen Wochen hat etwa – und auch das dürfte nicht nach unser aller Geschmack sein – die aufgrund mehrfacher Tierschutzskandale verrufene PHW-Gruppe (Tochtergesellschaft: Wiesenhof) angekündigt, die Beyond-
Meat-Produkte auf dem deutschen Markt zu vertreiben. Auch Beyond Meat ist eines dieser aufsehenerregenden kalifornischen Start-Ups. Allerdings sind die ebenfalls rein pflanzlichen Beyond-Meat-Produkte im Vergleich mit Impossible Foods beinahe konventionell, da ohne Gentechnik hergestellt.

Fleischersatz: Brauchen wir das?

Bleiben wir an dieser Stelle in Deutschland. Denn gerade hier findet man Antworten auf die durchaus berechtigten Fragen: Brauchen wir solche Fleisch­alternativen eigentlich? Und müssen sie so high-tech sein, so „künstlich“? Die klare Antwort auf Letzteres lautet Nein. Dies beweisen schon jene Produkte, die hierzulande längst erhältlich sind: hergestellt aus etablierten Rohstoffen wie Soja und Lupine, immer häufiger sogar aus europäischem Bio-Anbau. Und auch die erste Frage nach der „Notwendigkeit“ von Fleischalternativen kann nur eine eindeutige Antwort erhalten: Ja, wir brauchen sie. Spaghetti Bolognese, Roulade, Currywurst – die Umfragen zeichnen stets ein eindeutiges Bild: Die Deutschen lieben Fleischgerichte, irrelevant, wie sehr sich die Berichte über Gesundheitsgefahren, Umweltschäden und Tierleid durch die Fleischproduktion häufen. Laut Ernährungsreport des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung standen auch 2017 wieder Fleischgerichte mit 53 Prozent ganz oben auf der Favoritenliste. Und selbst unter überzeugten Veganer*innen gestehen zahlreiche: Ja, seit Kindheitstagen ist mein Lieblingsessen Schnitzel mit Pommes. Oder Lasagne. Gerichte, die sich auch auf alternativer Basis herstellen lassen – zum Glück. „Wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren wollen, muss die Hemmschwelle dafür so niedrig wie möglich sein. Wir sind einfach Gewohnheitsmenschen“, stellt Anna-Lena Klapp, Ökotrophologin und Fachreferentin für Ernährung und Gesundheit bei ProVeg (ehemals Vegetarierbund Deutschland) fest. „All diese Produkte, die Alternativen zu Fleisch bieten, sind deswegen eine enorme Chance, diesen ganzen Rattenschwanz an Problemen anzugehen, der am Fleischkonsum hängt.“

Das neue Fleisch

Denn bislang wächst der Verbrauch von „echtem“ Fleisch, und das weltweit. 2013 lag er pro Kopf bei 43 kg – das sind rund 10 kg mehr als noch 1990. Eine fatale Entwicklung, für die Tiere, für den Planeten, auch für uns. Doch die Branche ist gerade dabei, „Fleisch“ als Lebensmittel neu zu definieren, indem sie den Grundrohstoff austauscht: In der heutigen Zeit muss Fleisch schlichtweg nicht mehr aus Tier bestehen. Um diesen Beweis ging es auch beim Impossible-Testlauf in Davos. Und selbst dies ist keine neue Idee. Seitan etwa soll bereits vor über 1000 Jahren in Asien von buddhistischen Mönchen hergestellt worden sein – als leidfreier, aber geschmackvoller Fleischersatz. Weizenmehl aufkneten, auswaschen, fertig ist der Seitan: Anders als hinter den technisch aufwendigen Produkten wie dem Impossible Burger gehen die Klassiker der pflanzlichen Küche – Seitan, Tofu, Tempeh etc. – auf alte, ausgeklügelte, aber dennoch einfache Verfahren zurück. Welche Auswirkungen eine Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung und derartige rein pflanzliche Produkte durch die Verbraucher*innen hätte, haben kürzlich die Wissenschaftler Joseph Poore und Thomas Nemecek im renommierten Science Magazine veröffentlicht: Der derzeit enorme Flächenverbrauch für Lebensmittel (und das heißt: Futteranbau für Tierprodukte) ließe sich nach ihrer Rechnung um 76 Prozent reduzieren, die Treibhausgasemissionen durch Lebensmittelproduktion um bis zu 49 Prozent, der Wasserverbrauch um durchschnittlich 19 Prozent. Die Potenziale von diesem neuen und neu definierten Fleisch für die Gesundheit unserer Erde sind immens.

Wie gesund sind Fleischalternativen?

Doch wie steht es um die Gesundheit der menschlichen Konsument*innen? Fleischgenuss kann, wie immer mehr Studien zeigen, deutlich negative Auswirkungen haben. Die WHO etwa stuft bekanntermaßen rotes Fleisch als „wahrscheinlich krebserregend“ ein und bringt es insbesondere mit Dickdarm- und Prostatakrebs in Verbindung. Doch abseits solcher Risiken bieten Fleischprodukte zugleich den Vorteil bestimmter Makronährstoffe, allen voran Protein, aber auch Mikronährstoffe wie Eisen. Diesen wiederum stehen disqualifizierende Faktoren gegenüber: Fett, gesättigte Fettsäuren, Salz. Und je nach Kalorienbedarf auch der hohe Energiegehalt. Können pflanzliche Alternativen die Nährstofffülle von Fleisch erreichen – und zugleich noch die Gesundheitsrisiken „echter“ Fleischprodukte außen vor lassen?
Protein: Gerade beim Eiweißgehalt kann Fleischersatz punkten. Allerdings schneidet hier nicht jedes Produkt gleich gut ab, erklärt Ernährungswissenschaftlerin Anna-Lena Klapp „Es kommt auf die Proteinquelle im Produkt an: Soja beispielsweise hat eine sehr gute Proteinqualität, vergleichbar mit der von Rindfleisch.“ Die Proteinqualität eines Lebensmittels gilt als umso hochwertiger, je besser und mehr körpereigenes Protein unser Organismus daraus herstellen kann. Zur Beurteilung wird z. B. die „biologische Wertigkeit“ herangezogen (siehe Tabelle).

„Ein Sojaprodukt kann also in dieser Hinsicht ein gleichwertiger Ersatz sein“, so Anna-Lena Klapp. „Auch Lupinenprodukte schneiden hier gut ab.“ Nicht mithalten können hingegen vegane Würste & Co., die z. B. ausschließlich aus Seitan hergestellt sind, auch wenn gerade Weizeneiweiß eine besonders fleischartige Textur ergibt. Allerdings werden solche Rohstoffe oft auch mit anderen, höherwertigen Proteinquellen kombiniert, sodass sich z. B. die besonders fleischähnliche Konsistenz von Seitan mit der Proteinqualität von Soja ergänzt. „Vor allem in der Kombination von Hülsenfrüchten und Getreide hat man am Ende ein wohlschmeckendes, aber zugleich vollwertiges Produkt“, so Klapp. In einer umfangreichen ernährungsphysiologischen Bewertung von veganen, vegetarischen und fleischhaltigen Produkten im Auftrag der Albert Schweitzer Stiftung entpuppten sich einige vegane Alternativen sogar als deutlich proteinhaltiger als die „Originale“ auf Fleischbasis. Diese Untersuchung drehte sich auch um weitere relevante Faktoren.

Die Ergebnisse:

Energiegehalt: Überwiegend hohe Kalorienzahl bei Fleischprodukten und -alternativen

Fett: Die Hälfte der Fleischprodukte im (zu) hohen, fleischfreie Alternativen im mittleren Bereich

Gesättigte Fettsäuren: Sehr hohe Spannbreite, die meisten Fleischprodukte jedoch im roten Bereich, viele bio-vegane Produkte im mittleren; Fazit: Nährwertangaben beachten

Salzgehalt: Hier schrillen die Alarmglocken: Alle untersuchten Produkte, ob auf tierischer oder pflanzlicher Basis, enthielten sehr viel Salz und müssen somit als alles andere als heilsam bei Bluthochdruck gelten. Das macht sie zu Genussmitteln, die man sich nicht jeden Tag gönnen sollte – ebenso wie die Rückstände von Mineralölen, die ebenfalls sowohl bei Fleischprodukten als auch bei -alternativen wiederholt für Negativschlagzeilen gesorgt haben. Überhaupt ist die Verpackung – fast immer aus Plastik – ein weiteres Manko und vermutlich verantwortlich für die genannte Schadstoffbelastung der Tier- sowie der Pflanzenprodukte.

Mit Blick auf den gesundheitlichen Nutzen lautet das Fazit der wissenschaftlichen Bewertung trotzdem, dass viele Fleischalternativen vorteilhaft sind. Vor allem dann, wenn Fleisch und Wurst durch sie vom Speiseplan verschwinden, die v.a. bei Fett, gesättigten Fettsäuren und Cholesterol sehr viel schlechter abschneiden. Bleibt nur noch die Frage nach dem begehrten Eisen – und nach den Zusatzstoffen, die Stiftung Warentest den Fleischersatzprodukten vor einiger Zeit in großen Dosen diagnostiziert hatte. „Wer Bedenken wegen Zusatzstoffen und Aromen hat, sollte sich für Bioqualität entscheiden“, rät Anna-Lena Klapp. „Im Vergleich zu konventionellen Produkten gelten hier deutlich strengere Richtlinien und oftmals wird im Biobereich sogar komplett darauf verzichtet.“ Und wer sichergehen möchte, dass er das pflanzliche Eisen gut aufnimmt, das mit hohem Gehalt, aber schlechterer Bioverfügbarkeit als bei tierischen Quellen z.B. in Sojafleisch, mit mittlerem in Tofu steckt, braucht nur klug zu kombinieren: „Für die pflanzliche Eisenaufnahme sollte man Vitamin-C-Haltiges dazu essen oder trinken. Das kann ein Glas Orangensaft sein oder ein Paprikasalat – der schmeckt auch toll beim Grillen zum Sojasteak.“

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