Kinder vegan ernähren?

Fahrlässig und verantwortungslos oder gesund und nachhaltig: Ist es möglich, Kinder vollwertig vegan zu ernähren oder führt eine reine Pflanzenkost automatisch zu einem Mangel? Wir haben nachgefragt bei Vegan-Ernährungsexperte Niko Rittenau.


Ungeeignet und gefährlich: Nicht wenige Experten unterschiedlicher Disziplinen sprechen sich gegen eine rein pflanzliche Ernährung bei Kindern aus. Du hingegen sagst, dass Eltern ihre Kinder vollwertig vegan ernähren können. Was macht dich so sicher, dass es auch ohne Fleisch und Milchprodukte geht?

Niko Rittenau: Ich stütze mich bei meinen Empfehlungen auf die internationalen Positionspapiere großer Ernährungsgesellschaften wie jene der Academy of Nutrition and Dietetics (Amerika), der British Dietetic Association (England), dem National Health and Medical Research Council (Australien) und der Canadian Paediatric Society (Kanada), die allesamt einen einheitlichen Standpunkt vertreten: Eine gut zusammengestellte rein pflanzliche Ernährung ist für jede Phase des Lebens geeignet und geht mit gesundheitlichen Vorteilen einher. Dr. Markus Keller geht auf die unterschiedlichen Phasen im Leben des Kindes in seinem empfehlenswerten Buch „Vegane Ernährung. Schwangerschaft, Stillzeit und Beikost“ nochmals detailliert ein und in Summe kommt auch er zu diesem Ergebnis. Ich kann verstehen, dass aufgrund der aktuellen Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung Verunsicherung unter vielen veganen Müttern herrscht, aber diese Sorge hat keine wissenschaftliche Grundlage, sofern man ein Grundverständnis für Ernährung hat. Es gibt einige Studien, die Mängel bei Veganern feststellen, aber die hier untersuchten Gruppen folgten keiner vollwertigen pflanzlichen Ernährung, sondern waren eher das, was man als „Pudding-Veganer“ bezeichnen würde. Und klar, man kann sich in jeder Kostform schlecht ernähren – auch in einer veganen Ernährung.

Würdest du sagen, dass eine vegane Ernährung bei Kindern nicht nur möglich, sondern sogar gesünder ist als eine Ernährung mit Fleisch, Eier und Milch?

Niko Rittenau: Auch hier beziehe ich mich auf die Academy of Nutrition and Dietetics, die weltweit größte Ernährungsgesellschaft, die in ihrem Positionspapier schreibt, dass eine ausgewogene vegane Ernährung für die Prävention und Therapie von ernährungsbedingten Erkrankungen geeignet ist und eine gesunde Alternative zu herkömmlicher Mischkost darstellt. Wir wissen aus diesen Positionspapieren und aus Studien wie der „Adventist Health Study 2“ auch, dass eine vollwertige vegane Ernährung für gesundes Körpergewicht, niedrigeren Blutdruck und niedrigere Cholesterinspiegel sorgen kann und damit das Risiko für Adipositas, Diabetes Mellitus Typ II, Herzerkrankungen, Schlaganfällen und einige Krebserkrankungen reduzieren kann. Von daher sehe ich großes gesundheitliches Potential darin und leite anhand der mir bekannten wissenschaftlichen Literatur definitiv ab, dass eine gut zusammengestellte vegane Ernährung gesünder ist als eine herkömmliche Mischkost mit Fleisch, Milch und Eiern. Denn auch hier sind sich alle Gesundheits- und Ernährungsgesellschaften einig: Es gilt, den Konsum von gesättigten Fetten zugunsten von ungesättigten Fetten einzuschränken und den Anteil an ballaststoffreichen, vollwertigen Kohlenhydraten zu erhöhen. Mit anderen Worten: Wir sollten allesamt weniger tierische Produkte und mehr vollwertiges Getreide sowie Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse essen.

Ganz praktisch: Welche „Milch“ soll man seinen Kindern geben, wenn nicht Kuhmilch? Ist z.B. „Hafermilch“ besser als „Sojamilch“?
Niko Rittenau: In den ersten sechs Lebensmonaten eines Kindes ist die beste Milch ganz klar: Muttermilch. Danach kann man Schritt für Schritt unterschiedliche Pflanzenmilchsorten einführen. Ich würde mit den weniger allergenen Sorten wie Reis- oder Hirsemilch anfangen und Schritt für Schritt andere Milchsorten auf Basis von Hafer, Soja, etc. einführen. Es spricht (mit Ausnahme von Allergikern) absolut nichts gegen Sojamilch. Ich habe meine Bachelorthesis zum Thema Soja geschrieben und kann sagen, dass Sojabohnen und daraus hergestellte (gering verarbeitete) Produkte wie Tofu, Tempeh, Sojamilch etc. gefahrenlos sind und Teil einer gesunden Ernährung sein können.

Verzögertes Wachstum, Gehirnschäden, Blutarmut: Manche liebäugeln mit einer
veganen Ernährung, haben aber Angst vor den Folgen eines Nährstoffmangels.
Gibt es kritische Nährstoffe, auf die vegane Kinder besonders achten müssen?
Niko Rittenau: Es gibt in jeder Ernährungsform sogenannte „kritische Nährstoffe“, über die man Bescheid wissen sollte. Bei veganer Ernährung sind das in der Regel Vitamin B12 (Cobalamin), Vitamin B2 (Riboflavin), Zink, Kalzium und Eisen. Doch es gibt hier auch sehr gute pflanzliche Quellen für jeden Nährstoff, die man allerdings kennen muss. Es gibt keinen Nährstoff, den man ausschließlich in tierischen Produkten findet und so können wir uns gut rein vegan versorgen. Ein Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin B12 ist für Veganer, Vegetarier und Fleischessern über 50 Jahren dringend zu empfehlen. Außerdem bekommen viele Personen nicht genügend Vitamin D aufgrund fehlender Sonnenbestrahlung der Haut. Das gilt allerdings für jeden Menschen in Deutschland unabhängig von seiner Ernährungsweise. Alle anderen genannten Nährstoffe lassen sich wunderbar rein pflanzlich decken.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) trägt ernährungswissenschaftliche
Forschungsergebnisse zusammen und riet vor einiger Zeit noch aus Sicherheitsgründen von einer veganen Ernährung ab. Wie ist der aktuelle Stand? Was sagt die DGE zu veganer Kinderernährung?
Niko Rittenau: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat 2016 zum ersten Mal ein offizielles Positionspapier mit ihrer Stellung zur veganen Ernährung herausgebracht. Damit hinkt sie der Ernährungsgesellschaft aus Amerika stolze 13 Jahre hinterher. Die Stellungnahme wurde im selben Jahr wie das Positionspapier der Gesellschaft aus Kanada veröffentlicht und kommt trotzdem zu einer ganz anderen Schlussfolgerung. Was ich damit sagen möchte: In vielen Teilen der Welt steht eine vegane Ernährung seit über einem Jahrzehnt für eine gesunde und bedarfsdeckende Ernährungsform. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind wir mal wieder etwas hinter der Zeit und zu konservativ eingestellt. Aber ich sehe definitiv Licht am Ende des Tunnels: Vor wenigen Wochen gab die DGE eine Pressemitteilung heraus, dass sie unter der Mitarbeit von Dr. Markus Keller eine vegane Ernährungspyramide kreiert hat. Ich sehe das als Meilenstein und definitiven Schritt in die richtige Richtung. Ich bin zuversichtlich, dass die DGE in ihrem nächsten Positionspapier zu einem anderen Ergebnis kommen wird und auch in Deutschland in absehbarer Zeit eine vegane Ernährung als eine gesunde Kostform empfohlen wird. Und da sich Österreich an der DGE orientiert, wird sich damit auch zeitgleich dort das Blatt wenden.

Über Niko Rittenau
Niko Rittenau ist veganer Experte, vielfach gebuchter Speaker und studierter Ernährungsberater. Er ist Mitbegründer und Dozent des Plant Based Institutes, das Koch- und Ernährungsprofis für die pflanzliche Küche ausbildet. Sein Ziel: Förderung von Gesundheit, Nachhaltigkeit und Genuss. Er meint: „Kaum eine wichtige Handlung vollziehen wir täglich öfter als die Nahrungsaufnahme. Meine Motivation ist es, ein Bewusstsein für die Macht der Ernährung und für den Schutz unserer Gesundheit, des Planeten und all seiner Lebewesen zu schaffen.“ Auch entwickelte er das hochwertige, gekeimte Biomüsli Keimster. In regelmäßigen Abständen bietet Niko Rittenau Wochenendseminare zum Thema „Mehr Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden durch pflanzliche Ernährung“, in denen die Teilnehmer lernen, wie man sich gesund und ausgewogen vegan ernährt.
Weitere Informationen über Niko Rittenau findest du hier: www.nikorittenau.com

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