Pelz boomt: Die traurige Legende vom glücklichen Nerz

Kaninchenbommel an Mützen, Pelzränder an Kapuzen und Felljacken: Kann Pelz im 21. Jahrhundert etwa salonfähig sein oder gar „politisch korrekt“?

Noch vor wenigen Jahren war Pelz ein Tabu. Nerzmantel und Fuchsstola galten als vorsintflutliche Mode-Relikte. Sie waren gedanklich verknüpft mit dem Geruch von Omas Klamottenkiste und Mottenkugeln. An ihren ästhetischen Wert wurde kein Gedanke verschwendet, weil ihr ethischer Unwert außer Frage stand: Seit den Tierschutz-Kampagnen der 1980er und 1990er Jahre teilte ein Großteil der Gesellschaft die Einstellung, dass keine Mode es rechtfertigt, Tiere wegen ihres Fells zu töten. Zahllose Tierschutz-Organisationen hatten die brutalen Methoden der Pelzindustrie offenbart. Zahlreiche Prominente, wie etwa das Supermodel Naomi Campbell, hatten an der Kampagne der Tierrechtsorganisation Peta teilgenommen und sich hüllenlos vor die Kamera gestellt: „Lieber nackt als im Pelz“ hieß die Devise. Dies alles schuf ein Bewusstsein für die Unverhältnismäßigkeit, die nicht nur jeder Pelzmantel, sondern auch jede kleine Fell-Applikation bedeutet: Große Grausamkeit als Preis für ein bisschen Fashion. Das hat sich geändert. Pelz ist zurück, auf den Straßen, in den Kaufhäusern, im großen Geschäft. Popstars wie Rihanna treten wieder in Pelzklamotte auf und spielen so das Enfant terrible der Party-Szene. Nicht anders sieht es in der Welt des Modedesigns aus: Karl Lagerfeld sorgt derzeit mit geradezu fanatischer Fur-Fashion für mächtig Furore. Für das Luxuslabel Fendi gestaltete er eine „Haute Fourrure“ – ein überbordendes Ensemble vom Pelz-Mantel bis zum Pelz-Schmuck, das die Extravaganz Fendis und Lagerfelds unter Beweis stellen möchte. Wider alle Bemühungen von Tierschützern, über die grausamen Hintergründe der Pelzproduktion aufzuklären, scheint die fragwürdige Mode regelmäßig zurückzukehren, die Tierfell zum edelsten aller Materialien verklärt. Woher aber kommt dieses keineswegs neue, beinahe ehrfurchtsvolle Verhältnis zu Pelz, das mit dem tierischen Material den Eindruck von Extravaganz, aber auch von Eleganz und Anmut verbindet?

Tierische (Ver-)Kleidung: Du bist, was du trägst?

Eine Antwort auf diese Frage findet sich in der Kulturgeschichte. Denn diese ist auch eine Geschichte des Pelzes. Allerdings nicht nur, weil der frühgeschichtliche Mensch auf das Fell erlegter Tiere als wärmende Schutzschicht angewiesen war. Vielmehr spielt Pelz immer auch eine zentrale Rolle in der Repräsentation von Macht und Stand. Der Pelz machte die Person: Ausführliche Kleiderordnungen regelten im europäischen Mittelalter genau, welcher gesellschaftliche Stand sich mit welchem Tier behängen durfte. Adel und Hochadel schmückten sich mit Zobel und Hermelin, während sich das gemeine Volk mit Katze und Schaf gegen Kälte zu verteidigen suchte. Allerdings diente das tierische Fell keineswegs nur als Standessymbol. Pelz ist immer auch eine Tiertrophäe – und dekoriert seinen Träger mit dem Eindruck, ein wildes Tier bezwungen zu haben. In den antiken Mythen begegnen uns Pelzträger, die ungewöhnliche Stärke repräsentieren. Das beste Beispiel dafür ist Herkules. Der Mythos erzählt, der junge Halbgott habe einen wilden Löwen mit bloßen Händen getötet und fortan dessen Fell um Kopf und Schultern getragen. Die Idee hinter dieser Geschichte folgt der Logik „Du bist, was du trägst“: Durch das Fell scheint Herkules nicht nur die Gestalt des Löwen anzunehmen, sondern auch dessen animalische Kraft auf sich zu laden.

Masochismus und Affenmuff – Pelz als Medium

Neben Stand, Stärke und Furchtlosigkeit geht Pelz aber noch mit einem weiteren symbolischen Wert einher: Nicht ohne Grund bezeichnet im Englischen das Wort für Pelz – fur – auch das weibliche Geschlecht. Wegen seiner angenehmen Haptik war Pelz stets mit erotischen Konnotationen beladen. Die Vorstellung, dass tierische Eigenschaften durch das Material auf den Menschen übertragen würden, galt auch für Wunschvorstellungen von Fruchtbarkeit und Liebeskraft: Bärenpelz steht dann für bärenhafte Potenz. Die Kunst hat auf vielfältige Art und Weise
damit gespielt, das erotisch-animalische, verruchte, häufig auch tabuisierte Flair von Pelz zu inszenieren.Der Renaissance-Künstler Tizian setzt in seinem berühmten Aktporträt „Mädchen im Pelz“ die entblößte, helle, glatte Haut der jungen Frau in Kontrast zur dunklen, samtigen Fellbordüre ihres Kleides. Peter Paul Rubens widmete seiner zweiten Frau ein verführerisches Porträt, das den neckischen Namen „Das Pelzchen“ trägt: Halb selbstbewusst, halb schamhaft verbirgt die junge Frau nur die intimsten Stellen ihres Körpers hinter einem schweren Pelzmantel. Leopold von Sacher-Masoch hat diesem Materialfetisch im 19. Jahrhundert ein literarisches Denkmal gesetzt: In seinem Roman „Venus im Pelz“ wird das erotische Empfinden der Hauptfigur geweckt, indem seine Angebetete im Pelzmantel auftritt. Doch geht nicht umsonst der Begriff Masochismus auf dieses Buch zurück: Das herrische Auftreten der Dame im Pelz degradiert ihr Gegenüber zum liebestrunkenen Sklaven. Manch merkwürdige Mode-Erscheinung wie ein Muff aus Affenpelz, der um 1900 in Nürnberg als der letzte Schrei angeboten wurde, mag mit all dieser Symbolkraft von Pelz gespielt haben: die Muff-Inhaberin als furchtlose Bezwingerin wilder Natur, die sich dank des gleichermaßen exotischen wie auch erotischen Materials einen erhabenen Platz in der Umgebung zuweist. Der Blick in die Kulturgeschichte zeigt: Der Schutz gegen Wetter und Kälte war in Sachen Pelzmode häufig zweitrangig. Die tierischen Felle dienten vielmehr der Kommunikation mit dem menschlichen Umfeld: Wer Pelz trug, wollte sich selbst als mächtig, wichtig und schön vermitteln. Pelz war – und ist – nicht nur Material, sondern immer auch Medium.

„Das wird man doch mal tragen dürfen“ – Pelz zum Trotz

Zwar leben wir heute nicht mehr in einer Gesellschaft, die nach Ständen oder Klassen getrennt sein
möchte. Doch hat die Mode die einstige Symbolik von Pelz in eine kaum subtilere Ausstrahlung überführt: Noch heute wird Pelz mit Macht und Reichtum, Exklusivität und Luxus assoziiert. Ein fehlgeleiteter Rückschluss, denn im 21. Jahrhundert ist Pelz dank Billigproduktion in Ländern wie China, Finnland und Polen zur leicht erschwinglichen Massenware geworden. Dieses günstige Angebot von Pelzwaren scheint einen Gegentrend zu füttern, der sich gegen die allgegenwärtige Sorge um Gesundheit und Nachhaltigkeit richtet. Denn es fällt auf, dass gerade gebildete junge Leute – häufig mit einer Vorliebe für Öko und Bio, Vegetarismus und politische Korrektheit – gerne Anoraks und Parkas mit (Kunst-)Fell-Applikationen tragen. Da mutet das ungenierte Tragen von Pelz wie ein Bruch mit der sonst so korrekten, besorgten Attitüde an. In einer Gesellschaft, die über
die Produktionsumstände aufgeklärt ist, erscheint die bewusste Entscheidung für Pelz als Trotz gegenüber der einstigen öffentlichen Einstellung, Pelz abzulehnen: „Das wird man doch mal tragen dürfen“ als Pendant zu jener populären Phrase, die einen Bruch mit Political Correctness zu verteidigen versucht.

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