Sind Gemüsespieße weiblich?

„Eine schlaue Frau lässt grillen.“ Oder: „Kartoffeln und Brot sind der schlanken Taille … Tod. Darum nur in Maßen genießen.“ Aha. Jetzt wissen wir Frauen Bescheid. Dank eines Buches mit dem bedeutungsschwangeren Titel „Grillen für echte Kerle & richtige Mädchen“, dessen Cover hübsch zweigeteilt ist in einen martialisch schwarzen und einen fröhlich-pinkfarbenen Part. Dort sehen wir jeweils die Hälfte eines runden Grills, auf dem es ordentlich brutzelt: Gemüsespieße auf der dunklen „Kerle“-, ein fettes Kotelett auf der bunten „Mädchen“-Seite … Haha. Scherz! Natürlich ist es umgekehrt, denn welcher „echte Kerl“ greift schon zu Tomaten, Spargel und Zucchini? Und welche Frau, Pardon, welches Mädchen, welches richtige Mädchen, achtet nicht auf die schlanke Linie? Außerdem auf rauchfrei duftende Kleidung, damit sie mit ihren Freundinnen schwatzen kann, während der Liebste ein paar Meter weiter am Rost steht und dafür kaum mehr braucht als „genügend Bier, um den Grillmeister von innen zu kühlen“ und „einen Freund zum Schweigen am offenen Feuer“. Mit dem kann er dann so richtig männlich davon träumen, er habe das Rind fürs Steak soeben selbst per Hand erlegt.

Du merkst, ich flüchte mich in Sarkasmus, kann ich doch dieser Welt, die mehr als sieben Milliarden Persönlichkeiten in lediglich zwei „Sorten“ unterteilt und mir auch noch erzählen will, was diese zwei Sorten „richtig“ oder „echt“ macht, herzlich wenig abgewinnen. Das eingangs genannte Buch ist schließlich nur ein Beispiel von unzähligen. Längst ist die Zweiteilung der Menschheit in den Lebensmittelregalen angekommen, wo milde, pastellfarbene Grillsaucen „für sie“ sowie feurige, dunkle „für ihn“ auf willige Abnehmer und Käuferinnen warten. Ebenfalls erwähnenswert, auch wenn es uns Veggies weniger betrifft: die „Frauen-“ und „Männer-Bratwürste“ einer großen Supermarktkette, die letzten Sommer als „besonders mager mit feinem Gemüse“ bzw. „deftig, kräftig gewürzt“ angepriesen wurden. Zum Glück, möchte man da als Feministin fast meinen, ist die Grillsaison für dieses Jahr zu Ende. Doch nun, da wir es uns daheim kuschelig machen, gibt es ja immer noch Kartoffelchips für „Mädelsabende“ mit „Creamy Paprika“- und für die Männer in Knabberlaune (nicht Jungs!) feurige mit „Flamed BBQ“-Geschmack. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wagen Sie bloß nicht, einmal versehentlich ins falsche Futter zu beißen, du könntest flugs das Geschlecht wechseln, ups.

Aber bleiben wir mal sachlich. Denn bei aller Genervtheit angesichts der gigantischen Gender-Marketing-Maschinerie – einige Zahlen scheinen den Werbestrategen recht zu geben. Obwohl der Vegetarismus ursprünglich eine von Männern geprägte Bewegung war, sind heute von den laut VEBU (Vegetarierbund Deutschland) derzeit rund sieben Millionen Vegetariern und einer Million Veganern in Deutschland gut zwei Drittel weiblich. Auch unter den Allesessern gibt es klare Vorlieben der Geschlechter. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung fand heraus, dass Männer wöchentlich doppelt so viel Fleisch verputzen wie Frauen, diese dafür mehr Gemüse und Obst verzehren und das dann öfter roh als die Testosteron-Fraktion. Die Untersuchung kam übrigens auch zu dem Ergebnis, dass Männer deutlich mehr Süßes naschen als die vermeintlich so auf Schokolade versessenen Frauen, doch das nur am Rande.

Brauchen Männer Fleisch?

Wenn wir mal davon absehen, dass ein Drittel männlicher Veggies immer noch eine ganze Menge Personen sind, denen man mitnichten allesamt das Label „kein richtiger Mann“ aufdrücken sollte (wie übrigens sowieso überhaupt niemandem) – wie kommt es denn nun zu den im Durchschnitt doch recht gravierenden Unterschieden im Essverhalten? Der Antwort dieser komplexen Frage können wir uns lediglich annähern. „Ein echter Kerl braucht Fleisch“, diese Ansicht ist, aller veganen Leistungssportler zum Trotz, immer noch weit verbreitet und wird mitunter begleitet von dem Argument, dass Männer aufgrund ihrer größeren Muskelmasse einen höheren Bedarf an Eiweiß hätten. Davon abgesehen, dass es bekanntermaßen auch jede Menge pflanzliche Lebensmittel mit hohem Eiweißanteil gibt, lässt sich diese Aussage jedoch nicht belegen. Denn Eiweiß ist nicht nur wichtig für die Muskeln, sondern auch für verschiedene Organe wie etwa die Haut sowie Knochen, Sehnen, Blut usw. Unterm Strich benötigen Männer wie Frauen in etwa gleich viel Eiweiß, nämlich knapp ein Gramm pro Kilo Körpergewicht.

Es gibt zweifellos körperliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen und damit teilweise auch einen unterschiedlichen Bedarf an bestimmten Nährstoffen. Wobei auch dieser wiederum nicht ausschließlich vom Geschlecht, sondern noch von weiteren Faktoren wie Alter, Gewicht, Fitnesslevel, Krankheitsgeschichte usw. bestimmt wird und allgemeine Aussagen daher mit Vorsicht zu genießen sind. Gehen wir aber mal vom berühmten Durchschnitt aus, dann ist erstaunlich, dass sich unsere Essvorlieben teilweise sogar entgegengesetzt zu unseren biologischen Bedürfnissen gestalten. So scheint etwa der weibliche Körper aufgrund seiner Hormone deutlich besser mit tierischen Fetten zurechtzukommen als der männliche – gegessen wird aber genau umgekehrt. Es führt an dieser Stelle zu weit, eine Abhandlung darüber zu schreiben, welche Lebensmittel für welches Geschlecht vom biologischen Standpunkt her besonders sinnvoll wären – Tatsache ist jedoch nach heutigem Stand der Wissenschaft, dass das unterschiedliche Essverhalten der Geschlechter in weiten Teilen kulturelle und soziale Ursachen hat und so gut wie keine, die in der jeweiligen Anatomie begründet sind.

Von klein auf lernen wir, wie Männer und Frauen zu sein haben, der kleine Junge wird zu Tapferkeit, Kraft und Wildheit erzogen, mit Sprüchen wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ sowie Piratenkostümen und Auto-Rennbahnen; das Mädchen wird fürs hübsche Kleid gelobt und spielt mit rosa gewandeten Wespentaillenpuppen. Durch die auch farblich getrennten „For Boys“- bzw. „For Girls“-Abteilungen der Spielzeugläden wird sichergestellt, dass auch in Zeiten sinkender Geburtenraten ausreichend Geld im Handel gelassen wird. Denn wenn der kleine Leon nicht das Spielzeug benutzen „darf“, für das seine große Schwester Mia zu alt geworden ist – dann muss eben flugs neues gekauft werden.

Die Problematik ist natürlich weitaus komplexer als dass sie mit ein paar Schlagworten dargestellt werden könnte, doch dürfte es bezeichnend sein, dass es stets ausgerechnet die Studien in die Populärmedien schaffen, die einen starken Unterschied in Vorlieben und Verhalten der Geschlechter festgestellt haben, während andere, die keine nennenswerten Unterschiede zeigten, unter den Tisch fallen. Selbst dann noch, wenn sie durch eine um ein Vielfaches höhere Teilnehmerzahl repräsentativer waren als erstere. Lesenswert dazu ist das Buch „Die Geschlechterlüge“ der kanadisch-britischen Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine, die unter anderem aufzeigt, dass Menschen in verschiedenen Tests häufig nur dann dem jeweiligen Gender-Klischee entsprechend abschneiden, wenn sie zu Beginn an ihr Geschlecht erinnert werden, etwa, indem sie aufgefordert werden, es mit einem Kreuzchen zu kennzeichnen.

Fleisch als Machtsymbol

Frauen sollten vor allem hübsch (häufig gleichgesetzt mit schlank) und einfühlsam, Männer vor allem stark und mutig sein, so das grob heruntergebrochene Bild, das auch in einer emanzipierten Gesellschaft wie der unseren noch eine gewaltige Präsenz innehat. Nehmen wir dazu das Image, das Fleisch anhaftet, kommen wir der Frage auf die Spur, warum dieses immer noch als besonders „männliches“ Lebensmittel gilt: „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft.“ Schon mal gehört? Auch der Akt des Tötens, der natürlich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Schnitzel auf dem Teller steht, hat nach wie vor ein „männliches“ Image im Gegensatz zur lebensspendenden Weiblichkeit. In „Mutter Erde“ wachsen schließlich die Kartoffeln. Sogenannte Öko-Feministinnen gehen mitunter sogar soweit, im Fleischverzehr ein Symbol männlicher Dominanz und männlichen Machtgebahrens zu sehen. Eine Schlussfolgerung der ich persönlich schon deshalb nicht folgen möchte, weil ich Gewalt nicht per se für „männlich“ halte und Männer nicht von Natur aus für weniger mitfühlend als Frauen. Allein, das Image bleibt, und so ist es denn auch kein Wunder, dass ein bekanntes, dem Fleischkonsum gewidmetes Food- und Lifestylemagazin, von dem wir mitunter hören, es sei „das Gegenteil vom Veggie Journal“, sich einen Untertitel gibt, der da lautet: „Das Magazin für Männer mit Geschmack“.

Insofern beißt sich die Katze in den Schwanz: Wir bekommen permanent gesagt, was wir (zu) mögen (haben), und mögen es darum tatsächlich. Auch unsere Zeitschrift trägt letztlich, und das führte intern bereits zu Diskussionen, zu dieser Klischee-Manifestierung bei, indem wir neben der „Kinder“- auch eigens eine „Männer“-Seite im Heft haben, als seien eben jene ein vegetarischer Sonderfall, der mit dem Rest des Heftes eigentlich nichts zu tun hat. Doch es braucht eben lange, um festgefahrene Denkstrukturen zu durchbrechen, und da kann es mitunter sinnvoll sein, die Noch-Ausnahmen einer Bewegung ins Blickfeld zu rücken. Damit sie eben gesehen werden, die vegan lebenden Patrik Baboumians, Jan Bredacks, Björn Moschinskis und all die anderen Charaktere, die allesamt verschieden sind, denen man aber eines ganz bestimmt nicht absprechen kann: ihre Männlichkeit. Auch dann nicht, wenn sie sich gerade ein Gemüsespießchen schmecken lassen.

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