“Sie darf ja gar nichts mehr essen”

(Kolumne) Über das Vorurteil der veganen Selbstkasteiung und einen vernünftigen Weg, um Pflanzen mit guter Laune unters Volk zu mischen.

Von: Jacqueline Floßmann

Der Ort des Geschehens: eine kleinstädtische Gartenparty. Es wird gegrillt und Familienangehörige stehen ehrfürchtig um einen teuren Feuerplatz herum, um das Brutzeln von Lenden, Flanken und Grillkäse zu bewundern. Ich hatte mir vorher extra noch eine Tofuwurst aufgetaut, sie aber schlauerweise zu Hause liegen lassen. Interessiert schlenderte ich zum Beilagenbuffet und stellte fest, dass sich im Kartoffelsalat Mayonnaise und im Couscous Feta befand, zudem glänzten auf dem grünen Salat Mozzarellawürfel. Eine klassische Grilltafel unter Omnivoren, nichts Nie-Dagewesenes, kein Grund zur Panik oder Wut, dachte ich mir. Entspannt griff ich mir einen Haufen Brot und garnierte meinen Teller mit verschiedenen (versehentlich) veganen Saucen, wie eine Malerin ihre Leinwand. Ohne auch nur den Ansatz einer unglücklichen Miene aufzusetzen, stippte ich mein Brot in das Kunstwerk und kaute vor mich hin, während ich die Gespräche der anderen wie sanfte Bächlein durch meine Hirnwindungen plätschern ließ. Doch plötzlich stellten sich mir die Haare im Nacken auf, als würde mir jemand mit stechenden Blicken Eiszapfen auf den Rücken schießen.

Langsam drehte ich mich um und sah, wie mich mich meine Tanten, Onkel, Cousins sowie die Schwiegereltern meines Onkels mit großer Betroffenheit und noch größeren Augen anstierten. „Was machst du denn da?“, wurde ich gefragt und ich erzählte wahrheitsgemäß die Geschichte von der vergessenen Tofuwurst. Wie vom Blitz getroffen schlugen alle die Hände über dem Kopf zusammen und brüllten im Chor: „Ach, wie und jetzt darfst du gar nichts essen?“ Von überall her hallten nun Rufe an mich heran. „Sie darf ja gar nichts mehr essen!“, „Das ist doch extrem“ oder auch ein vorwurfsvolles „Na, jetzt übertreib es aber mal nicht, da hat man ja gar keinen Spaß mehr am Leben!“ 

Mit zusammengekniffenen Augen ließ ich das verbale Gewitter über mich ergehen und wartete geduldig, bis die Empörungsbekundungen langsam verhallten. Freundlich grinste ich meine Großfamilie an und meinte in sachlichem Ton: „Ich darf alles essen, aber ich möchte nicht. Meine Entscheidung, Brot mit Sauce zu verzehren, birgt weder ein existenzielles Problem für mich, noch möchte ich euch sagen, dass der Lebensstil großteils auf der Ausbeutung von fühlenden Wesen aufbaut. Es entspricht nicht meinem Weltbild und trotzdem will ich euch den Genuss eurer Wurst auf dem 1000-Euro-Grill nicht vermiesen. Mit einem herzlichen Nicken prostete ich abschließend in die Runde. Keine Sorge, natürlich habe ich das nicht gesagt und so erstens die Stimmung ruiniert und zweitens meinen kleinen Erbanteil riskiert, sondern nach dem ersten Satz Halt gemacht und dann schon herzlich nickend in die Runde geprostet. 

Trotz meiner äußerst diplomatischen Äußerung wurde meine Entscheidung nur widerwillig und unter Kopfschütteln akzeptiert und ich fand es einmal mehr amüsant, wie sehr Mitmenschen sich doch von meiner persönlichen Mahlzeitenwahl in ihrem Feelgood-Modus beeinträchtigt fühlen, wie hartnäckig sich das Narrativ des Verzichts doch hält. Dass ich nicht mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen werde, weitgehend auf tierische Produkte zu verzichten, dass ich jederzeit ein Käsebrötchen essen könnte, ohne dass ein „Vegane Vereinigung zur Einhaltung der veganen Lebensweise e.V.“ meine Fehltritte protokolliert, scheint für viele nur schwer verständlich. Und dass die vegane Küche reichhaltig, gesund, deftig, leicht, süß, herzhaft, spannend, klassisch, bodenständig, abgehoben – ja, dass die vegane Küche all das sein kann, was für mich eine gute Küche ausmacht – davon will ich erst gar nicht anfangen. Doch irgendwann lernt auch der sturste Mensch, so wie ich nun mal einer bin, dazu. Statt also meine Familie vor den Kopf zu stoßen, habe ich sie kollektiv zum Abendessen eingeladen. Sie gut gelaunt mit pflanzlichen Leckereien zu verwöhnen, ist wohl zielführender, als sie mit erhobenem Zeigefinger maßzuregeln. Auch wenn es mich ab und zu wirklich in selbigem juckt.

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