Für Tiere, die vor Ausbeutung und Qual gerettet wurden, engagieren sich die sogenannten Gnadenhöfe.
Autor: Alexander Nym
Nahe der Autobahnausfahrt Pegnitz, im Herzen der idyllischen Fränkischen Schweiz, liegt – auf halbem Weg zwischen Bayreuth und Nürnberg – ein Refugium der besonders engagierten Art. Auf 15.000 m² bietet der Gnadenhof Fränkische Schweiz rund 130 Tieren einen dauerhaften Zufluchtsort. Er ist ein Auffangbecken für verstoßene, gequälte, verlassene oder gerettete Lebewesen, die ihren vorigen Besitzer*innen zu teuer, zu aufwändig oder zu lästig geworden sind, und die das Glück hatten, der Gaskammer oder der Schlachtbank zu entkommen. Dabei ist der Gnadenhof Fränkische Schweiz nur eine von mehreren privat geführten Betrieben, die sich zum Ziel gesetzt haben, wenigstens denjenigen, die dem sicheren Tod entrissen werden konnten, einen sicheren Hafen zu bieten – bis zum Lebensabend.Ob Hund oder Katze, Pony, Pferd, Kaninchen oder Kuh, Gänse, Enten oder Wildschweine: Der Gnadenhof Fränkische Schweiz mit seinen Gehegen, Ställen und Auslaufflächen versammelt ein buntes Sammelsurium der unterschiedlichsten Tiere – eine vibrierende Vielfalt, die es auf modernen Bauernhöfen schon längst nicht mehr gibt. Und im Unterschied zu Tiergärten oder Wildparks werden die Tiere hier keiner wie auch immer gearteten kommerziellen Nutzung unterworfen, das Tierwohl steht an erster Stelle. In voneinander abgezäunten Gehegen leben die Tiere in angeregter Nachbarschaft, gehen ihren Bedürfnissen nach und dürfen einfach leben, frei von menschlicher Verzweckung als Nutz- oder Spaßtiere.
Neben dem Haupthof, den Freiflächen und Ställen, die Platz für 16 Schafe und Ziegen, die 11 Ponys, 10 Pferde, 15 Hunde und die vier Wildschweine bieten, gibt es in etwas Entfernung noch die „Seniorenresidenz Katzenglück“ mit 25 pelzigen Bewohnerinnen, und die Auffangstation „Kleines Kuhaltersheim“, die 6 Tieren zur Heimat geworden ist. Von den insgesamt 130 Tieren der Einrichtungen genießen 20 eine volle Patenschaft, d.h. ihre Pflegeund Unterbringungskosten sind vollständig durch die Unterstützung von Tierpaten gedeckt. Wunschziel der Betreiberin Monika Pracht, die sich seit 1986 in der Tierrechtsbewegung engagiert und den Hof 1990 ins Leben gerufen hat, ist, in den kommenden zwei bis drei Jahren diese drei Einrichtungen auf einem großen Hof zu vereinen. Das würde nicht nur mehr Platz bedeuten, sondern auch den Aufwand für Betreuung und Logistik drastisch verringern. Derzeit stemmen vier Hauptangestellte den gesamten Aufwand, auch dank der Unterstützung Ehrenamtlicher, die vor allem an den Wochenenden mithelfen, wenn der Hof für Besucherinnen geöffnet ist. Mit den gegenwärtig 130 Tieren ist er an der Fassungsgrenze – durch die Zusammenlegung auf einem größeren Gut würden auch Kapazitäten für weitere Tiere entstehen. Denn im Unterschied zu Tierheimen nehmen Gnadenhöfe zuvorderst unvermittelbare Tiere an oder solche, für die es in Tierheimen an Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten fehlt. Wie Pferde und Ponys, in Zirkussen entrissen, oder vom Gerichtsvollzieher gepfändete Tiere, deren Unterhaltskosten den Eigentümern über den Kopf wuchsen – leider kein seltenes Schicksal, das für die meisten betroffenen Tiere beim Pferdemetzger endet. Nicht zuletzt, weil es in Deutschland bis heute keine Haltungsverordnung für Pferde gibt, sodass sie jederzeit zur Schlachtung geschickt werden können, ohne dass das irgendjemand in Frage stellt. Allein der Gnadenhof Fränkische Schweiz erhält bis zu 30 Angebote, Pferde aufzunehmen – pro Woche. Insgesamt erhält Monika Pracht wöchentlich zwischen vierzig und fünfzig Anfragen; ein Andrang, der für andere Gnadenhöfe ebenso zu viel ist wie für den Tierschutz.Das erfordert auch die tragische Stärke, Nein sagen zu müssen: „Die ganze Welt können wir nicht retten; wir müssen uns auf Einzelschicksale konzentrieren“, so Pracht.
Gnadenhöfe sind keine Tierheime
Da Tierheime in erster Linie Haus- und Kleintiere aufnehmen, aber keine Stallungen für größere Tiere besitzen, ist deren Schicksal in den überwiegenden Fällen besiegelt. Doch manche haben Glück, rechtzeitig einen Platz in einem Gnadenhof vermittelt zu bekommen – vorausgesetzt, es gibt Kapazitäten, um neue Tiere aufzunehmen. So ein Glückspilz war die 15-jährige Stute Loni, die als störrisch und schwer zu reiten galt, alles umstieß, was ihr im Weg war und deswegen „ausgemustert“ werden sollte. Dank der Intervention einer beherzten Tierfreundin konnte Loni einen Tag vor dem Schlachttermin im Gnadenhof Unterschlupf finden. Nach ihrer Ankunft wurde festgestellt, dass ihre Koordinationsschwierigkeiten daher rührten, dass Loni blind war – was erstaunlicherweise niemand zuvor auf dem Reiterhof bemerkt haben wollte. Mit der entsprechenden Fürsorge gewann sie in der Folge an Selbstsicherheit und legte ihre Verhaltensstörungen nach und nach ab. Sie wurde von Beginn an von den anderen Tieren in die kleine Herde auf dem Hof integriert, wo sie trotz ihrer Behinderung noch 12 zufriedene Jahre lebte. Oder der kleine Castano, ein wunderschöner Windhund aus Spanien, der in Franken in Sicherheit landete, nachdem er als Straßenhund im Alter von vier Monaten viel zu früh kastriert wurde, weshalb er unstet und wild ist wie ein hormongesteuertes Kleinkind und von Tierheimen als unvermittelbar eingestuft würde. Andere seiner Leidensgenossen, die vor der grausamen Tötung in Trainingsrunden für Hundekämpfe gerettet werden konnten, sind gezeichnet von ihren Qualen, wie Lara und Cora, die in Serbien als Übungsmaterial für Hundekämpfe dienen sollten. Die gutmütige und zutrauliche Lara hat in der Unterlippe einen Winkel, der daran erinnert, dass serbische Straßenhunde oft mit Widerhaken eingefangen werden. Oder die inzwischen 17(!)-jährige Sinai, die aufgehängt worden war, eine in Spanien durchaus gängige Methode im Umgang mit nicht zur Jagd geeigneten Windhunden.
Rettung vor Qualen und Missbrauch
Gerne würden die Betreiber von Gnadenhöfen jedem Tier ermöglichen, einengeruhsamen Lebensabend unter ihresgleichen zu verbringen, doch die Wirklichkeit verlangt von ihnen, harte Entscheidungen zu treffen. Denn die Aufnahmemöglichkeiten eines jeden Hofes sind naturgemäß begrenzt; die anfallenden Kosten für Futter, Personal, tierärztliche Betreuung sowie die Instandhaltung und den Ausbau der Anlagen bringen die Gnadenhöfe an die Grenzen der Belastbarkeit. So gern man jedem leidenden Tier eine Zufluchtsstatt wäre, so riesig ist der Bedarf daran. Und der kann mit den vorhandenen Mitteln nicht gedeckt werden in der Fränkischen Schweiz liegt bei einer Viertelmillion Euro pro Jahr, wobei die Tierarztkosten knapp ein Drittel des Budgets ausmachen. Gedeckt werden diese Kosten primär durch Tierpatenschaften,Spenden und Vereinsbeiträge sowie Geldund Sachsponsoring, wie etwa die Unterstützung durch gespendete Baumaterialien von zugeneigten Unternehmen aus dem Großraum, die von Ehrenamtlichen kostenlos in Do-it-yourself-Manier zu Gehegen, Koppeln und Zäunen umgewandelt werden. Auch gelegentliche Hinterlassenschaften aus dem Erbe verblichener Unterstützer*innen ermöglichen in unregelmäßigen Abständen die Erledigung teurerer Posten, wie größere Ausbau- oder Renovierungsarbeiten. Da der Gnadenhof Fränkische Schweiz als besonders förderungswürdig eingestuft wurde, müssen in solchen Fällen keine Erbschaftssteuern abgeführt werden; die übereigneten Erbschaften kommen derlei gewürdigten Höfen in Gänze zugute. Was auch nötig ist, da es für sie ansonsten keine staatlichen Fördergelder gibt. Die (durchaus vorhandene) Unterstützung aus Rathäusern und Landratsämtern ist vorwiegend ideeller Natur. Der permanente Zwang zur Fördermittelakquise kommt also zu den Anforderungen des laufenden Betriebs noch hinzu. Dank Auf- und Zuwendungen der angegliederten Unterstützer in der Region produziert der Gnadenhof Fränkische Schweiz beispielsweise auch Kalender und kleine Broschüren mit den teils dramatischen, aber stets rührenden Hintergrundgeschichten der Bewohner, deren Erlöse ebenfalls dem Betrieb des Hofes zugutekommen.
Gnadenhöfe sind Lebenshöfe
In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es mehrere Dutzend Gnadenhöfe, die nach diesem Modell funktionieren. Der größte und wahrscheinlich bbekannteste, Gut Aiderbichl, ist seit der Gründung in Henndorf (nahe Salzburg) im Jahr 2001 auf insgesamt 26 Höfe in vier Ländern angewachsen. Dank den Zuwendungen von Großspendern konnten die Höfe kontinuierlich auf- und ausgebaut werden, sodass Aiderbichl zur ersten Adresse unter den Gnadenhöfen avancierte. Von solch soliden Verhältnissen können die meisten kleineren Höfe jedoch nur träumen. Eigentlich ist es eine Schmach für unsere angeblich vernuftbegabte Spezies, dass ein von menschengemachten Qualen freier Lebensabend für unsere Mitgeschöpfe keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine besondere Gnade. Deswegen sind diese Höfe auch viel mehr als nur eine Art Tierheim-Endstation. Hier können die Tiere ihrem Naturell entsprechend in Frieden mit anderen Tieren zusammen leben, und das funktioniert erstaunlich gut, nicht zuletzt wegen der aufopferungsvollen Hingabe, mit der sich die Betreiber*innen, Pfleger*innen und Ehrenamtlichen der rührenden Tierschicksale annehmen. Ob ihnen noch viele Jahre oder nur wenige Wochen oder Monate bleiben: Ein Leben ohne Qualen und Ausbeutung durch den Menschen kennenzulernen und dem Recht auf artgerechte Existenz nachzukommen, ist der Grundgedanke dieser Einrichtungen. Die Gnade, die ihnen von ihren menschlichen Befreierinnen angedeiht, stellt dabei den ersten Moment der Befreiung dar, bevor Zuwendung, Güte und Liebe die verbleibende Lebenszeit der geschundenen Kreaturen bestimmen. Deshalb sollten diese von Idealistinnen betriebenen Einrichtungen vielmehr Liebes- oder (wie manche es bereits tun) Lebenshöfe genannt werden. Denn Leben,Liebe und Vertrauen können die traumatisierten Kreaturen, die hier Aufnahme finden, oft erst schrittweise wieder erlernen. Gnade wird und wurde ihnen, wie ihren Artgenoss*innen, nur zu oft von unseren eitlen Kosumwünschen verwehrt, denen sie wie selbstverständlich untergeordnet wurden. Im Dunkel der ethischen Verirrungen unseres Zeitalters sind Gnadenhöfe mehr als strahlende Beispiele menschlichen Mitgefühls; sie geben Hoffnung, dass unsere eigene Spezies vielleicht doch nicht komplett (selbst-)zerstörerisch, eigensinnig und ignorant das eigene Lebensrecht in hedonistischer Umnachtung verspielt.