Fans und Feinde: Die Reaktionen auf „Tiere denken“, das neue Buch von Deutschlands populärstem Philosophen, sind so extrem wie unterschiedlich. Kein Wunder, steckt darin doch eine gute Prise Provokation – wie auch in unserer Unterhaltung mit Richard David Precht über Laborfleisch, Veganer und Jäger.
Von: Katharina Weiss
Wie halten Sie‘s mit den Tieren? Unser Umgang mit anderen Lebewesen sei keine Privatsache, schreibt Precht in „Tiere denken“, sondern gehe uns alle an. Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Bestseller-Autor dem Thema Tierethik widmet. Schon 1997 hatte er „Noahs Erbe“ veröffentlicht. Doch angesichts ausufernder Massentierhaltung ist heute eine Auseinandersetzung damit angebrachter denn je.
Helfen Sie mir, es zu verstehen, Herr Precht: Auf dem Weg zum Interview bin ich mit der U-Bahn gefahren. Da saßen Damen und Herren mit ausladenden Echtpelz-Kapuzen – und auf dem Schoß die Schmusehündchen. Ein absurdes Bild! Auch Ihr neues Buch macht deutlich: Wir geben uns zwar tierfreundlich, sind es aber zumeist nicht. Zeigt sich im Umgang mit Tieren die Schizophrenie unserer Gesellschaft?
Diese „Schizophrenie“ ist ja keineswegs neu, sondern durchzieht das gesamte Mensch-Tier-Verhältnis. Aber sie hat sich radikalisiert, indem wir das Tierelend im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts hinter die Kulissen verlegten. Früher fanden Schlachtungen auf dem Marktplatz statt. Heute wäre dies Erregung öffentlichen Ärgernisses: Die Leute würden sich aufregen, die Kinder weinen. Doch hinter den Kulissen, in Pelzfarmen und Schlachthäusern? Da ist so etwas in unserer Gesellschaft machbar. Millionenfach.
Dabei versteht sich unsere Gesellschaft aber als aufgeklärt. Direkt über den Pelzträgern prangt in der U-Bahn derzeit wieder eine Kampagne, die informiert, wie brutal Pelz hergestellt wird. Bleiben solche Infos unbemerkt?
In unserer Gesellschaft gehört dazu, dass man wegschaut. Wir werden mit Reizen, mit Informationen überflutet. Jeder Großstadtmensch gewöhnt sich an zu ignorieren. Verdrängen bewahrt uns vor dem Irrewerden an der Welt. Trotzdem: Die Kluft ist gewaltig zwischen dem, was laut Umfragen die Mehrheit der Gesellschaft für moralisch vertretbar hält, und dem, wie mit Tieren umgegangen wird. Also ist Verdrängung keine Option, sondern es kommt hier derzeit so viel Druck unter den Kessel, dass wir ernsthaft infrage stellen müssen, wie wir mit Tieren umgehen – gesellschaftlich und politisch.
Woran die Politik nicht interessiert ist, wie sich schon am deutschen Tierschutzgesetz abzeichnet. Das besagt: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ In Ihrem Buch zeigen Sie aber auf, was es eigentlich ist: „ein kurzer Text über das Töten“.
Richtig, denn wer das Tierschutzgesetz ernsthaft infrage stellt, rüttelt an den Grundfesten unseres ökonomischen Systems. Jenes hält die Ausbeutung von Tieren für einen „vernünftigen“ Grund: weil vernünftig gleichgesetzt wird mit wirtschaftlich nützlich. Und wenn ein Politiker diese Auslegung anzweifelt, bekommt er enorme Probleme, weil die Lobbyvertreter, z.B. der Fleischwirtschaft, sehr mächtig sind. Damit legt sich kaum ein Politiker an.
Sie selbst setzen deswegen auf eine andere Entwicklung, die vielen Nutztieren in Zukunft helfen könnte, nämlich auf In-Vitro-Fleisch – also im Labor gezüchtetes Fleisch.
Und mache mir damit derzeit viele Feinde.
Wie das?
Oh, jüngst z.B. war ich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Ernährung der Zukunft, da saß auch ein Herr vom BUND. Wir waren uns zunächst sehr einig, doch als ich dann die Sprache auf In-Vitro-Fleisch brachte, war er entsetzt. Da hat er mich in einer Linie gesehen mit Leuten, die mit Gentechnologie die Umwelt zerstören. Es passte nicht in sein Weltbild, dass man mithilfe von Gentechnik ein Welternährungsproblem lösen könnte. Natürlich kritisiert er die Grüne Gentechnik zu Recht (Anm. der Red.: die gentechnische Manipulation von Nutzpflanzen wie Soja) – die kritisiere ich auch. Aber offensichtlich verteufelt er nicht den Einsatz einer Technik, sondern bereits die Technik selbst.
Trotzdem stößt mir hieran etwas bitter auf – und es ist nicht der Geschmack von Laborfleisch. Ihr Buch birgt ja einen starken moralischen Appell, Tiere besser zu behandeln. Aber mit diesem Zukunftsszenario von In-Vitro-Fleisch setzen Sie nicht auf eine Veränderung unter moralischen Vorzeichen, sondern unter ökonomischen, oder?
Ganz richtig. Und genau das ist es, was manche Kritiker an mir stört. Nur: Ich sehe da kein Entweder-Oder. Es geht doch nicht um die Frage: „Lösen wir das Problem der Tierhaltung technisch-ökonomisch oder moralisch?“ Sondern darum, dass es, selbst wenn in Deutschland keiner mehr Fleisch essen würde, die Massentierhaltung in unverändertem Ausmaß gäbe. Das Fleisch würde dann nach China verkauft, nach Indien oder Russland. Jenem Herrn vom BUND schien nicht klar zu sein, dass ein Umdenken allein in Gesellschaften wie Deutschland, Skandinavien oder im Küstenbereich der USA das Massentierhaltungselend nicht beseitigen kann. Einerseits haben Millionen von Chinesen heute plötzlich ausreichend Geld, um sich Fleisch zu leisten, und werden das auch nutzen. Auf der anderen Seite gibt es diesen wichtigen Sensibilisierungsprozess bei uns. Was spricht denn dagegen, an beiden Fronten aktiv zu sein?
Besteht da nicht die Gefahr, dass sich so der ökonomische Gedanke wieder radikal durchsetzt? Und den moralischen und ethischen Anspruch aushöhlt, der Tiere eigentlich vor ihrer Ausnutzung durch die Wirtschaft schützen möchte?
In moralischer Hinsicht gäbe es sonst noch genug zu tun. Würde man die Massentierhaltung ersetzen durch entsprechende Labore, in denen man dieses Fleisch herstellt – was in Deutschland in 15 oder 20 Jahren der Fall sein könnte –, dann gäbe es für das moralische Bewusstsein immer noch genügend Baustellen: Pelzfarmen zu verbieten oder Tierversuchspraxis zu hinterfragen. Das moralische Umdenken würde also nicht aussterben. Ich verstehe aber, wenn Leute dieses In-Vitro-Fleisch nicht essen möchten – denn man braucht ja nicht unbedingt Fleisch. Und schließlich muss auch für Laborfleisch erst Kälberserum gewonnen werden. Für manche ist das ethisch nicht optimal. Nur: Es nicht zu essen steht ja jedem frei. Peter Singer, ohne den die vegane Bewegung nicht denkbar wäre, hat gesagt, er würde es essen.
Würden Sie denn?
Ich würde es essen.
Zugegeben: Ich auch.
Man würde etwas abwarten, wie sich Laborfleisch gesundheitlich auswirkt. Aber ich bin mir sicher, dass die Risiken im Gegensatz zum Fleisch aus Massentierhaltung geringer sind. Und ich würde den Konsum von Laborfleisch auch propagieren. Denn es wird viele Leute geben, die wir mit dem moralischen Umdenken nicht mitnehmen. Es ist vorstellbar, dass in 20 Jahren die Hälfte der Bevölkerung nur noch wenig Fleisch oder auch gar keines mehr isst. Aber es werden auch dann nicht alle Menschen sein. Und wenn die anderen dann Burger oder Würste aus In-Vitro-Fleisch essen, dann ist mir das hundertmal lieber als das, was sie jetzt essen. Was mich aber an vielen nervt, die eine solche Entwicklung kritisieren, ist dieses Gefühl von Moralheiligkeit und Exklusivität. Viele Leute essen kein Fleisch, um sich selbst besonders rein und edel zu fühlen. Und das ist eine Motivation, die mir nicht besonders sympathisch ist.
Weil in solchen Fällen unter dem Deckmantel des Altruismus, also des Tierwohls, ein völlig egoistischer Grund vertreten wird?
Ja. Und weil mitschwingt: Hauptsache, ich lebe rein und edel, und wer nicht so lebt wie ich, ist böse. Ich habe damit ein Problem, sobald es militant wird. Aber ich stelle bei der Aufnahme meines Buches ohnehin fest, dass sich zwei Gruppen auf mich einschießen: Veganer und Jäger. Veganer, weil ich selbst keiner bin und mir trotzdem anmaße, über Tierethik zu schreiben und ein Leben ohne Fleisch als das bessere darzustellen. Als ein Mensch, der gelegentlich sogar Fleisch isst?! Das wird als Verrat betrachtet.
Wird aber von Ihnen als öffentliche Person nicht zu Recht eine Vorbildfunktion erwartet? Unterwandern Sie nicht die Bewegung der Tierethik, wenn Sie weniger Fleischkonsum fordern, aber zugeben, dass Sie selbst inkonsequent sind?
Mir geht es um etwas anderes. Würde ich jetzt sagen, ich lebe vegan, und kundtun, dass jeder Nicht-Veganer grundfalsch lebt, dann würden deswegen vielleicht ein paar wenige Menschen Veganer werden. Der große Rest würde sagen: Ach, Veganer, die waren mir schon immer suspekt, und der Precht gehört auch zu diesen Spinnern … Sage ich aber: Auch ich habe einen Umlernprozess durchgemacht, auch ich habe meinen Fleischkonsum immer weiter reduziert – dann hole ich die Leute da ab, wo sie selbst stehen. Und dann ist die Chance, dass die Leute über ihr Leben nachdenken und ihr Verhalten ändern, viel größer. Das ist keine Unterwanderung der Bewegung, sondern eine Vergrößerung der Klientel und hat strategische Funktion. Ich möchte den Einzugsbereich von Menschen, die sich für Tierethik interessieren, erweitern.
[…]
Das vollständige Interview findet ihr in der Februar/März-Ausgabe 2017, die ihr hier bestellen könnt. Alle Hefte schicken wir euch portofrei zu.