Der Think Tank NUTRITION HUB veröffentlichte Anfang des Jahres den Trendreport Ernährung 2025, der die derzeit wichtigsten Ernährungstrends genauer beleuchtet. Wir sprachen mit der NUTRITION-HUB-Gründerin Simone K. Frey über die Spitzenreiter, Selbstoptimierung und Ernährungsarmut.
Liebe Simone, bevor wir über die Trends sprechen, warum macht ihr den Trendreport?
Die Auswirkungen unserer Ernährung auf die Gesundheit und das Klima beschäftigen Verbraucher ebenso wie Entschei- dungsverantwortliche. Es stellt sich die Frage: Wie können sich alle Menschen in Zukunft ausgewogen ernähren, ohne dabei die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde zu überschreiten? Welche Tech- nologien können wir dabei nutzen? Der Trendreport soll die Arbeit aller am Er- nährungssystem Beteiligten unterstützen. Wir möchten Menschen über die neuesten Entwicklungen in der Ernährungsbranche aufklären, damit wir alle fundierte Ent- scheidungen für eine gesunde und nach- haltige Ernährung treffen können.
Wie habt ihr die Daten für den Zukunftsreport erhoben?
Zunächst ist wichtig zu wissen, welche Forschungsmethoden man grundsätzlich zur Verfügung hat. Man kann z.B. Marktanalyse-Daten von Unternehmensberatungen auswerten oder man nimmt Social Listenings, in denen man Unterhaltungen in den sozialen Medien analysiert. Was wir von NUTRITION HUB machen, ist das Expert Listening. Wir befragen qualitativ Fachleute aus den unterschiedlichsten Bereichen, die jeden Tag mit Ernährungsthemen arbeiten. Hier wollten wir wissen: Was beobachtet ihr? Was verändert sich?
Diese Bewegungen, die von Fachleuten mehrfach beobachtet werden, hattet ihr anfangs jährlich untersucht, jetzt aber nicht mehr. Warum?
Genau! Wir hatten festgestellt, dass sich innerhalb eines Jahres gar nicht so viel verändert. In den sozialen Medien, wo es kurzfristig auch Trends bzw. Hypes gibt, ergibt es vielleicht Sinn, Entwicklungen jährlich zu analysieren. Bei uns ist dies nicht der Fall, weil wir Fachleute immer mit einem ganz realistischen Blick auf die Entwicklung schauen. Bei uns geht es nicht um Hypes, sondern um langfris- tige Trends. Wir setzen dabei auf einen qualitativen Forschungsansatz. Die 199 Fachleute aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen haben freiwillig und un- entgeltlich mitgemacht. Wir haben ihnen zehn Ernährungstrends zur Bewertung gegeben. In diesem Jahr haben wir fünf Kooperationspartner: das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), die Dr. Rainer Wild-Stiftung, die Duale Hochschule Ba- den-Württemberg (DHBW ) Heilbronn und EIT Food Region West.

CREDIT GRAFIK (TRENDS): NUTRITION HUB
Der Spitzenreiter unter den Trends ist die pflanzenbetonte Ernährung. Was sagen die Fachleute dazu?
Das ist sehr spannend! Bei der Auswer- tung 2023 hatte man folgende Entwick- lung beobachtet: „Ich habe Lust, den Kon- sum tierischer Produkte zu reduzieren.“ Jetzt geht es noch einen Schritt weiter. Wir sprechen in diesem Jahr nicht mehr darüber, dass man mehr Pflanzliches es- sen sollte. Es gibt nun diese Idee: Wenn ich das tue, dann kann ich damit nicht nur der Umwelt etwas Gutes tun, sondern auch meiner Gesundheit. In einer Welt, die sich gerade vielleicht gar nicht gut anfühlt, bin ich gerne bei mir und kann mir Ziele setzen.
Apropos persönliche Ziele: Inwiefern gewinnt die personalisierte Ernährung an Bedeutung?
Wir haben uns immer gefragt: „Warum fehlt der große Aufwind bei der persona- lisierten Ernährung?“ Immerhin möchte man doch wissen, was man essen soll, da- mit es einem gut geht. Die letzten Jahre hat sich diesbezüglich nicht viel getan. Das hat sich nun stark verändert! Ein Beispiel ist die Blutzuckermessung, die an Bedeutung ge- winnt. Nicht, weil alle spontan Diabetes ha- ben, sondern weil Menschen sich präventiv einen Blutzuckersensor auf die Haut kleben. Das sind jetzt vielleicht noch die Health Enthusiasts, die Technologiefreundlichen, die Super-Performer. Aber: Es ist interessant, denn gemeinsam mit Fitness-Apps, Smartwatches und Schlaf-Ringen z.B. rutscht die personalisierte Ernährung in Richtung Massenmarkt. Dabei geht es nicht um Verzicht, sondern um bewussten Genuss und eigenverantwortliche Entscheidungen.
Viele müssen ja auch fit sein. Für den Job, die Ausbildung. Oder auch die Großeltern, die sich um die Enkel kümmern …
Ja, daher gewinnt auch hier die personalisierte Ernährung an Bedeutung. Nehmen wir eine Frau, bei der die Wechseljahre an- stehen. Man möchte sich gut fühlen und man möchte durchschlafen. Hinzu kommt das Trendthema Longevity, weil man eben noch mit 70 Jahren fit sein und mit den Enkelkindern spielen möchte. Es kann aber auch sein, dass ich die personalisierte Ernährung und Maßnahmen von Longevity nutzen möchte, um besser im Sport zu werden. Die Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit zieht sich durch alle zehn Trends. Auch bei der nachhaltigen Ernährung gilt: „Ich zuerst“ – und dann habe ich noch einen positiven Nebeneffekt, eben, dass ich z.B. etwas fürs Klima tue.
Bewusster Genuss zeigt sich nicht nur beim Essen, sondern auch beim Trinken. Hier sagen die Experten, dass es Tendenzen zur Reduzierung bzw. des bewussten Verzichts auf Alkohol gibt.
Ja, man möchte flexibel bleiben und sich nicht einschränken lassen, nur weil man etwas getrunken hat. Ich habe neulich gelesen, unabhängig von unserer Erhe- bung, dass bei der jungen Generation, der Gen Z, die Nachfrage nach Rotwein sinkt. Das fand ich interessant. Das heißt ja nicht, dass sie nichts mehr trinken, aber es verschiebt sich etwas.
Wir haben in einem anderen Interview mal über die Wichtigkeit einer vollwertigen Gemeinschaftsversorgung gesprochen. Neben den Trends um personalisierte Kost ging es vor allem um einen Punkt, der mir nachhaltig im Kopf geblieben ist: Die Frage der Gemeinschaftsver- pflegung sei vor allem auch eine feministische Frage. Denn meistens sei es so, dass, wenn wir uns unter- wegs nicht vollwertig ernähren, das Kochen vor allem an den Frauen hängenbleibe …
Absolut! Das Gute: Es passiert viel. Auch Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und Kantinen modernisieren ihre Speisepläne, um der Nachfrage an pflanzlichen und voll- wertigen Gerichten gerecht zu werden. Die Nachfrage sieht man vor allem bei der jün- geren Generation.
Welche Schlussfolgerungen zieht ihr aus dem Expert Listening?
Die Idee ist, dass der Trendreport Tenden- zen sichtbar macht, bevor sie den Massen- markt erreichen. Die Wissenschaft ist diesbezüglich oftmals weit hinterher, weil die Entwicklungen so schnell gehen, dass es wirklich schwierig ist, Evidenz zu kreieren. Studien brauchen wirklich lange, bis sie durchgeführt sind. Es geht um Gesundheitsfragen, Lebensmittelrecht, Marketing, Inhaltsstoffe und vieles mehr. Nehmen wir mal Abnehmspritzen. Was passiert, wenn Gesunde sie kaufen? Was heißt das für die Erkrankten? Wir wollen das gar nicht bewerten in „gut“ oder „schlecht“, sondern wir wollen wissen: „Was heißt das für mich? Womit muss ich mich beschäftigen, um mit- zugestalten?“ Auch wenn die Ernährung- transformation da ist: Gesunde Ernährung, das sehen viele unserer Fachleute ebenso, avanciert immer mehr zum Luxus. Aufgrund gestiegener Preise sehen sich immer mehr Menschen mit Ernährungsarmut konfron- tiert.WirsehendaherauchdieTrendreports und deren Ergebnisse als Einladung, Ernährungsentwicklungen aktiv mitzugestalten. Denn: Die Zukunft liegt auf unserem Teller!
INFO:
NUTRITION HUB ist Deutschlands größtes Netzwerk für Ernährungsex- pertinnen und -experten und bringt Wissenschaft, Start-up-Szene sowie Entscheiderinnen und Entscheider aus der Industrie zusammen. Die seit 2025 gemeinnützige Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, eine gesunde und wertschätzende Ernährung durch die Verbreitung von fundiertem Ernährungswissen in der Gesellschaft zu stärken. NUTRITION HUB bietet Bildungsveranstaltungen zu aktuellen Ernährungsthemen für die Akteure der Branche an und veröffentlicht Berichte und Zukunftsreports mit dem Wissen der Ernährungsexpertinnen und -experten des Netzwerks.
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