Die Legende vom umweltfreundlichen Naturprodukt
Outdoor-Mode ist vor allem bei jüngeren Leuten momentan sehr beliebt. Sie schmückt sich häufig durch Pelz mit dem Eindruck von Qualität, Hochwertigkeit und Robustheit. Doch mit Naturverbundenheit hat dieser Outdoor-Chic nichts zu tun. Die Recherchen von Plusminus legen eine alarmierende Chemikalienbelastung der Fellbestandteile von Kleidungsstücken verschiedener Hersteller offen. Laboranalysen ermittelten Stoffe wie Nonylphenolethoxylate in einer Dosis, die den zulässigen Wert der EU-Chemikalienverordnung REACH beinahe um das Zweifache übersteigt. Diese Chemikalie wird beim Waschen der Pelze verwendet. Doch seine Abbauprodukte stören den Hormonhaushalt und können die Fruchtbarkeit schädigen. Eine andere Gefahrenquelle schlummert laut der Analysen in den neckischen Pelzbommeln von Mützen. Hier wurde Formaldehyd entdeckt, welches krebserregend und allergieauslösend ist. Andere Ermittlungen fanden hautreaktive oder sogar geburtsschädigende Stoffe. Wie ist das möglich? Während für Formaldehyd überhaupt kein Grenzwert für Textilien verordnet ist, gelten bei Pelz und Leder Sonderregelungen, die höhere Werte solcher Substanzen erlauben als bei anderen Textilien. Aus Sicht des Verbraucherschutzes grenzt dies an einen Skandal.
Pelz ist aufgrund seiner Verarbeitung also alles andere als ein schönes Naturprodukt. Damit ist aber auch das Argument hinfällig, die Herstellung von Pelz bedinge weniger Umweltbelastung als im Fall von synthetischen Textilien. Allein der Ressourcenaufwand ist enorm. Die Tierschutzorganisation Peta errechnet einen 60fach höheren Energiebedarf, um einen Mantel aus Echtpelz zu produzieren, als es für einen Mantel aus Kunstpelz nötig wäre. Hinzu kommen zahlreiche „Kollateralschäden“ während der Herstellung. Friedrich Mülln fasst die fatale Produktionskette zusammen: „Pelzproduktion bedeutet ressourcenintensive Tierfütterung und aufwendige Kadaverentsorgung. Schädlich ist aber vor allem das Gerben. In China gibt es ganze Regionen, in denen das Höchstalter bei 50 Jahren liegt, in Bangladesch sogar nur bei 40, weil Pelz- und Lederproduktion das Land so vergiften. Hinzu kommen noch die Stoffe aus der Weiterverarbeitung wie die Imprägnierung.“ Und auch diese sind alles andere als gesundheitsförderlich. Während Synthetik aus Erdöl besteht und damit sogar recycelbar ist, ist Pelz häufig so stark kontaminiert, dass er eigentlich ein Objekt für den Sondermüll wäre.
Die Legende von zahl-losen Arbeitsplätzen
Karl Lagerfeld bringt während eines Interviews mit der New York Times eines der geläufigsten ökonomischen Argumente auf, mit denen Industrien verteidigt werden, wenn diese in die Kritik geraten: Die Pelzbranche schaffe immerhin viele Arbeitsplätze. Bei weltweiten Rekordumsätzen von 12 Milliarden Euro scheint das Argument zunächst plausibel. Doch die Pelzindustrie täuscht mit ihren enormen Umsatzzahlen, die sie in den vergangenen Jahren erwirken konnte, über den eigentlichen Zustand der Branche hinweg. „Tatsächlich beschränkt sich ihr ökonomischer Gewinn zunehmend auf wenige, aber riesige Farmen, während kleine Farmen kaputtgehen“, erklärt Mülln. „Polen ist ein gutes Beispiel: Vor einigen Jahren gab es hier noch 900 Farmen, heute sind es nur noch 400 – aber es werden drei Mal so viele Pelze produziert. Früher gab es Betriebe mit
200 Füchsen, heute stehen dort Farmen mit 100.000 Nerzen – die von gerade mal drei bis vier Mitarbeitern versorgt werden.“ In Europa hat die Pelzindustrie häufig technologisch so aufgerüstet, dass für die Versorgung und Verarbeitung der Tiere kaum mehr Personal vonnöten ist. Jene Mitarbeiterzahlen, mit denen sich diese Branche so gerne ins ökonomisch wertvolle Licht rückt, umfassen zumeist die ganze Verarbeitungskette, inklusive der Textilindustrie. „In Deutschland werden momentan ca. 160.000 Pelztiere gezüchtet, aber die Branche bringt es auf nicht mehr als 60 Mitarbeiter“, so Mülln.
Tierschutz gegen Pelzlobby – die Schlacht geht weiter
Erinnern Sie sich noch an Kimi, den weißen Fuchswelpen? Im vergangenen Jahr hat der Tierschutzverein Vier Pfoten mit der Kampagne #SaveKimi auf das Leid der Tiere in finnischen Pelzfarmen aufmerksam zu machen versucht. Trotz einer Spende von über 40.000 Euro, über 66.000 Facebook-Unterstützern und beinahe 300.000 Protest-Emails hat sich der Adressat der Kampagne, das Modeunternehmen Burberry, geweigert, den Verkauf von Echtpelz zu stoppen. Solange die Nachfrage groß genug ist und es der Pelzindustrie gelingt, ihre Produkte als unauffällige Accessoires an den Mann bzw. die Frau zu bringen, wird die Welt der Mode nicht pelzfrei sein. Und so kehrt der Kampf zwischen Pelzindustrie und Tierschutz in regelmäßigen Abständen wieder.
In den letzten Jahren ist die Schlacht allerdings schmutziger geworden. Die Pelzindustrie hat auf die letzten wirkmächtigen Kampagnen des Tierschutzes reagiert und sich teilweise mit zynischen Worten an dessen Angriffe angepasst. Akteure wie das Deutsche Pelz-Institut antworten mit Video-Kampagnen und Websites auf die Vorwürfe durch Tierschützer. Häufig werfen diese Antworten den Organisationen Unehrlichkeit oder auch finanziellen Eigennutz vor. Aber auch die Mode hat die Statements der Tierschützer ins Gegenteil verkehrt. Der französische Designer Quentin Veron antwortete mit dem Slogan „I’d rather wear fur than go naked“ auf die Antipelz-Initiative „I’d rather go naked than wear fur“. Stars wie Lindsay Lohan, Verona Pooth oder Kanye West nutzen Auftritte in Pelz, um sich ein Image zwischen Luxus und Verruchtheit zuzulegen. Pelz ist Symptom einer Kultur geworden, die den Skandal vor allem mit Publicity bedenkt und denjenigen, der mit einem Tabu bricht, als Antihelden feiert.
Aber auch Widerstand und Widerwille gegen Pelz werden immer lauter. In der Castingshow Austria’s Next Topmodel hat sich die Kandidatin Bianca Konarzewski vor laufender Kamera geweigert, im Pelzkleid über den Laufsteg zu gehen. Prominente wie Roger Cicero, Daniela Katzenberger und Thomas Kretschmann demonstrieren auf Plakaten von Peta weiterhin offensiv gegen das Tragen von Pelz. Zahlreiche Modeunternehmen haben sich zum Verzicht auf Pelz bereit erklärt: Erst im Juli 2015, so meldet Vier Pfoten, hat Hugo Boss sich als fellfreier Hersteller zu Firmen wie Tommy Hilfiger, Zara und Esprit gesellt. Letztlich ist es aber an uns als Konsumenten, ob wir unsere Umgebung tierleidfrei gestalten wollen oder nicht. Heute kann jeder Pelz tragen – aber es spricht weder für Geschmack noch für Wohlstand noch für gesellschaftliche Stellung oder Klasse, sondern schlichtweg für ethisches Unbewusstsein, gesundheitliche Gedankenlosigkeit und ökologisches Unverständnis. Das sollte uns die Entscheidung pro oder contra Pelz eigentlich leicht machen.