Jedes Jahr vom späten Mai bis Anfang Juni schwimmen die Thunfische von Carloforte zu ihren Laichgebieten. Viele kommen niemals an, denn sie werden Opfer einer archaischen Fangmethode und landen als „nachhaltig gefangen“-gelabelt im Verkauf. Animal Equality ermittelte 2012 verdeckt auf den Fischerbooten. Im Interview erzählt Hendrik Haßel, was die Tierrechtsorganisation bei ihrer Recherche erlebte, und verschafft uns damit einen Eindruck von dem Massaker, das gerade wieder stattfindet …
Bild links: Die Thunfische werden mit dem Netz aus dem Meer gezogen. Es ist deutlich zu sehen, wie sie übereinander liegen. Teilweise bekommen sie schon jetzt kaum Sauerstoff.
Bild Mitte: Auf dem Boot werden die Tiere geschlachtet. Sie verbluten oder ersticken.
Bild rechts: An Land werden die Tiere ausgenommen.
Fotos: Igualdad Animal/ Animal Equality
Was habt ihr auf Carloforte gesehen?
Carloforte ist eine kleine Insel südwestlich von Sardinien. Wenn die Blauflossenthunfische auf ihrem Weg zu ihren Laichgebieten sind, fängt sie ein kompliziertes System aus Netzen ab und treibt sie in ein größeres Netz. (Anmerkung d. Redaktion: s. Bild 1) Letzteres wird schließlich an die Wasseroberfläche gezogen und die Tiere werden mit Haken aus dem Wasser gerissen. Man muss sich vorstellen, dass diese Thunfischart bis zu 300 kg wiegt. Auf dem Boot sterben die Fische, weil sie verbluten.
Sicherlich ein schwer zu ertragender Anblick …
Ja! Kaum zu glauben, dass es in Italien sogar eine Touristenattraktion ist. Jedes Jahr findet ein Fest rund um den Thunfischfang statt. Man dekoriert die Häuser, es gibt Live-Musik. Mir persönlich fällt es wirklich schwer, eine Unterscheidung zu machen zwischen dem Thunfischfang und dem, was sich in Schlachthäusern abspielt. Der einzige Unterschied ist, dass es in Schlachthäusern Vorschriften gibt – dies ist hier nicht der Fall. Die Thunfische werden lebendig aufgespießt, sie ringen nach Sauerstoff und verbluten langsam. Dass sie auf qualvolle Art und Weise sterben, ist völlig legal. (Anmerkung d. Redaktion: s. Bild 2)
Was passiert nach dem Fang mit den Fischen?
An Land werden die Fische zerlegt: Man entfernt die Gräten und entreißt den Weibchen die befruchteten Eier. Das Fleisch wird nach „verwertbar“ und „für den Menschen uninteressant“ sortiert. (Anmerkung d. Redaktion: s. Bild 3). Ein Teil des frischen Fisch-Fleischs geht nach Mailand und Rom, teilweise sogar nach Tokio. Die Herzen der Fische werden z.B. luftgetrocknet und zu Pasta mit Olivenöl gegessen.
Es ist bekannt, wie sehr Schweine, Rinder und Hühner für unseren Appetit auf Fleisch leiden müssen. Wie ist es bei Fischen?
Es ist ein alter Irrglaube, dass Fische nicht leiden könnten. Ich denke, es hat viel mit unserer egozentrischen Wahrnehmung zu tun: Weil Fische nicht schreien können, heißt das nicht, dass sie keine Schmerzen empfinden. Hinzu kommt die Trägheit der Wissenschaft. Die Erkenntnis, dass Fische leiden können, verbreitete sich nur langsam, aber mittlerweile wird sie nicht mehr in Frage gestellt. Jetzt muss sich das nur noch in der Öffentlichkeit herumsprechen.
Viele Verbraucher achten darauf, nachhaltig gefangenen Fisch zu konsumieren. Sogar einige, die sich als Vegetarier bezeichnen, essen hin und wieder Meerestiere. Was bedeutet eine nachhaltige Fischerei, und warum ist sie eurer Ansicht nach keine Lösung?
Wie genau sieht denn nachhaltige Fischerei aus? Das ist ja kein patentierter Begriff. Ich denke, die meisten Verbraucher haben da keinen Durchblick. Mal soll man nach Siegeln schauen, andere sagen, es komme auf die Fischart an, und wiederum andere sagen, der Fischkonsum an sich müsse reduziert werden. Letztendlich gibt es zwei Wege in der Fischerei: Die eine Möglichkeit ist, die Fische aus dem Meer zu fangen. Die Fangmethoden sind grausam. Die Tiere werden erdrückt, ersticken und werden teilweise lebend verarbeitet.
Wie sieht der andere Weg aus?
Die „Alternative“ dazu ist die Fischzucht, was in den meisten Fällen Massentierhaltung bedeutet. Ein Großteil der Fische in den Zuchtanlagen ist zudem karnivor. Sie bekommen andere Fische aus dem Meer als Futter. Es bleibt also die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Über wie viele Fische sprechen wir?
In Deutschland werden jedes Jahr 11 Milliarden Fische gegessen. Verglichen mit Landtieren, also Hühnern, Schweinen, Rindern, etc., sind das 14 Mal (!) so viele Individuen. Für keine andere Industrie sterben so viele Individuen. Selbst wenn wir diese Zahl halbieren würden, wäre das Elend auf den Meeren noch unerträglich. Jeder einzelne von uns möchte leben und verdient ein Leben ohne Leiden. Auch Fische.
Info: Animal Equality Germany ist eine gemeinnützige Organisation, die auf das durch Menschen verursachte Tierleid aufmerksam macht und sich für Tierrechte in unserer Gesellschaft einsetzt. Sie ist über die deutsche Ländergrenze hinaus in Großbritannien, Italien, Spanien, Mexiko, Indien und Venezuela aktiv. Video-Recherchematerial zum Thunfischfang auf Carloforte finden Sie unter http://vimeo.com/43217146. ACHTUNG: Der Film enthält schockierende Aufnahmen!