Kolumne: „Verzehrkabinen für alle!”

Foto: Eiliv Aceron

Das Ergebnis eines Versuchs der Uni Kassel lässt Diskussionen darüber zu, ob Menschen sich aufgrund von Gruppenzugehörigkeitsbedürfnissen lieber einer fleischverzehrenden Mehrheit anschließen. Die Idee unserer Autorin könnte Abhilfe schaffen.

Text: Jacqueline Flossmann

Studienergebnisse der Uni Kassel haben jüngst die Frage aufgeworfen, ob Menschen wohl seltener zu vegetarischen oder veganen Mahlzeiten greifen, wenn sie annehmen, bei ihrer Wahl beobachtet oder von anderen Menschen beurteilt zu werden. Ausgewertet wurde das Verhalten von 537 Teilnehmenden, die im Wintersemester 2020/21 an der Fakultät für Umwelt- und Verhaltensökonomik in Kassel unwissentlich an einem Experiment teilnahmen. Als Dankeschön für eine gelöste Aufgabe wurde den Teilnehmenden ein Sandwich geschenkt. Die Studierenden hatten dabei die Wahl zwischen einem Sandwich mit Fleisch, einem vegetarischen und einem veganen Sandwich. Zuvor wurden die Teilnehmenden in vier Gruppen aufgeteilt: Zwei davon erhielten Infos über die Umweltbilanz von Fleisch, die anderen nicht. Außerdem war die Sandwich-Wahl mancher öffentlich einsehbar. Das Ergebnis dieses Experiments: Wer zuvor mit Informationen zu den Auswirkungen des Fleischkonsums konfrontiert worden war, wählte eher fleischlose Sandwiches. Wenn die Teilnehmenden jedoch wussten, dass ihre Wahl öffentlich sichtbar gemacht wird, wählten sie eher ein Sandwich mit Fleisch. Gleichzeitig stieg auch der Anteil jener, die ganz auf ein Sandwich verzichteten. Die Wissenschaflter*innen zogen daraus den möglichen Schluss, dass die Teilnehmenden in Situationen der sozialen Kontrolle Angst hätten, mit ihrer Entscheidung anzuecken oder auch, dass sie sich nicht als moralisch überlegen aufspielen wollten. Mein Ersteindruck: Menschen sind soziale Tiere, die menschliche Existen lebt vom Wahrnehmen und vom Wahrgenommen werden. Ohne den Spiegel der Mitmenschen ist die Einzelexistenz im Grunde hinfällig. Aus diesem Grund neigt der Homo Sapiens auch zur Gruppenbildung. Sein Wunsch, einem festen Sozialgefüge, einer Szene, oder im besten Falle, einer Mehrheit anzugehören, ist ein ebenso logisches wie tief in dieser Spezies verankertes, überlebenswichtiges Bedürfnis.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf ergibt es für mich Sinn, dass die Teilnehmenden der Studie sich einer fleischverzehrenden Mehrheit angeschlossen haben könnten, vielleicht aus Sorge vor sozialem Ausschluss. Und welcher Herbivorin wurd nicht schon misstrauisch von Omnivor*innen beäugt, am besten zu beobachten bei sommerlichen Grillaktionen, wenn man noch einen günstigen Platz für das mitgebrachte Pflanzenwürstchen auf dem Rost sucht. Doch was ist eigentlich mit dem moralischen Zeigefinger, der den Veganer*innen ja ständig nachgesagt wird? Dieses geile Gefühl der Überlegenheit! Wäre ich in dieses Experiment involviert gewesen, hätte ich mein veganes Brötchen hochmütig zur Schau gestellt, wäre damit herumstolziert wie ein brünftiger Gockel und hätte alle Omnivor*innen spöttisch gefragt: „Was ist da drin? Schinken?“ und den abwertenden Ausdruck in meinen Augen Bände sprechen lassen. Kleiner Scherz am Rande. Natürlich wäre ich nicht pfauengleich mit meiner Gemüsesemmel herumgewandert und hätte allen anderen die Augen ausgepickt. Mein oft klein wirkendes Veggie-Dasein in einem Meer von Wurstfachverzehrer*innen stimmt mich eher – wenn es mir schon eine Emotion entlockt – traurig, weil ich nicht verstehe, dass es aufgrund der eindeutigen Faktenlage noch nicht zum Mehrheitslebensstil geworden ist. Doch Trauer hin oder her, zurück zur Studie. Der springende Punkt an der Sandwich-Sause ist doch auch folgender: Diejenigen, die vorher Informationen zur Umweltbilanz von Fleisch erhalten hatten, verzichteten eher darauf. Bildung und Information sind zweifelsohne ein wichtiger Schlüssel zu einer pflanzenbasierten Zukunft. Wir sollten also weiterhin aufklären, und wenn es nach mir ginge, bekommt auch übergangsweise jede*r im öffentlichen Raum eine mit Infomaterial ausgestattete Verzehrkabine, wie am Wahltag, damit man entspannt und ohne sozialen Druck am Gemüsesandwich knabbern kann.

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