„Heute nichts erlebt? Auch schön!“ steht auf einem Untersetzer, den mir mal meine Mama schenkte. Ich möchte ergänzen: „Heute nichts getan? Auch gut!“ Wann hast du das letzte Mal dieses wunderbare, wohlige „Nichts“ genossen?
von: Carmen Schnitzer
Würde ich eine der berühmtesten Lebensweisheiten aller Zeiten wörtlich nehmen, ich wäre vermutlich arbeitslos, verarmt, ausgebrannt, alkoholkrank und womöglich auch nach anderen Drogen süchtig, hätte noch einige Kilos mehr auf den Rippen und dazu vielleicht die ein oder andere Geschlechtskrankheit. Alternativ oder zusätzlich gäbe es wohl viele, viele Briefe an meine Lieben und zigtausend pathetische Facebook-Einträge, in denen ich mich von der Welt verabschiede – um dann doch weiter da zu bleiben. Und diese Kolumne, tja, die gäbe es vermutlich nicht. Ich spreche vom vielzitierten „Carpe diem“, vor allem von der Variante „Nutze jeden Tag, als sei er dein letzter.“ So oder so: Das haut nicht hin.
Mir ist natürlich klar, dass das sooo ja nun auch wieder nicht gemeint ist und auch ein Tag auf dem Sofa sinnvoll „genutzt“ sein kann, von wegen Regeneration und so. Doch ich will auf etwas anderes hinaus – auf eine Ode an die Faulheit, und zwar die vollkommen „unnütze“ Faulheit, die nicht gerechtfertigt wird durch ein stolzes „Nach dem ganzen Stress habe ich mir das verdient!“ Nö, vielleicht habe ich es auch mal gar nicht verdient, weil das der fünfte Schlumpertag in Folge ist. Warum sollte ich den nicht trotzdem zelebrieren?
Seit einigen Monaten bemühe ich mich, das Wort „müssen“ weitgehend aus meinem aktiven Wortschatz zu streichen, um mir bewusster zu machen, was mich in meinem Leben wirklich antreibt. Zugegeben, noch ersetze ich „Ich muss“ gerne mit „Ich sollte“, was das Ganze nur bedingt besser macht, aber immer häufiger gelingt es mir, etwa zum „Ich möchte“ überzugehen. Das fühlt sich manchmal nach einer Lüge an – ich möchte zum Sport, zum Zahnarzt oder zum Arbeiten an den Rechner, ernsthaft jetzt? Ja! Denn ich erhoffe mir eine Belohnung von meinem Tun: einen fitten Körper, gesunde Zähne, Geld auf dem Konto. Klingt banal und lässt sich natürlich wieder zurück übersetzen in „Um das zu bekommen, muss ich …“ Aber Hin- und Her-Übersetzerei führt selten zu was Gutem, lassen wir das also. Mein „Ich möchte“ schult meine Selbstwahrnehmung, nimmt den Druck aus meinem Hirn und lässt mir die Dinge leichter von der Hand gehen. Nicht immer, aber immer öfter.
Also tschüs Ehrgeiz, hallo Müßiggang? Jein. Ziele zu haben und für diese zu arbeiten, ist wichtig, da sie, das ist wissenschaftlich belegt, langfristig für ein höheres Selbstbewusstsein und eine größere Zufriedenheit sorgen als dauerhaftes Nichtstun. Jedoch scheint mir unser Leben in den letzten Jahren manchmal zu einer einzigen „Challenge“ verkommen zu sein, in der jede Handlung einen Sinn haben muss (ja, ich hab’s gemerkt 🙂 ) und in der selbst die Erholung akribisch geplant und mit Sinn aufgeladen wird. Ich habe zum Beispiel nichts gegen Yoga und Meditation, ganz im Gegenteil, ist beides super, aber hey – manchmal kann es meines Erachtens auch zutiefst „yogisch“ sein, sich die neueste Staffel der Lieblingsserie reinzuziehen – am Stück! – und das Fitnessstudio Studio sein zu lassen. Ohne schlechtes Gewissen und ohne Vorsätze à la „Dafür nächstes Mal doppelt so lang!“ Nix Challenge, einfach leben!
Im Grunde wissen wir es ja: Es geht um Balance, um den gesunden Mittelweg, auch hier mal wieder. Ich glaube, wir sollten lernen, unserem Körper und unserer Seele wieder mehr zu vertrauen. Wozu zunächst mal gehört, deren jeweilige Signale überhaupt wahrzunehmen. Gar nicht so leicht, wenn allerorten Motivations-Coaches, Ratgeberbücher oder auch schlaue Vegan-Zeitschriften einem erklären wollen, was alles „richtig“ und „wichtig“ ist. Jeder Mensch ist unterschiedlich, das lässt sich gar nicht oft genug predigen. Und darum gibt es Regeln, die das Leben des einen bereichern, während sie das des anderen eher belasten. Wichtig ist: Was sagt dein Körper, deine Seele? In meinem Fall ist es so: Wenn ich mich einige Tage hauptsächlich von Fast Food und Süßkram ernährt habe, meldet sich irgendwann mein Appetit und schreit laut nach Obst, Gemüse und Körnerfutter. Tatsache! Und nach mehreren Sofatagen habe ich das Bedürfnis, mich mal wieder zu bewegen. Meistens jedenfalls. Vielleicht geht es dir (noch) nicht so und du brauchst Impulse von außen, aber auch dann möchte ich dir gern ans Herz legen: Versuche, die „nutzlos“ verplemperten Stunden zu genießen, anstatt sie dir durch ein permanente Selbstvorwürfe zu versauen. Denn erst dann werden sie nämlich wirklich nutzlos.
Noch nicht überzeugt? Okay, ein letzter Versuch: Heimlich hat sich der gute alte Sinn längst versteckt im vermeintlich sinnlosen Rumgegammel. Studien zufolge macht regelmäßiges Faulenzen nämlich kreativ, gesund und stressresistent. Klingt doch eigentlich ganz gut, oder?