Schon lange isst unsere Autorin aus ethischen Gründen kein Fleisch mehr. Schwer fällt ihr das meistens nicht, jedoch hat sie bei sich eine schambehaftete Achillesferse identifiziert…
Text: Jacqueline Flossmann
Selten, aber eben doch manchmal,erwischt es mich noch eiskalt in meinem Duftgedächtnis, plötzlich weht eine olfaktorische Erinnerung von früher durch meine Synapsen und mir läuft unweigerlich ein bisschen Wasser im Mund zusammen. Blöd nur, wenn diese Reaktion von dem Medium gebratenen Steak auf dem Teller meines Gegenübers ausgelöst wird. Unauffällig nimmt man in solchen Situationen einen Schluck Wasser und hofft inständig, dass man nicht in einer peinlichen Sekunde des Kontrollverlustes versehentlich mit großen Augen ein bisschen gesabbert hat. Ehrlich gesagt, schäme ich mich in so einem Moment sehr. Für mich und vor mir selbst, denn sonst bekommt ja niemand mit, dass mein Hirn gerade lüsternes Fleisch-Memory mit mir spielt. Idyllische Genussmomente aus der Vergangenheit flackern vor meinem inneren Auge auf, wie in glattgebügelten Werbespots sehe ich mich glockenhell lachend vor einer lodernden Grillflamme stehen, mein Papa winkt verlockend vom Rost herüber, glückliche Kühe stehen milde lächelnd auf einer Weide und muhen „Wir wollen verspeist werden!“ Na gut, ganz so grotesk geht es selbst in meinen Hirnwindungen nicht zu, man verzeihe mir das Stilmittel der Übertreibung. Worauf ich eigentlich hinaus will: Das Fleischessen habe ich vor einigen Jahren aus ethischen Gründen und der Umwelt zuliebe aufgegeben und im Großen und Ganzen fiel es mir leichter, als ursprünglich angenommen. Denn auch, wenn ich nicht wegen des Geschmacks auf Würstchen, Steaks und Co. verzichtete, so schlich sich doch langsam ein Gefühl des Ekels beim Anblick einer Fleischtheke oder beim Geruch einer Metzgerei ein. Für mich roch es da plötzlich, drastisch formuliert, nach Tod und somit hatten sich jegliche wehmütigen Erinnerungen an meinen früheren Lebensstil relativ schnell erledigt. Aber dann gibt es da eben die berühmten Ausnahmen, welche die Regeln bestätigen, die kleinen Achillesfersen, die vielleicht jede*r von uns hat. In meinem Fall wäre das eben der Genuss eines Steaks. Ab und zu – und ich bringe es fast nicht über mich, das hier zu schreiben – fehlt mir diese Erfahrung. Wobei ich eines klarstellen muss: Mir fehlt die Erfahrung des unbekümmerten Genusses von damals – denn egal, wie ich es drehen und wenden würde, kein Steak könnte heute so gut riechen oder aussehen, dass ich auch nur in Erwägung ziehen würde, hineinzubeißen. Mein ethischer Kompass würde einen solchen Gedanken schon im Keim ersticken, es könnte sich kein Genussmoment einstellen. In diesen Momenten stimmt mich die rasante Entwicklung des veganen Nahrungsmittelsektors noch froher als sonst. Die explosionsartigen Sprünge, die hier von Jahr zu Jahr geschehen, lassen mich darauf hoffen, immer noch mehr pflanzliche Produkte verspeisen zu dürfen, die meine Vergangenheits-Triggerpunkte vollkommen befriedigen. Denn auch wenn ich streckenweise gut ohne Ersatzprodukte auskommen, bin ich doch immer wieder sehr froh darüber, viele meiner früheren Geschmacksvorlieben und Leidenschaften fast verlustlos in einen pflanzlichen Lebensstil transferieren zu können. Beispielsweise war ich letztens total aus dem Häuschen, als ich Ziegenkäse-Ersatz entdeckt hatte, der sich als äußerst schmackhaft erwies. Selbiges Spiel, als endlich eine pflanzliche Bacon-Variante auf den Markt kam, die in schönen Streifen im Öl brutzelt und knusprig-salzig auf der Zunge zergeht. Ähnliche Euphorie beim Thema Eiersalat. Und gespannt blicke ich derzeit nach Singapur, wo täuschend echte, pflanzliche Alternativen zu „Meeresfrüchten“ aus dem 3D-Drucker purzeln. So zackig, wie alleine im Jahr 2023 die Produktneuheiten in die Supermarktregale wandern, so zuversichtlich bin ich, dass auch die gefühlt letzte Bastion der Fleischesser*innen – ein perfekt gegrilltes Steak – bald aus Pflanzen zubereitet werden kann. Viele Start-ups und Unternehmen basteln schon an einer Lösung für mein Problem. Nicht nur, weil es aus ethischer Perspektive der richtige Ansatz ist, sondern auch, weil gute, hochwertige Ersatzprodukte sich hoher Beliebtheit erfreuen und somit auch ein lukratives Geschäft für die Hersteller*innen darstellen. Wo Geld, da meistens auch ein Weg. Der deutsche Markt an Veggie-Lebensmitteln ist aktuell über 1,2 Milliarden Euro wert, in Deutschland nehmen vegane Produkteinführungen inzwischen 15% des gesamten Lebensmittel- und Getränkemarktes ein. Das ist eine ziemliche Hausnummer. Und wenn das so weitergeht, und das wird es, dann bin ich sicher, schon bald fröhliches Steak-Memory spielen zu können, ohne mich dabei vor mir selbst in Grund und Boden schämen zu müssen.