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Eltern wollen ihren Kindern – unabhängig vom Kulturkreis – Werte vermitteln. Im Fall der veganen Ernährung müssen sie die Verantwortung zeitweise in die Hände anderer legen. Doch was passiert, wenn sie dabei täglich an ihre Grenzen stoßen? Gedanken von Kim Schumacher.
Meine Tochter weiß trotz ihrer viereinhalb Jahre – oder gerade deswegen – ganz genau, was sie will und was nicht. Sie will nicht, dass Kälbchen leiden müssen und nicht die Milch von ihren Müttern trinken dürfen, sie will nicht, dass Schweine in engen Käfigen eingesperrt werden und sie will schon gar nicht das Fleisch von ihren Freunden essen. Natürlich weiß ich, dass sie diesen Willen hat, weil ich ihr das Vegansein vorlebe, weil ich ihr davon erzähle, ihr dazu Geschichten vorlese. Es sind meine Werte, die ich ihr weitergeben möchte. Soweit, so normal. Normal? Leider nicht für den Großteil meiner Mitmenschen. Eltern wie ich stoßen täglich an ihre Grenzen. Klar, die Anzahl vegan lebender Menschen steigt stetig, will man aber seine Kinder – womöglich von Geburt an – vegan ernähren, findet das kaum einer richtig. Manche halten es sogar für gefährlich. Dabei gibt es inzwischen zahlreiche Studien, die das Gegenteil belegen können. Lisa Rubner zeigt in ihrer Masterarbeit „Vegane Ernährung bei Säuglingen und Kindern“ (Studiengang Lehramt, TU Dortmund, erschienen im Grin-Verlag) die Ergebnisse einiger Studien auf. Auffällig ist, dass alle Studien zum gleichen Schluss kommen, nämlich dem, dass die Vitamin- und Proteinzufuhr vegan ernährter Kinder im Rahmen oder sogar über den Mindestempfehlungen liegt. Zudem sind diese Kinder etwas leichter im Vergleich zu omnivor ernährten Kindern. Etwas leichter? In Anbetracht der Tatsache, dass laut der Adipositas-Stiftung etwa 1,9 Millionen stark übergewichtige Kinder in Deutschland leben, können diese Studienergebnisse so schlecht nicht sein. Meine Tochter jedenfalls sieht gesund aus und ist physisch sowie psychisch eher weiter entwickelt als Gleichaltrige.
Während ich mir noch Gedanken ob ihrer körperlichen Konstitution mache, isst sie mit Vergnügen ihr Mangold-Kichererbsen-Quinoa-Curry und verlangt nach einer zweiten Portion. Auch die Frau am Marktstand später schaut verwundert, ist aber merklich angetan davon, dass meine Tochter heftig nickt, bei der Frage, ob sie den Wirsing denn tatsächlich essen will.
Mandeldrink versus Kuhmilch
Trotzdem gerate ich als Mutter immer wieder in Konfliktsituationen und muss eine Verteidigungshaltung annehmen. Etwa gegenüber den Erzieherinnen im Kindergarten. Als alleinerziehende und vollberufstätige Mutter gebe ich tagsüber dieVerantwortung für mein Kind ab. Was der Norm schon nicht leicht fällt, ist für vegan lebende Eltern besonders schwer. Ich muss also darauf vertrauen können, dass diejenigen, die auf mein Kind achtgeben, während ich am Schreibtisch sitze, nicht die Grundpfeiler meiner Erziehung umstoßen. Manchmal lässt mich der Gedanke daran hilflos werden. Kürzlich sind wir umgezogen und haben glücklicherweise einen tollen, neuen Kindergarten gefunden – sogar einen vegetarischen. Gar nicht so einfach in München. Hier kochen die Eltern selbst. Zu jeder Mittagsmahlzeit sind zwei Liter Milch für alle Kinder mitzubringen. Kuhmilch, versteht sich. Auf meine vorsichtige Frage hin, ob Mandeldrink auch okay sei, ernte ich irritierte Blicke und eine Mutter erklärt, dass sie es komplett in Ordnung fände, wenn in einem vegetarischen Kindergarten ab und an auch Fleisch und Fisch angeboten würde. Auf Konfrontation zu gehen, traue ich mich noch nicht so recht und frage daher einen, der es wissen muss: Jérôme Eckmeier. Jérôme ist Kochbuchautor, VEBU-Koch und sechsfacher Vater. Seine jüngste Tochter ist gerade erst frisch geschlüpft. Die Mädels erzieht er möglichst ethisch korrekt, sie sind stolz darauf vegan zu sein und tragen T-Shirts mit Pro-Vegan-Aufdrucken. „Selbstbestimmung ist für Kinder wahnsinnig wichtig“, findet Jérôme. Seine Kids essen das, was sie wollen und auf Klassenfahrten gibt er ihnen einfach eine ganze Batterie veganer Aufstriche mit. Dank Promi-Bonus hat er mit großer Gegenwehr von Lehrern und Erziehern allerdings nicht zu kämpfen. Ich soll mich also gar nicht wie eine Löwin vor meine Tochter stellen und für sie Toleranz von Erzieherinnen und Miteltern einfordern? Macht sie das ganz alleine? Wir werden sehen! Ihre große Cousine hat sie immerhin schon zur Vegetarierin gemacht. Und macht sich eine Veränderung in Richtung pro Vegetarismus/Veganismus nicht ohnehin leise breit? Markus Päsler von Apetito – einem der größten deutschen Gemeinschaftsverpfleger – stellt seit einigen Jahren eine erhöhte Nachfrage nach vegetarischer und veganer Verpflegung im Bereich Kitas und Schulen fest.
Eine vegane Ernährung von Kindern und Jugendlichen empfiehlt Apetito aber nicht und gibt zu, dass die speziellen Anforderungen an eine vegane Ernährung nicht alleine mit Apetito-Menüs und Menükomponenten erfüllt werden können. Vegane Gerichte, wie etwa einen Kartoffel-Möhren-Eintopf, bietet der Gemeinschaftsverpfleger dennoch an. Das deutsche Netzwerk für Schulverpflegung hingegen steht einer vegan/vegetarischen Ernährung aufgeschlossen gegenüber. Der Vorsitzende Dr. Michael Polster sagte mir: „Wer aus ethischen Gründen auf tierische Zutaten verzichtet, darf nicht von der Schulverpflegung ausgeschlossen werden.“ Das untermauert eigentlich auch Artikel 4 unseres Grundgesetzes: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Heißt übersetzt für unseren Fall: Niemand darf gezwungen werden, etwas zu essen, das er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Oder? In der Realität sieht das leider oft anders aus. Und damit wären wir wieder zurück beim Thema „Kampf um Toleranz“. (…)
Den ganzen Artikel von Autorin Kim Schumacher gibt’s ab Seite 24 in der Juni/Juli-Ausgabe 2015, die Sie hier bestellen können. Alle Hefte schicken wir Ihnen portofrei zu.