Mehr Schönheit, Selbstbewusstsein, Charisma. Ein gesünderes, glücklicheres, achtsameres Leben. Da geht doch noch was! Oder doch nicht? Gefangen in der Selbstoptimierungsfalle …
Von: Carmen Schnitzer
Beginnen wir mit dem Fazit. Denn, du und ich, wir ahnen es beide: Zum Ende dieser Kolumne über den Selbstoptimierungswahn unserer Gesellschaft werde ich dir wohl mitteilen, dass du das alles gar nicht nötig hast, weil du doch eh schon ganz prima bist. Ob nun dick oder dünn, hell- oder dunkelhäutig, kinderlos oder kinderreich, beruflich etabliert oder auf der Suche … Menschen sind verschieden, und das ist auch gut so. Stimmt ja, aber kann ich das nicht irgendwie besser vermitteln als mit den immer gleichen Plattitüden? Origineller, witziger, reflektierter? Tja. Willkommen in der Metaebene. Irgendwie erwischt er uns dann eben doch wieder, dieser Wunsch nach dem besseren Ich.
Und das ist ja zunächst mal sogar okay. Denn mal ehrlich: Ob es nun der berühmte Schweinehund ist, der uns von sinnvollen Tätigkeiten abhält, ein Mensch, der uns zu Dummheiten verführt, oder ob wir einfach nur aus schlechter Laune jemanden anmaulen: Soooo von Natur aus immerzu und rundum super sind wir dann vielleicht doch nicht, und unser Handeln ab und zu zu überdenken, schadet sicher den wenigsten von uns. Auch erfüllen sich manche Wünsche nicht von selbst und erfordern Disziplin und Durchhaltevermögen. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Wenn ich nun eine möglichst unterhaltsame Kolumne schreiben will, dann komme ich nicht umhin, den ein oder anderen schon getippten Satz wieder zu löschen, einige Wörter hin und herzuschieben, mich evtl. bei Kolleg*innen nach deren Meinung zu erkundigen usw. Solange, bis aus meinem Text eine runde Sache geworden ist.
Wer sich im Ausland leichter verständigen möchte, tut gut daran, Vokabeln zu pauken, wer sich nach mehr körperlicher Fitness sehnt, sollte sich regelmäßig bewegen usw. Glücklicherweise gibt es in der heutigen Zeit ja jede Menge Ratgeber sowie weise Sprüche zum Thema und die noch dazu auf allen Kanälen: Auf Social-Media-Plattformen, YouTube, in Büchern, TV-Sendungen, Zeitschriften, Coachings und, und, und – überall springt uns das Wort Challenge entgegen, Herausforderung, Gewicht verlieren, gesünder leben, ein Unternehmen gründen, Superstar werden, Kinder erziehen, du schaffst das, bloß nicht aufgeben, glaub an dich, hinfallen, Krone richten, weitermachen … Yes! You! Can! Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum – aber dalli! Puh. Bis wir plötzlich doch nicht mehr können, doch mal scheitern, doch mal liegenbleiben – und uns fragen: „Was läuft da nur mit mir verkehrt?“
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