Heute ist der 8. März, weltweit gilt dieses Datum als feministischer Kampftag. Eine besondere Gelegenheit für ein Interview mit Anna-Lena Klapp, um mit der Ernährungswissenschaftlerin, Autorin und veganfeministischer Aktivistin über Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in der grünen Szene zu sprechen.
Von: Xenia Waporidis
Heute ist feministischer Kampftag. Welchen weiblichen Vorbildern und Vordenkerinnen gedenkst du heute besonders und warum?
Es gibt zahlreiche Vorbilder und Vordenkerinnen, die mir da in den Sinn kommen, z.B. Simone de Beauvoir, Audre Lorde oder Emmeline Pankhurst. Ursprünglich diente der 8. März vor allem als öffentlicher Kampftag, um das Frauenstimmrecht zu initiieren. Ein Recht, welches Frauen in Deutschland seit gerade mal 100 Jahren zusteht. Daher finde ich es auch enorm wichtig, all den mutigen Frauen zu gedenken, die für dieses Recht gekämpft haben. Als vegane Aktivistin weise ich außerdem immer wieder gern darauf hin, dass es eine tiefe Verbundenheit zwischen der vegetarischen Bewegung und der Suffragettenbewegung gab. Als Suffragetten wurden organisierte Frauen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten bezeichnet, die für das Frauenwahlrecht kämpften. Darüber schreibe ich auch in meinem aktuellen Buch. Schon vor über 100 Jahren wussten die Menschen, wie wichtig es für einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel ist, verschiedene progressive Bewegungen miteinander zu verbinden. (grinst)
Lass uns über dein Buch sprechen. In deinem vegan-feministischen Manifest „Food Revolte” lässt du nicht nur spannende und wichtige weibliche Persönlichkeiten wie z.B. Afrikawissenschaftlerin Josephine Apraku oder Tierrechtsaktivistin Lauren Ornelas zu Wort kommen, sondern du analysierst zudem die vegane Szene kritisch im Hinblick auf Themen wie Feminismus und Diversität. Wie hängt das alles für dich zusammen?
Aktuell hängt es leider noch viel zu wenig miteinander zusammen, deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Obwohl der veganen Bewegung schon seit Beginn deutlich mehr Frauen als Männer angehören, wird die weibliche Expertise zu dem Thema immer wieder verdrängt. Es sind deutlich häufiger Männer, die als Leitfiguren inszeniert und als Experten befragt werden oder die Leitungspositionen in Unternehmen, Organisationen sowie aktiven Gruppen übertragen bekommen. Es geht mir nicht darum, Schuldige dafür auszumachen, sondern darum, dass wir alle unsere patriarchalen Denkweisen hinterfragen.
Hast du ein Beispiel für die „männliche Expertise”?
Ein gutes Beispiel sind vegane bzw. vegetarische Persönlichkeiten der Geschichte. Wenn von diesen die Rede ist, werden fast ausschließlich Männer genannt: Pythagoras, Leonardo da Vinci, Albert Einstein, Albert Schweitzer, Gandhi, Franz Kafka, Donald Watson. Was ist mit Theano von Kroton, Mary Shelley, Caroline Earle White, Coretta Scott King, Clarissa Barton, Rosa Parks und Elsie Shrigley? Kaum jemand kennt heute noch ihre Namen, dabei waren das alles vegan oder vegetarisch lebende Frauen, die Großes geleistet haben. Die sogenannte Unsichtbarmachung von Frauen hat in einer patriarchalen Gesellschaft System. Das betrifft nicht nur die Genderfrage. Es sind vor allem weiße Personen, die immer wieder zu Wort kommen und in den Medien gezeigt werden. Dabei gibt es so viele inspirierende und engagierte People of Color in der Bewegung für nachhaltige pflanzenbasierte Ernährung. Zum Beispiel A. Breeze Harper, Aph Ko oder lauren Ornelas. Die Aufgabe weißer Menschen ist es, beiseite zu treten und dabei zu helfen, ihnen Sichtbarkeit und Gehör zu verschaffen.
Warum reicht es deiner Meinung nach nicht aus, sich vegan zu ernähren und Tiere zu mögen, um etwas zu verändern?
Eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft kann nicht erreicht werden, wenn uns immer nur dieselbe Gruppe von Menschen erzählt, wie wir sie erreichen können. Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Wenn wir ihre Stimmen nicht hören, wenn immer nur weiße Männer nach Lösungen fragen und als Experten zitieren, werden wir auf der Stelle stehen bleiben. In der Ökonomie ist es mittlerweile gut erforscht, dass mehr Diversität in Betrieben zu besseren Ergebnissen führt, denn wenn alle denselben Hintergrund haben und dasselbe sagen oder denken, gibt es null Kreativität. Und natürlich auch keinen Gegenwind. Wir müssen unterschiedliche Perspektiven und Blickwinkel einbeziehen.
Der Titel „Food Revolte” klingt nach Rebellion. Wieso hast du diesen Titel gewählt?
Ich erkläre in dem Buch einerseits die Dringlichkeit, das Thema nachhaltige, pflanzenbasierte Ernährung auf die gesellschaftliche und politische Agenda zu setzen und andererseits, warum wir dabei feministische Forderungen und Kämpfe berücksichtigen müssen. Ich lehne mich also gegen bestehende Verhältnisse auf und ermutige andere, es mir gleich zu tun. Revolte trifft es damit ganz gut, denke ich.
In deinem Buch gehst du u.a. auch Themen wie Sexismus und Rassismus an den Kragen und erwähnst selbst, dass du wahrscheinlich einigen Leser*innen damit auf den „Schlips” trittst. Was gibt dir Kraft, trotz negativer Reaktionen weiter zu kämpfen?
Jede Person, die schon mal etwas zum Thema Feminismus publiziert hat, weiß, dass die antifeministische Gegenreaktion meist nicht lang auf sich warten lässt. Das hat System und sollte man immer im Hinterkopf behalten. Natürlich kann das kräftezehrend sein, aber wie heißt es so schön? Getroffene Hunde bellen. Wenn gar keine negativen Reaktionen kommen würden, hätte ich wahrscheinlich etwas falsch gemacht. (grinst)
Und woher kommt die Kraft?
Kraft schöpfen kann ich wiederum aus den zahlreichen lieben Nachrichten, die ich in den letzten Wochen von meinen Leser*innen erhalten habe und immer noch erhalte. Da war die alleinerziehende Mutter, die mir eine zuckersüße Nachricht geschickt und sich für meinen Einsatz im Hinblick auf die Zukunft ihrer Töchter bedankt hat, da war der Tierrechtsaktivist, der mir schrieb, dass er durch das Buch wahnsinnig viel dazu gelernt und seinen Horizont erweitert hat, oder eine Frau, die mir erzählte, dass sie durch das Buch den Mut fassen konnte, sich mehr in der veganen Bewegung zu zeigen und sich nun gemeinsam mit ihrer fast 80-jährigen Mutter mehr engagieren möchte. Vor ein paar Tagen bekam ich wieder so eine Nachricht, die mir wirklich den Tag versüßt hat: Ein Veganer schrieb mir, dass seine Freundin, die bis dato nicht vegan lebte, mein Buch binnen weniger Tage durchgelesen hatte und so begeistert davon war, dass sie nun auf eine pflanzliche Ernährung umsteigen will. Jede dieser Nachrichten berührt mich sehr und sie zeigen mir, dass dieser Weg richtig ist. (lächelt)
INFO:
Mit ihrem veganfeministischen Manifest „Food Revolte” hat Anna-Lena Klapp den Diskurs über Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Rassismus im Bezug auf Veganismus wachgerüttelt. Themen, die wichtig, komplex und zeitlos sind, vermittelt die Autorin durch spannende Interviews mit Unternehmer*innen, die aus eigener Erfahrung über ihren jeweiligen Aktivismus und ihre Herausforderungen berichten. Auch sich selbst interviewt die Autorin, so wie wir — pünktlich zum internationalen feministischen Kampftag!
Du möchtest mehr über die Arbeit von Anna-Lena Klapp erfahren? Auf foodrevolte.de kannst du einige spannende Beiträge nachlesen. Neuigkeiten gibt es ebenfalls regelmäßig auf ihrem Instagram-Account @food_revolte.