Arme Schweine

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Graslutscher-Kolumne

„Aber ich ess so gerne Fleisch, ich könnte nicht leben ohne den Geschmack von Tieren!“ Habt Ihr bestimmt schon mal so oder so ähnlich gehört, was? Abgesehen davon, dass den Veganer*innen immer Verweichlichung vorgeworfen, hier aber maximal wehleidig gleich der ganze Lebenssinn in Frage gestellt wird, nur weil eine Handvoll Geschmäcker innerhalb einer Auswahl von hunderten Lebensmitteln diskutiert werden:

Euer Fleisch schmeckt gar nicht immer nach Tier. Zumindest bei männlichen Schweinen ist das der Fall, denn wenn diese natürlich aufwachsen, dann entwickeln einige von ihnen einen strengen Ebergeruch. Das gefällt vielen Verbraucher*innen nicht, aber das ist eigentlich der Geschmack dieses Tieres. Um den natürlichen Geschmack zu unterdrücken, werden sie im Alter von wenigen Tagen kastriert, was hierzulande in aller Regel ohne wirksame Betäubung geschieht.

Bereits im Jahr 2013 entschied der deutsche Bundestag, dass diese Praxis barbarisch ist und abgeschafft gehört. Aber natürlich nicht sofort, man einigte sich erst noch auf fünf weitere Jahre Barbarei. Ein echter Erfolg für die Tiere – zumindest die, die noch nicht geboren waren. Nun sind diese fünf Jahre endlich vorbei und was macht unsere Regierung? Verlängert die Frist um mindestens zwei Jahre, denn wie soll sich die Branche auch in nur 60 Monaten umstellen? Wir werden also in den kommenden zwei Jahren weitere 36 Millionen Schweine ohne Betäubung kastrieren und womöglich auch danach noch weitere.

Das ist erst einmal nur grauenvoll und frustrierend. Aber wir sollten uns das gut merken, denn dieser Umstand ist eine gute Grundlage, um immer wieder geäußerte Behauptungen gegen Veganer*innen zu entkräften, als da wären:

Veganer*innen wollen ja angeblich Tiere vermenschlichen. Nein, darum geht es nicht, keiner fordert eine Rentenversicherung für Schweine oder dass Kühe den bei Landtagswahlen teilnehmen dürfen. Es geht uns um ein System der krassen Asymmetrie, in der jede noch so schlimme Einschränkung für Tiere durchgesetzt wird mit Verweis auf winzigste Verbesserungen für Menschen. Konkret: Würde man die Schweine vor der Kastration betäuben, kostete das 3 bis 6 Euro pro Schwein. So ein Schwein zersägen die Metzger*innen des Vertrauens zu 80 kg Fleisch, wir reden also von sieben Cent Mehrkosten pro Kilo Fleisch.

Unsere aktuelle Politik geht also davon aus, dass sieben Cent Mehrkosten für 1000 Gramm Schweinefleisch ein größeres Problem darstellen als wenn Millionen komplexer, empfindungsfähiger Wesen einen chirurgischen Eingriff an ihren Geschlechtsteilen ohne Betäubung ertragen müssen.

Sorry, aber bei dem Gedanken schäme ich mich für meine Spezies. Wir quälen diese Tiere, die uns sonst eigentlich gar nicht schmeckten, weil unsere Regierung über deren Haltungsbedingungen urteilt, als ginge es um irgendwelche seelenlose Halbfertigerzeugnisse in der Schraubenindustrie.

Um das schlimm zu finden muss man keine Tiere vermenschlichen, es reicht vollkommen aus, ihre Schmerzempfindsamkeit anzuerkennen. Und überhaupt: Wenn man diese schauerliche Nummer abzieht, um einen Geschmack nachzustellen, den es in der Natur so ohnehin nicht gibt, warum kauft man dann nicht direkt eine Veggiewurst aus Soja oder Seitan und lässt die Tiere in Frieden?

Oder anders: Wenn Ihr, liebe Allesesser*innen, eigentlich gar kein Eberfleisch essen wollt, warum baut Ihr euch daraus dann anders schmeckende Würste nach?

Weitere Informationen und Texte zum Graslutscher findest du unter www.graslutscher.de.

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