Haltungsstark: Alissa White-Gluz macht nicht nur als Frontfrau der schwedischen Melodic-Death-Metaller Arch Enemy eine gute Figur, man kennt sie auch als unermüdliche Botschafterin für Veganismus.
Interview: Markus Werner
Alissa, Arch Enemy haben gerade eine Tour durch die USA absolviert. Das war nach der pandemiebedingten Zwangspause in puncto Livekonzerte sicher großartig, aber auch anstrengend. Als Musiker*innen unterliegt ihr einem anderen Tag-Nacht-Rhythmus, ihr habt ständig mit Jetlags zu kämpfen und lebt den Rock’n’RollTraum. Auf Tour an veganes Essen zu kommen: einfach oder schwer?
Seit das mit dem Touren Mitte der 2000er für mich begann, haben sich die Möglichkeiten tatsächlich vervielfacht. Heute ist es so, dass ich, wenn ich zum Beispiel in Berlin bin, in unmittelbarer Nähe mindestens 20 verschiedene Optionen habe, wo ich fantastisches veganes Essen bekomme – und zwar von Thai über Italienisch bis US-amerikanisch. Und das gilt auch für Länder, in denen die Küche stark auf Fleisch fokussiert ist. Außerdem bekommt man inzwischen in jedem Supermarkt vegane Produkte, man muss nicht mehr lange nach speziellen Geschäften suchen. Selbst in abgelegenen, wirklich kleinen schwedischen Ortschaften, wo das Nummer-eins-Lebensmittel Fisch ist, wird man fündig. Auf Tour greife ich gerne auf Snacks zurück – Haferflocken, Nüsse, Früchte, Reiswaffeln, Mandelbutter, Sojamilch –, weil die nicht so schwer sind,dich aber mit genug Energie versorgen. Und wenn ich mal zu faul bin, mir etwas zu besorgen: Früchte gehen immer.
Denkst du, dass Künstler*innen aufgrund ihrer hohen Reichweite in der Verantwortung stehen, bei ihrem Publikum ein Bewusstsein für Veganismus zu schaffen?
Für mich persönlich gilt das durchaus, da Veganismus die treibende Kraft hinter allem in meinem Leben ist. Ich empfinde es als meine Aufgabe, den Leuten Wege aufzuzeigen, wie sie es vermeiden können, dass Tieren Leid zugefügt wird. Denn die meisten Menschen wollen das eigentlich gar nicht. Genauso wenig, wie sie die Umwelt zerstören oder ihre eigene Gesundheit gefährden wollen. Ihnen ist nur nicht bewusst, dass es für all diese Probleme eine simple Lösung gibt: vegan zu werden. Natürlich muss das jeder Musikerin für sich selbst entscheiden. Aber hat man ohnehin diese Haltung, warum nicht auch darüber sprechen? Wir waren gerade mit Napalm Death auf Tour und Sänger Barney ist auch vegan. Er spricht zwischen den Songs über Frauenrechte und Tierrechte, das finde ich großartig. Das würde ich auch gerne tun.
Hättest du nicht Angst, dich damit dem Vorwurf auszusetzen, du würdest predigen?
Nein, denn die Einzigen, die tatsächlich predigen, das sind die Fleisch- und Milchindustrie. Die drücken dir ihre Produkte einfach immer und überall rein. Geh mal durch ein Einkaufszentrum oder einen Flughafen und zähl die Werbung, die dir diesen lecker Burger oder jene sexy Lederhandtasche oder den Milchshake, den deine Kinder lieben werden, verkaufen will. Nur sind wir bereits derart konditioniert, dass wir das gar nicht mehr bewusst wahrnehmen.
Zählten in den 1980er-Jahren zum Rock’n’Roll-Lifestyle noch eine Anti-alles-Attitüde und purer Hedonismus, scheint man heute sehr vernunftorientiert zu sein und achtet auf Aspekte wie Nachhaltigkeit und eben Veganismus. Ein Paradigmenwechsel?
Wer heute gegen das Establishment aufbegehren, antikapitalistisch handeln und gegen den Strom schwimmen will, kurz: wer wirklich rebellieren will, der wird vegan. Denn das ist derzeit noch immer der totale Gegenentwurf zum Mainstream, 99 Prozent aller Menschen leben nicht vegan. Das Problem ist, dass derzeit viele nur noch in Schwarz-oder-Weiß-Kategorien denken. Doch die Wirklichkeit lässt sich nicht darauf runterbrechen, es ist stets eine Grauzone. Niemand ist immer nur links oder nur rechts, jede*r trägt auch ein bisschen was von dem anderen in sich. Es gibt nicht zwei Pole, es gibt nur ein Spektrum. Was ich aber in den letzten beiden Jahren beobachtet habe: Dieses Spektrum hat sich von einer Linie weg, hin zu einem Kreis geformt. Die beiden Enden des Spektrums, die beiden Extreme treffen sich jetzt. Und an genau diesem Punkt beginnt das, was mir Angst macht. Die Leute befinden sich bei Social Media in Echokammern, die das bestätigen und fortlaufend wiederholen, was einmal als noch formbare Meinung zaghaft formuliert wurde. Das Ergebnis: Die Menschen radikalisieren sich.
INFO:
Alissa White-Gluz, geboren am Juli 1985 in Montreal, Québec, ist seit 2014 Leadsängerin der schwedischen Melodic-DeathMetaller Arch Enemy, mit denen sie dieser Tage deren elftes Studioalbum, „Deceivers“, veröffentlicht. Die Kanadierin mit den markanten blauen Haaren ist mit dem ebenfalls vegan lebenden Hardcore-Musiker Doyle Wolfgang von Frankenstein (Misfits) liiert. Sie wuchs in einem Haushalt auf, in dem beide Eltern Vegetarier*innen sind. Ihre Motivation? Für sie steht der Aspekt, wie wir mit Tieren umgehen, im Vordergrund.