Silke Bitz, Pressesprecherin von Ärzte gegen Tierversuche e.V., spricht mit uns über die Gefahr von Tierversuchen und bereits existierende Alternativen.
Die Notwendigkeit von Tierversuchen für die Wissenschaft wird kontrovers diskutiert. Warum sollten wir Tiere nicht als Messinstrumente einsetzen?
Unser Verein tritt für die Abschaffung aller Tierversuche ein, weil sie medizinisch-wissenschaftlich in eine Sackgasse führen.
Was heißt das konkret?
Wir sehen immer wieder Arzneimittelkatastrophen beim Menschen, obwohl die Medikamente im Tierversuch funktionierten. Ein Fall ist beispielsweise das Schmerzmittel Vioxx. Es wurde sehr breitflächig angewandt und führte zu sehr vielen Todesopfern. In Deutschland wurde die Zahl der daran Verstorbenen auf über 7.000 geschätzt. Die Markteinführung war im Dezember 1999 und man konnte das Medikament bis September 2004 kaufen.
Gibt es weitere Belege dafür, dass man die Ergebnisse aus Tierversuchen nicht auf den Menschen übertragen kann?
Ja, eine Studie der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA z.B. stellt heraus, dass 92 Prozent aller Medikamente, die sich im Tierversuch als sicher und wirksam erweisen, gar nicht durch die klinische Studie am Menschen kommen. Sie versagen, wirken nicht oder anderes. Im Extremfall kann es sogar zum Todesfall kommen. Von den acht Prozent der Medikamente, die übrig bleiben, werden 20 – 50 Prozent wieder vom Markt genommen oder mit Warnungen, weil schädliche Nebenwirkungen auftreten. Wir müssen nicht alle sterben, wenn die Tierversuchsforschung zum Erliegen kommt – diese Angst wird aber bewusst geschürt.
Von wem?
Von denen, die an den Tierversuchen profitieren. Angefangen von der Pharmaindustrie, die immer neue Produkte auf den Markt bringt, die keiner braucht. Allein in Deutschland haben wir derzeit über 90.000 zugelassene Arzneimittel. Selbst die WHO, die kein Tierschutzverein ist, sagt, dass wir gerade mal 325 Mittel brauchen, um menschliche Krankheiten zu kurieren.
Wer verdient noch an den Tierversuchen?
Es gibt noch die Labortier-Züchter und die Hersteller für die speziellen Käfige und das Zubehör. Schließlich sind Tierversuche auch für die Experimentatoren, z.B. Universitätsmitarbeiter, wichtig, die ihre Forschung leicht mit Tierversuchen aufbauen können – finanziert
vom Steuerzahler.
Ist es ihrer Meinung nach ein Systemfehler?
Absolut. Viele Wissenschaftler müssen sich im Laufe des Studiums an die Tierversuche gewöhnen und verlieren irgendwann ihre Skrupel. Wenn man im Vorhinein Studenten in die tierversuchsfreie Forschung schicken würde, wenn es die Möglichkeit gäbe, auch in diesem Bereich erfolgreich zu sein und viel Geld für die Forschung zu erhalten, dann würden sicherlich viele in diese Richtung gehen … Für die Forschung werden u.a. Affen fixiert, Mäusen Chemikalien zugeführt und Katzen Schädelimplantate eingesetzt. Seit einem Jahr gibt es ein neues Tierschutzgesetz und eine Tierversuchsverordnung.
Haben es die Tiere nun besser als vorher?
Es war ein jahrelanger Prozess, den wir aktiv begleitetet haben. All unsere Argumente wurden jedoch schlicht nicht gehört. Die Tierversuchs-Lobby hat es geschafft, den halbwegs verbesserten Entwurf so stark zu verwässern, sodass die Tierversuchs-Regelungen im Sinne der Tiere ein absoluter Schlag ins Gesicht sind. Allerdings war auch das alte Tierschutzgesetz unzureichend.
Inwiefern?
Die Gesetzes-Formulierungen sind so schwammig, dass man quasi jeden Tierversuch genehmigen lassen kann. Außerdem sind im neuen Tierschutzgesetz die Zwecke, für die Tierversuche erlaubt sind, ausgeweitet worden. Zum Beispiel wird mit unseren Steuergeldern erforscht: „Was passiert im Gehirn von genmanipulierten Mäusen, die beim Geruch von Fuchskot vor Schreck erstarren?“ Das hat meiner Ansicht nach keinerlei klinische Relevanz. Die Ablehnungsquote von Tierversuchen in Deutschland liegt bei unter einem Prozent.
Welche tierversuchsfreien Forschungsmethoden favorisieren Sie?
Es gibt ganz fantastische Computer-Simulationen. Diese werden auch schon vielfach eingesetzt, um Wirkstoffe zu „screenen“, also auszusortieren. Das Tolle an den Computerprogrammen ist, dass sie auf menschlichen Daten beruhen. Ebenso die Biochips, die wie ein Mini-Mensch funktionieren. Hier werden Organe aus Zellen von Leber, Niere, Herz oder Darm nachgebildet und über Kanülen miteinander verbunden, so dass der Stoffwechsel oder z.B. ein potenzielles Herzmittel untersucht werden können. Mit solchen Methoden bekommen sie aussagekräftige Ergebnisse.
Info:
Der Verein Ärzte gegen Tierversuche e.V. fordert die Abschaffung aller Tierversuche und macht sich für die Förderung tierversuchsfreier Forschungsmethoden stark. Er besteht seit 1979. Rund die Hälfte der 1.400 Mitglieder sind Ärzte, Tierärzte, im medizinischen Bereich tätige Naturwissenschaftler und Psychologen. Weitere Infos: www.aerzte-gegen-tierversuche.de