Kulisse, Catering, Anreise: Film- und Fernseh-Produktionen benötigen eine Menge Ressourcen und sind nicht gerade klimafreundlich. Vom 10.–11.5.2023 findet zum dritten Mal die Green Actors Lounge im Haus Ungarn in Berlin statt und bringt nachhaltige Themen und Multiplikator*innen zusammen. Ein Interview mit Gründerin Kerstin Schilly sowie Schauspielerin und Jurymitglied Esther Roling.
Autorin: Susann Döhler
Ihr habt mutig in der Pandemiezeit gegründet. Erzählt mal, was war der Auslöser?
Kerstin: Es ist uns wichtig, dass die Filmbranche sich zusammensetzt und über Nachhaltigkeit in der Filmindustrie diskutiert, sodass sie vorangebracht wird. Das „Green“ von Green Actors bedeutet nicht nur ökologisch, sondern steht auch für Diversität, Gleichberechtigung, soziale Verantwortlichkeit und einen achtsamen Umgang untereinander. Gerade im Schauspiel und im Film hat man eine Vorbildfunktion. Deswegen ist es uns besonders wichtig, eingefahrene Muster zu diskutieren und zu ändern. Im Hintergrund der Green Actors Lounge haben wir ein sehr, sehr wichtiges Komitee, darunter Experten wie Oliver Berben, Dieter Kosslick, Annabelle Mandeng oder Bo Rosenmüller. Der BFFS (der Bundesverband Schauspiel e. V., die Red.) ist Kooperationspartner, ebenso das Medienboard Berlin-Brandenburg und die Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e.V. Letztes Jahr haben wir auch das erste Mal Stipendien für die Ausbildung zum „Green Consultant TV & Film“ verliehen. Und auch in diesem Jahr werden wir erneut Stipendien vergeben.
Esther: Ich kann erfolgreich zurückmelden, dass von fünf Stipendiat*innen vier bereits ausgebildet sind und drei schon Projekte betreut haben.
Das klingt wunderbar! Der ökologische Fußabdruck eines Fernsehfilms kann schon mal mehrere Hundert Tonnen CO2 betragen …
Esther: Bei den ökologischen Mindeststandards, an denen wir mitgearbeitet haben, gibt es 21 Regelungen. Im Moment gilt die Vorgabe: 5 von 21, d.h. von den 21 Regelungen können 5 weggelassen werden. Ab Juli 2024 können 3 von 21 übersprungen werden. Das bedeutet, es sind auch jetzt schon neue Stellschrauben impliziert worden, damit es immer besser wird.
Habt ihr Beispiele? Wie kann man sich eine nachhaltige Filmproduktion am Set vorstellen?
Esther: Jede Produktionsfirma muss eine Erklärung unterzeichnen, dass sie zu diesen nachhaltigen Regelungen produziert. Obligatorisch für eine grüne Filmproduktion ist ein Green Consultant. Da hilft das Stipendium bzw. die Ausbildung sehr und das macht uns sehr stolz, die Stipendien anbieten zu können. Zudem gibt es eine vorlaufende und eine nachlaufende CO2-Bilanz, eine Soll-Bilanz und Ist-Bilanz, mit Abschlussbericht.
An welchen genauen Stellschrauben kann man drehen, um Filme und TV-Produktionen umweltfreundlicher zu machen?
Esther: Ein großer Punkt ist die Energie. Generatoren sollen nicht mehr mit Diesel betrieben werden, sondern es soll auf Batteriegeneratoren umgestellt und Ökostrom verwendet werden. Das größte CO2-transmittierende Feld ist sicherlich der Transport – sowohl von den Personen als auch von der Technik. Es ist z.B. festgelegt, dass das, was unter fünf Stunden zu erreichen ist, mit der Bahn gefahren werden soll. Das ist eine große Stellschraube. Dann ist die Frage, welche Autos eingesetzt werden. Jedes vierte Auto muss (das war früher eine Soll-Geschichte) CO2-reduziert sein. Das hängt aber auch mit der Verfügbarkeit im Markt zusammen. Wenn beispielsweise Technik-Verleiher noch altes Equipment haben, wird es schwierig. Da sind wir beim Thema EU-Fördergelder. Es besteht der Wunsch, dass es europaweite Standards und eben auch Förderungen gibt. Ein weiterer Punkt ist die Unterbringung. 30 Prozent der Unterbringung müssen umweltfreundliche Übernachtungen sein.
Wo kommt der Green Consultant noch ins Spiel?
Esther: Beim Catering beispielsweise. Regional und bio ist ein Muss – ebenso
mindestens ein Veggie-Day. Der Green Consultant betreut die Vor- und die Nachproduktionsphase. Oft gibt es eine Ansprache ans Team und eine Abfrage. Dann wird das Catering der Abfrage entsprechend gestaltet. Wenn das Team sagt, wir wollen nicht nur einen Veggie-Day, sondern wir wollen maximal einen Fleischtag, was viele machen, dann gestaltet es sich anders. Ein fleischfreier Tag ist nur das zu erfüllende Minimum. Die Abfrage umfasst auch andere Punkte wie z.B. Einweggeschirr. Eine kleine, positive Geschichte dazu: Ich habe gestern gedreht. Als Schauspielerin ist es grundsätzlich oft so, dass man abends bzw. nachts nach dem Dreh ins Hotel fährt und genötigt ist, an der Tankstelle irgendwas zu kaufen. Jetzt war es gestern so, dass sie die Catering-Reste in kleine Boxen aufgeteilt hatten. Die Idee: Jeder bekommt ein Paket mit ins Hotel und am nächsten Morgen bringt man die Box dann wieder mit ans Set. So ist ein Kreislauf geschaffen und Lebensmittelverschwendung ausge-
schlossen. Das betrifft natürlich nicht nur das Essen, sondern auch Material, das am Set verwendet wird. Wichtig ist, dass Kulissen und Dekoration im Kreislauf oder nach Leih- oder Mehrweg-Verfahren stattfinden. Verwendung von Holz nur, wenn es das FSC-Siegel trägt. Das Thema Kostüm, was mir so nahe liegt, sollte auf Fundus-, Leih- oder Second-Hand-Basis beruhen. Man muss natürlich bei Zeit- und Budgetdruck aufpassen, dass die Assistenz nicht doch noch eben schnell zehn weiße T-Shirts aus einem Fast-Fashion-Laden holt. Deswegen ist der Schlüssel einer guten Arbeit eines Green Consultants die Vorplanung. Wenn wir über nachhaltige Filmproduktion sprechen, ist es auch noch wichtig zu nennen, dass im Produktionsbüro unnötige Ausdrucke vermieden, recyceltes Papier verwendet und Müll getrennt wird.
Nachhaltigkeit am Set ist das eine, Green Storytelling das andere. Wie
kann man inhaltlich nachhaltiger werden?
Esther: Das ist ein sehr spannendes Thema, bei dem unglaublich viel passiert. Phillip Gassmann, der ebenfalls bei uns im Komitee ist, geht beispielsweise in die Autoren-Werkstätten und bildet dahingehend aus. Es soll ja ein elegantes Storytelling sein. Niemand will plump belehrt werden. Im fiktionalen Bereich gibt es ein klassisches Beispiel: Muss der Kommissar bzw. die Kommissarin mit einem dicken Auto fahren oder kann er/sie auch das Fahrrad nutzen? Was bedeutet das für die Figur? Welche spannenden Handlungsstränge können sich daraus ergeben? Es ist durchaus ein kreativer Prozess. Zwei liebe Kollegen haben jetzt beim „Bergretter“ mitgespielt und da lief im Abspann das „Green Motion“-Label. Das Label wird verliehen, wenn nachweislich nachhaltig produziert wurde. Da kann man mal in Zukunft drauf achten. Im Entertainment-Sektor, wie bei den Kochshows, nimmt das ebenfalls große
Fahrt auf.
Wie steht es um den Kostenfaktor bei einer nachhaltigen Produktion im Vergleich zu einer klassischen Produktion?
Esther: Da würde ich unbedingt den Faktor Zeit mit reinnehmen. Wenn man frühzeitig gut beraten, betreuen und beraten kann und Informationen bekommt, dann ist eine nachhaltige Produktion durchaus kosteneffizienter als eine konventionelle Produktion. Allein auch schon durch die guten Reiseplanung – dann ist das nicht nur CO2-sparend, sondern auch kostengünsiger.
Dieses Jahr verleiht ihr vier Stipendien für die Weiterbildung zum Green Consultant …
Kerstin: Ja, und wir sind ganz stolz, dass dieses Mal die IHK-Akademie München und Oberbayern selbst Partner ist, denn auch durch die Ausbilder-Brille sehen sie es als Erfolgskonzept.
Was findet an den zwei Tagen noch statt?
Kerstin: Wir fangen morgens an. Die Schauspielern und Yoga-Lehrerin Esther Seibt startet mit Kundalini-Yoga. Für uns ist es wichtig, die Veranstaltung mit Achtsamkeit zu beginnen. Tagsüber haben wir spannende und relevante Paneldiskussionen zu unterschiedlichen Themen wie Mental Health, Social Media oder künstliche Intelligenz. Zudem bieten wir Workshops mit u.a. Bo Rosenmüller an. Wir haben eine Lounge für inspirierende Gespräche, wie wir Nachhaltigkeit in der Filmbranche fördern können. Es werden alle mit einem köstlichen, veganen Catering versorgt. Außerdem wird es die Möglichkeit geben, gemeinsam bei Get-togethers mit Musikauftritten den Abend ausklingen zu lassen.
Esther: Was mich sehr freut, ist, dass wir dieses Jahr auch besonders Frauen in den Vordergrund rücken. Es gibt gerade die Initiative „47+“. Das heißt, es geht um mehr Sichtbarkeit von Frauen über 45 bzw. 47. Diese Frauen machen tatsächlich in Deutschland über 21 Millionen Menschen aus. Ich schätze mal, die Zahl hätte man so erst mal nicht vermutet, u.a. weil es überhaupt nicht abgebildet wird in der Gesellschaft. Auch das wird ein großes Thema sein.
Die Green Actors Lounge plädiert dafür, nicht nur Filme und Theater nachhaltiger zu gestalten, sondern auch sozial gerechter …
Esther: So wie wir uns ein Green Storytelling wünschen, hoffen wir auch,
dass, wenn Frauen Rollen spielen, sie nicht immer schnell in die Opferrollen kommen. Ich möchte jetzt keine Trigger setzen, aber das gehört besprochen. Kerstin und ich haben gerade heute wieder darüber gesprochen: das Thema Avatar. Das ist eine ganz andere Thematik, aber diese wird uns alle irgendwann in der Arbeitswelt beeinflussen. In Hollywood hatte früher der Schauspieler als Hauptfigur für sogenannte Motion Captures 30 Drehtage, heute hat er drei. An denen wird er nur gebraucht, um ihn bildtechnisch einzuarbeiten und der Rest wird am Computer gemacht. Da muss man dann auch über Urheberrechte sprechen. Wird bezahlt, dass der Schauspieler am Set ist und dreht oder wie viel er auf dem Bildschirm zu sehen ist? Er hat ja die Rechte an seinem Bild. In Deutschland ist es derzeit so, dass die Rechte mit der Gage abgegolten sind. Da muss man jetzt gucken, das sind zukunftsweisende Themen. Ich finde es toll, dass wir uns mit der Green Actors Lounge austauschen und auch etwas
bewegen können.
Kerstin: Auch in diesem Jahr kann man sich wieder live dazuschalten. Interessierte finden dann alles unter greenactorslounge.com.
Foto: Kerstin Schilly (2.v.l.) und Esther Roling (r.) mit den GAL-Botschafterinnen Luisa-Céline Gaffron (l.) und Luise Befort.