Kreativ & klimafreundlich: Sternekoch Paul Ivić im Interview

Foto: Ingo Pertramer

Mehr als 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen allein in Deutschland jährlich in der Tonne, was fast einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs hierzulande entspricht. Warum wir alte Denkmuster aufbrechen sollten und wie wir Lebensmittel vollständig verwerten, zeigt dir Sternekoch Paul Ivić in seinem neuen Kochbuch „Restlos glücklich“.

Autorin: Susann Döhler

Sie plädieren dafür, Natur, Menschen, Tiere und Lebensmittel wieder mehr wertzuschätzen. Wie wurde Ihnen denn das Ausmaß der Verschwendung selbst
erstmals bewusst?

Unsere Essgewohnheiten haben einen sehr starken Einfluss auf unsere Ökonomie, auf unsere Ökologie, auf unser soziales Verhalten und unsere Gesundheit. Ich bin vor vielen Jahren selbst abgedriftet und habe eine Zeitlang gegen mein Gewissen und meine eigenen Wertvorstellungen gearbeitet. Eine ganze Weile war Profitmaximierung
mein oberstes Qualitätskriterium. Ich habe damals schlechte Qualität eingekauft. Mir
war egal, woher die Lebensmittel kamen, wie und von wem sie produziert wurden.
Es war mir egal, solange der Preis stimmte, weil ich dachte, ich kann jedes Produkt
so manipulieren, dass es schmeckt. Diese Arbeitsweise hat mich physisch belastet und
psychisch krank gemacht. Gott sei Dank habe ich mich davon abwenden können und kann heute meiner Sehnsucht nach dem reinen Geschmack nachgehen. Heute arbeite ich mit der Natur und nicht gegen sie. Das macht mich glücklich.

Was bedeutet eine klimafreundliche Küche für Sie? Wie sieht eine clevere
Resteverwertung aus?

Wir sind eine Konsumgesellschaft und sprechen bei diesem Thema viel von Verzicht – das ist sehr paradox. Meine Eltern und Großeltern waren noch die Generationen, die wirklich verzichten mussten. Die Nachkriegsgeneration hatte wenig und darum waren vor allem Lebensmittel entsprechend wertvoll. Niemand wäre zu diesem Zeitpunkt auf die Idee gekommen, etwas, das noch gut ist, wegzuschmeißen. Darum gibt es auch so viele wunderbare Rezeptkreationen aus dieser Zeit. Man ist kreativ an die Sache herangegangen und hat aus den Resten tolle Gerichte gezaubert. Clevere Resteverwertung beginnt heute schon beim Einkauf und bei der Wertschätzung für Lebensmittel. Wie kaufe ich ein und vor allem was und wie viel kaufe ich ein.

Im Schnitt hat ein Lebensmittel 3500 Kilometer zurückgelegt, bevor es auf
unserem Teller landet. Wird sich das Ihrer Meinung nach in Zukunft ändern?

Ich hoffe, dass sich in dieser Richtung vieles zum Positiven gestalten lässt. Für den Konsumenten selbst ist es mittlerweile auch sehr schwierig geworden, die Unterschiede zu erkennen. Nur weil etwas biologisch und in der Region angebaut wird, heißt es nicht, dass dies automatisch ökologisch auch vertretbar ist. Das gilt auch für Ernährungsweisheiten und die daraus entstehenden industriellen Produkte.

Was wäre ein wichtiger Schritt für Sie?
Wir müssten z.B. mit der Ausbildung und Bewusstseinsschaffung schon in den Kindergärten und Schulen starten. Essen ist ein wesentlicher und essenzieller Bestandteil unseres Lebens, doch wissen wir fast nichts darüber. Hier ist auch die Politik gefordert, dies in unser Bildungssystem zu integrieren. Schulessen muss zu 100 Prozent subventioniert werden und mit frischen, natürlichen, biologischen Zutaten von kompetenten Menschen gekocht werden. Es sollte auch spielerisch erlernt werden,wo unsere Zutaten und Lebensmittel herkommen, wie sie entstehen. Das ist ein dauerhafter lebenslanger Prozess. Nur so können wir die Wertschätzung gegenüber
den Lebensmitteln steigern und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass das, was wir
täglich zu uns nehmen in unserem Körper und mit unserer Energie etwas bewirkt.

Jeder kann etwas tun, um den Planeten zu schützen, sagen Sie. Nehmen wir
die Küche: Viele denken bereits um, verzichten auf Fleisch, auf die Obst-Plastiktüte, verwerten Nudeln vom Vortag, machen Pesto selbst, einige fermentieren. Auf was setzen Sie?

Für mich ist Qualität der Schlüssel. Alles ist ein Kreislauf. Qualität fängt mit einem
gesunden nährstoffreichen und giftfreien Boden an: wo Gemüse und Obst angebaut
wird, wo Permakultur besteht und der Anbau ökologisch, ökonomisch und sozial vertretbar sind. Wo die Produzenten für ihre Arbeit auch entsprechend entlohnt werden – dort beginnt die Qualität. Mit Lebensmitteln, die natürlich sind und nicht denaturiert oder chemisch verändert wurden. Wichtig ist auch, dass wir nicht immer von „Verzicht“ sprechen. Die Natur hat so viel zu bieten, da geht es gar nicht um Verzicht, sondern darum, sich aus dem großen Nahrungsmittelspektrum zu bedienen und dieses riesige Angebot auszuschöpfen.

Darf man damit aber manchmal auch entspannter umgehen?
Auf jeden Fall. Ein Mathematik-Professor meinte einmal zu mir: „Es ist uns mehr
geholfen, wenn jeder Einzelne von uns 20-30 Prozent gibt, als ein einzelner 100 Prozent.“ Das hat mir sehr gefallen und zeigt, dass auch Kleinigkeiten schon etwas bewirken.

INFO:
Paul Ivić zählt zu den besten vegetarischen Köchen der Welt und serviert in seinem Wiener Restaurant Tian unvergessliche VeggieGerichte. Mit seinen Kochbüchern kannst du dir sein Wissen in deine Küche holen. So auch mit „Restlos glücklich“ — einem Kochbuch mit vielen kreativen und köstlichen Rezepten für einen nachhaltigeren Umgang mit unseren Lebensmitteln und unserer Natur.

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