Futurologe Max Thinius ist sich sicher, dass wir in Zukunft anders leben und auch essen werden. Was auf unseren Tellern landen wird und wovon wir unsere Entscheidungen sehr wahrscheinlich abhängig machen, darüber sprechen wir mit ihm im Interview.
Autorin: Susann Döhler
Der Markt an pflanzlichen Produkten boomt, in den sozialen Medien
zelebrieren Menschen den veganen Lifestyle und die Zahl der Veganer*innen,
Vegetarier*innen und Flexitarier*innen steigt immens an. Trotzdem: Wenn man als umweltbewusste*r Veganer*in im Supermarkt an der Kasse steht und vor sich aufs Band guckt und sieht, was durchschnittlich gekauft wird, obwohl die Berichte
aus Massentierhaltungsbetrieben bekannt sind, fragt man sich, wie viel
Nachhaltigkeit und Tierwohl werdenwir tatsächlich in den nächsten Jahren
gesamtgesellschaftlich erleben?
Max Thinius: Zunächst ist wichtig zu verstehen, dass das nicht alles mit uns passiert, sondern dass wir das im Wesentlichen selbst gestalten. Ich werde oft gefragt: „Was wird da auf uns zukommen?“ Man muss differenzieren: Was werden die Menschen gestalten und wie werden die Menschen es gestalten? Hierzu sind wir völlig frei. Das ist das Positive. Das Negative ist: Wir wissen nicht genau, welche Menschen sich wofür entscheiden.
Wovon gehst du als Zukunftsforscheraus?
Max Thinius: Gerade jüngere Zielgruppen, Millennials abwärts, entscheiden sich zunehmend für Nachhaltigkeit. Die Forschung geht davon aus, dass das Thema Tierwohl eine größere Rolle spielen wird. Auch die Aufzucht und das Verzehren werden in den nächsten 15-20 Jahren immer mehr infrage gestellt. In-vitro-Fleisch gewinnt an Bedeutung.Die Menschen werden im Wesentlichen nicht auf Fleisch verzichten, aber das angebotene
Fleisch wird tierleidfreier sein.
Gibt es Prognosen darüber, wann Fleischalternativen wie In-vitro-Fleisch günstiger sein werden als tierisches Fleisch?
Max Thinius: Ja, es gibt verschiedene Studien. Die Forschung rechnet damit, dass zwischen bis 2030 In-vitro-Fleisch den Preis von Filet erreichen kann. Auch hier liegt derzeit noch eine exponentielle Entwicklung zugrunde. Vor einem halben Jahr lag es bei ca. 950 Euro pro Kilo, heute kostet es die Hälfte bis ein Viertel davon. Eine genaue Prognose ist schwierig, weil es keine genauen Marktpreise gibt. Dadurch sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Es wird sicherlich kein Billigfleisch werden– aber das ist vielleicht auch ganz gut so. Und vielleicht geht damit die Erkenntnis
einher, dass wir noch mehr auf unsere Ernährung achten sollen – aber diesbezüglich wird uns die Digitalisierung sicherlich unterstützen.
Inwiefern hilft die Digitalisierung uns dabei?
Max Thinius: Im Moment gibt es noch nicht so viele Daten zu einzelnen Lebensmitteln. Dennoch ist die Idee, einen persönlichen Gesundheitsindex zu schaffen, der zeigt, wie es um die eigene Gesundheit bestellt ist. Dementsprechend werden wir – so ist die Erwartung – andere Essgewohnheiten bekommen.
Wie soll das genau funktionieren? Schließlich führen Tatsachen nicht unbedingt zum Umdenken und zu neuen Verhaltensweisen. Es ist z.B. bekannt, dass Zivilisationskrankheiten im Zusammenhang mit ungesunder Ernährung stehen und wir wissen auch, dass Sport bzw. Bewegung für den Erhalt der Gesundheit zwingend notwendig ist. Trotzdem handelt die Mehrheit wider besseres Wissen.
Max Thinius: Ja, das ist das gleiche, was wir aktuell mit Corona erleben. Die Leute sehen es nicht. Digitalisierung hilft, es sichtbar zu machen. Auf dem Smartphone oder der Armbanduhr wird angezeigt: „Zu bist zu 88 Prozent gesund. Wenn du jetzt Tätigkeit A machst, wirst zu um 2 Prozent gesünder sein, wenn du B machst, wirst du um 2 Prozent weniger gesund sein.“ Doch nicht nur Gesundheits-Apps werden zunehmen, sondern vermutlich auch Apps im Bereich Klimaschutz. Maja Göpel aus dem wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung hatte diesbezüglich eine tolle Idee.