Tierversuche? Nein, danke!

Eigentlich sind in der Europäischen Union Tierversuche für die Kosmetik schon seit Jahren verboten. Problem gelöst? Keineswegs. Wie so oft erweist sich auch diese Maßnahme bei genauerem Hinsehen als gut gemeint, aber schlecht gemacht.

von: Alexander Nym & Bettina Müller

Seit dem Morgengrauen der Menschheit pflegen wir die Kunst der Kosmetik, des Aufhübschens unserer äußeren Erscheinung. Im Lauf der Geschichte haben wir gelernt, dazu Pflanzenextrakte, aber auch tierische (Duft-)Stoffe zu verwenden. Mit der industriellen Massenproduktion hat die Anzahl an natürlichen und synthetischen Inhaltsstoffen ein unüberschaubares Ausmaß angenommen. Um den Wünschen der Kundschaft entgegenzukommen, lässt sich die Schönheitindustrie permanent neue Innovationen einfallen, um ihre verjüngenden, verschönernden, erfrischenden oder schlicht reinigenden Produkte an die Verbraucher*innen zu bringen. Dem Vorsorgeprinzip entsprechend muss jeder neue Artikel auf seine Unschädlichkeit getestet werden – und das schließt qualvolle Versuche an Tieren mit ein, von denen es heißt, sie wären unabdingbar für den Gesundheitsschutz der Verbraucher*innen. Doch tatsächlich tragen Tierversuche nur vermeintlich zur Verbraucher*innensicherheit bei: Aufgrund der sowohl vielfältigen Unterschiede zwischen Mensch und Tier als auch zwischen Tieren untereinander, lassen sich die Versuchsergebnisse nicht einfach auf den Menschen übertragen. Erst wenn sich ein Produkt über Jahrzehnte bewährt hat, ohne beim Menschen zu Schäden zu führen, kann es mit Sicherheit als unbedenklich betrachtet werden.

Die Einfuhr und der Verkauf von neuen, an Tieren getesteten Kosmetikprodukten und -rohstoffen sind zwar seit 2013 in der EU verboten, weshalb Kosmetika auf den ersten Blick nicht mehr in der Tier versuchsstatistik auftauchen, doch der Teufel steckt im Detail: Dieses Verbot betrifft nämlich nur Inhaltsstoffe, die ausschließlich in Kosmetika Verwendung finden, und die fertigen Produkte selbst, so wie sie zum Kauf im Regal stehen. Doch deren Inhaltsstoffe werden zu 90 Prozent auch jenseits von Kosmetikprodukten verarbeitet (z.B. in Reinigungs- oder Nahrungsmitteln), welche sehr wohl tierversuchspflichtig sind – so festgeschrieben in der REACH-Verordnung, welche die EU 2007 erlassen hat, um dem internationalen Wildwuchs der verwendeten Stoffe Herr zu werden. Das Akronym steht für Registrierung, Evaluierung und Autorisation von Chemikalien. Es schreibt vor, alle Altchemikalien, die vor 1981 auf den Markt kamen, zu prüfen, inwiefern sie für Mensch oder Umwelt schädlich sind. Dafür sind auch Tierversuche vorgeschrieben – gegen die sich schon manche Produzent*innen und Wissenschaftler*innen erfolgreich zur Wehr setzten.

Gift für die Schönheit
Zusammengefasst betrifft das Tierversuchsverbot für Kosmetik-Inhaltsstoffe und -Endprodukte also gerade mal ein Zehntel ihrer Bestandteile; für die restlichen 90 Prozent müssen dennoch Tierversuche durchgeführt werden, die unter das Chemikaliengesetz fallen, oder wegen „medizinischer Relevanz“ ebenfalls am Tier getestet werden dürfen bzw. müssen. Ein bekanntes Beispiel für letztere ist das Nervengift Botox, welches zwar kosmetisch verwendet wird, als Botulinumtoxin-Produkt aber als Medikament zugelassen ist (u.a. weil es injiziert und nicht nur aufgetragen wird), weshalb das Tierversuchsverbot für Kosmetika nicht greift. Im Test wird Gruppen von Mäusen das Gift in die Bauhhöhle gespritzt, wobei jede Gruppe eine andere Verdünnung erhält. So wird die Menge ermittelt, bei der genau die Hälfte der Tiere stirbt. Dieses Verfahren wird als LD50-Test bezeichnet (LD50 = lethale Dosis bei 50 Prozent der Tiere). Der Tod durch Botox kann sich über drei oder vier Tage hinziehen und ist mit furchtbaren Qualen verbunden, darunter Sehstörungen, Muskellähmungen und Atemnot. Die Nager ersticken schließlich bei vollem Bewusstsein. Immerhin haben der Marktführer Allergan und die Frankfurter Firma Merz 2011 bzw. 2015 behördliche Zulassungen für selbst entwickelte und validierte Testmethoden mit menschlichen Zellkulturen zur Testung ihrer Botoxprodukte erhalten und damit seither Tierversuche zumindest bei der Chargenprüfung zu großen Teilen ersetzt. Die Tierversuchsreihen für andere Testarten gehen jedoch unvermindert weiter. Denn für die Zulassung neuer Präparate (selbst mit geringfügigen Veränderungen) müssen Tests vorgenommen werden, oder wenn sich im Herstellungsprozess etwas ändert, dann werden Stabilisierungsprüfungen vorgenommen, damit der ungestörte Produktionsprozess gewährleistet werden kann. Solche Prüfungen werden in den ersten fünf Jahren nach der Neuzulassung eines Produkts durchgeführt und bedeuten ein erhöhtes Tierversuchsaufkommen. Erst danach genügt die einfache Chargenprüfung, mit deren Alternativtests es Allergan angeblich gelang, ihre Tierversuche um 80 Prozent zu reduzieren. Merz konnte die Zahl der Tierversuche zwischen 2014 und 2016 von 90.000 auf rund 11.400 senken. Dennoch wurden nach Berechnungen der „Ärzte gegen Tierversuche“ allein in der EU im Jahr 2015 zwischen 350.000 und 412.000 Mäuse allein für Botox-Tests „verbraucht“, davon laut PETA 150.000 in Deutschland.

Was also bringen Verbote?
Die beste Absicht bringt wenig ohne die Möglichkeit ihrer Implementierung. Denn es ist völlig unbekannt, inwieweit das Tierversuchsverbot in den einzelnen EU-Nationen überhaupt durchgesetzt bzw. kontrolliert wird, geschweige denn, wie eff ektiv das geschieht. Zumindest ist seit 2013 auch die Einfuhr tiergetesteter Produkte und Inhaltsstoff e aus NichtEU-Ländern untersagt, wodurch verhindert werden soll, dass Konzerne Tierversuche einfach außerhalb der EU durchführen lassen. Denn machen wir uns nichts vor: Global betrachtet sind Kosmetik-Tierversuche in etwa 80 Prozent aller Länder nicht nur erlaubt, sondern in manchen sogar vorgeschrieben. So sind etwa in China, einem der größten Märkte weltweit, alternative Testmethoden für Kosmetikprodukte nur dann gestattet, wenn die Produkte ausschließlich für den chinesischen Markt hergestellt werden. Das bedeutet, dass alle international erhältlichen Produkte davon ausgenommen sind. Um die weltweit vertriebene Produktpalette zu streamlinen und auf diesem Markt zu bestehen, optimieren die Firmen Produktion und Vermarktung nach international unterschiedlichen Rechtsnormen. Im Klartext: Tierversuchsfreie Erzeugnisse aus Europa müssten also, um in China auf den Markt zu dürfen, erst an Tieren getestet werden. Auch in der Medikamentenherstellung stößt man auf das Argument, mit alternativen Testmethoden arbeiten zu können, dass sich Produkte mit diesen jedoch nicht weltweit vertreiben lassen würden. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb echte Tierversuchsfrei-Labels wie das springende Kaninchen (Leaping Bunny), das Kaninchen unter der schützenden Hand und die PETA-Positivliste Firmen außen vor lassen, die zwar theoretisch ohne Tierversuche auskommen, ihre Produkte aber auch in China verkaufen. Auch die Positivliste des Deutschen Tierschutzbundes wird streng kontrolliert.

Alternativen zu Tierversuchen
Ein Lichtstreif am Horizont ist die Tatsache, dass technische Fortschritte bei manchen altbekannten Ausgangsstoff en Tierversuche durch die Entwicklung von standardisierten Verfahren mit Biochips, Computermodellen oder Zellkulturen bereits überfl üssig gemacht haben, was Abertausenden Kleinnagern, Kaninchen, Hunden und Katzen elende Folterqualen erspart. Eines dieser in-vitro-Verfahren (die in Reagenzglas oder Petrischale stattfi nden) verwendet etwa die Innenhaut bebrüteter Hühnereier, welche zwar Venen und Arterien, aber keine Nerven enthält. Die Haut wird mit der Testsubstanz beträufelt und auf Reaktionen beobachtet. Also nicht vegan, aber zumindest eine gelinde Verbesserung. Für Hautreizungstests sind verschiedene Testsysteme erhältlich, die Zellkulturen menschlicher Haut verwenden. Zellkulturen vom Menschen oder anderen Säugetieren können auch für Toxizitätsprüfungen verwendet werden, anstatt, wie weithin üblich, Mäusen oder Ratten die Testsubstanzen per Magensonde einzufl ößen und die sich anschließenden Symptome zu beobachten. Auch die in REACH vorgesehenen Tests auf Kanzerogenität (Krebs erregungsrisiko) und Mutagenität (erbgutverändernde Eigenschaften), für die je Dutzende oder gar Hunderte Ratten, Mäuse oder Hamster über Jahre vergiftet und dann getötet werden, um ihre Organe bzw. Zellen auf Missbildungen zu untersuchen, könnten schon längst durch hochentwickelte Computermodelle und Zelltests ersetzt werden. Mit der vermehrten Verwendung von In-vitro-Testverfahren (die zudem wesentlich zuverlässigere Daten liefern als Tierversuche) könnte die internationale Ächtung von Tierversuchen an altbekannten Ausgangsstoff en in greifbare Nähe rücken – hätte sich um die 2,8 Millionen Tierversuche pro Jahr allein in Deutschland nicht eine lukrative Service-Industrie entwickelt. Denn die Versuchstiere müssen gezüchtet oder beschaff t, untergebracht und versorgt, gefüttert und gepfl egt werden und nach Beendigung der Versuche auch fachgerecht entsorgt – nicht zuletzt auch bedingt durch den Publish-or-perish-Wahsinn. Neben alternativen Testmethoden gibt es noch einen weiteren Ausweg: Ein weltweites Verbot von Tierversuchen, wie jüngst von der EU gefordert, kann den internationalen, rechtlichen Verwerfungen und Schlupflöchern entgegenwirken. Dass auch Australien gerade erst ein Tierversuchsverbot für Kosmetikprodukte verabschiedet hat, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg. Denn nicht nur, dass die Aussagekraft von Tierversuchen aufgrund ihrer geringen bis unmöglichen Übertragbarkeit auf den Menschen insgesamt zweifelhaft ist; sie spiegeln auch eine gefährliche Sicherheitsillusion vor, die (wie der Contergan-Skandal gezeigt hat) keineswegs bedeuten muss, dass ein Stoff , der im Tierversuch unauff ällig ist, beim Menschen keine Schäden verursachen kann (und umgekehrt).

TIERVERSUCHE – IN ZAHLEN: Die jährlich rund 2,8 Millionen in Deutschland zugelassenen Tierversuche verteilen sich auf die Bereiche: Grundlagenforschung (50 %) gesetzlich vorgeschriebene Routineversuche (27 %) angewandte Forschung (15 %)
– 5,6 % dieser Versuche wurden dem Schweregrad „schwer“ zugeordnet, d.h. sie sind mit besonders hohem Leid und Schmerzen verbunden.

In 2017 wurden für Tierversuche „verwendet“: 1.368.447 Mäuse, 255.449 Ratten, 239.350 Fische, 92.661 Kaninchen, 17.347 Schweine, 3.330 Hunde, 718 Katzen, 3.472 Affen (davon 784 erneut), sowie einzelne Tierarten wie Fledermäuse, Pferde, Gerbils, Eulen, Papagaien, Murmeltiere, Salamander u.v.a.

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