„Du isst kein Fleisch?“ „Nein.“ „Überhaupt gar keins?“ „Nein!“ „Auch kein Hühnchen?“
„Oh, warte, lass mich überlegen … Hühnchen, sind das diese Tiere aus Knetmasse? Oder aus Fleisch? Merkste selber, ne?“ Diese ungläubigen Gesichter, als stünde der Gehörnte persönlich vor ihnen,nachdem man den eigenen Fleischkonsum mit ziemlich genau null komma null beziffert, kennen vermutlich die meisten Veganer*innen.
Zugegeben, das Freak-Potenzial ist aktuell ungleich niedriger als noch vor 15 Jahren. Bewegt man sich heute in einigermaßen urbanem Gebiet, dann ist Fleischabstinenz für die meisten Mitmenschen ähnlich spektakulär wie Staubmäuse unter dem Küchentisch. Aber für ein paar Leute ist das Thema nach wie vor ein Mysterium der ganz besonderen Art – insbesondere, wenn der Gemüsefan ein Mann ist. Fleisch war und ist nämlich nicht nur ein Statussymbol für Reichtum und Wohlstand – auch Männlichkeit glauben viele Leute durch den Biss in abgepackte Fertig-Salami wirksam unterstrichen zu sehen. Tatsächlich war die direkte Reaktion auf mein Outing als Metzger-Schreck schon mal: „Gar kein Fleisch? Aber du bist doch ein Mann!“ Wäre ich schlagfertig gewesen, hätte ich geantwortet „Du trägst blaue Jeans? Aber du bist doch eine Frau!“ oder „Herzlich willkommen im Jahr 2019!“ War ich aber nicht, die groteske Reaktion hatte mich in Schockstarre versetzt und ich arti-
kulierte mit etwas Glück ein paar Grunzlaute. War immerhin schön männlich.
Woher kommt also dieser Unsinn, dass ein echter Mann auch echtes Fleisch zu essen hat? Immer noch von der Werbebotschaft mit der Lebenskraft im Fleisch? Ich bin generell kein großer Fan davon, Dinge explizit als männlich oder unmännlich zu definieren, da kommt bei den meisten Versuchen ohnehin nur reaktionärer Blödsinn raus, gegen den einem zwei Stunden Kreisverkehr mal richtig sinnvoll vorkommen. Womöglich leiten nicht wenige Leute das noch von dieser Jäger-und-Sammler-Nummer ab, als Männer noch unter wildem Gebrüll mit bloßen Händen Mammut-Bullen erwürgt haben. Schön und gut, aber mit derart vermeintlich männlichen Heldentaten hat der/die moderne Fleischesser*in ja nicht mehr allzu viel am Hut, oder? Okay, mancher Mann mag beim Beschaffen der Nahrung toll brüllen und eine prähistorische Körperhygiene an den Tag legen – am Ende liegen da aber trotzdem nur ein paar traurige Bifis vor der Kassiererin. Ich meine, Sachen aus dem Einkaufswagen aufs Band legen, das ist so krass männlich, dass meine kleine Tochter es auch kann.
Es kommt mir auch nicht sonderlich mutig, tapfer oder ehrenhaft vor, ein Tier zu quälen – in der deutschen Tierhaltung leider die Regel – um es dann nach einer traurigen Existenz mittels automatisierter Schlacht-Straßen in Würste zu verwandeln. Tatsächlich vermitteln die meisten Hollywood-Blockbuster, dass der männliche Held eine rechtschaffene Person zu sein hat, Beschützer der Armen und Schwachen, Rächer der Unterdrückten, Schrecken der bornierten Elite. Der Logik zu Folge wäre es ultimativ unmännlich, die Peiniger der unschuldigen Kreatur für ihren Beitrag an 1,99 Euro-Schnitzeln auch noch dafür zu bezahlen, anstatt sie aufzuhalten. Oder es liegt daran, dass ein echt toller Mann auch echt toll viele Muskeln haben muss. Und an die kommt man natürlich nur über den intensiven Konsum tierischer Proteine ran – so steht es in vielen Ernährungsratgebern der 1970er-Jahre. Die sind dann übrigens fast 50 Jahre her, wer heute immer noch glaubt, Tierfleisch sei ein zwingendes Kriterium für Körperkraft, der kann ja mal gegen Patrik Baboumian im Kühlschrank-Weitwurf antreten. Klingt mir alles nicht so männlich, das mit dem Fleisch. Aber selbst wenn: Die Frage ist doch nicht, ob etwas männlich ist, sondern ob es richtig ist.
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