Foto: Walt Hubis
Aus unserem Archiv (Veggie Journal 1/14)
Vom Kaffee-Ersatz zum Küchen-Star – die belgische Zufallsentdeckung Chicorée hat es in sich. Zeit, dass auch hierzulande die Menschen mehr auf den Geschmack kommen!
König(in) der Nacht – der oder die Chicorée ist ein Kind der Dunkelheit. Abseits des Sonnenlichts behält das vitaminreiche Gemüse seine weiße Farbe und entwickelt seinen feinen Geschmack. Um die Herkunft des Chicorées ranken sich verschiedene Mythen, die allesamt nach Belgien führen. Denn hier soll er durch Zufall entdeckt worden sein. Ursprünglich kannte man nur Zichorienwurzeln, aus denen arme Leute sich einen Kaffee-Ersatz brannten. Der ersten Legende nach haben Bauern 1870 nach einer ungewöhnlich reichen Ernte diese Wurzeln im Keller gelagert, wo sie wider Erwarten zarte, blasse und überraschend schmackhafte Sprossen entwickelten. Eine andere Version verlagert die Entdeckung des Pflänzchens vierzig Jahre vor ins Jahr der belgischen Unabhängigkeit, 1830. Im Zuge der Revolution sollen die Bauern im Herzogtum Brabant Angst um ihre Zichorienwurzeln und damit ihren „Kaffee“ bekommen haben. So verdeckten sie diese mit Erde, doch in dem düsteren Versteck wurde es dem Gemüse offenbar zu langweilig und so entwickelte es flugs die knackigen hellen Blätter, die wir heute als Chicorée kennen. Vielleicht – und damit zu Variante Nr. 3 – war es aber auch Monsieur Brèzier, der Chefgärtner des Brüsseler Botanischen Gartens, der 1845 oder 1846 erstmals entdeckte, dass seine im Keller gelagerten Wurzeln nochmals zu treiben begonnen hatten. Sicher ist: Chicorée ist ein noch relativ junger Star am Gemüsehimmel, der sich aus der Wilden Zichorie entwickelt hat, einer in Europa, Nordafrika und dem Orient heimischen Pflanze.
In Frankreich ist er so beliebt, dass das Land beinahe seine gesamte Ernte selbst verspeist, während die Belgier ihre „Erfindung“ auch exportieren und die Deutschen erst langsam auf den Geschmack kommen, vor allem im Winter, wenn das Bedürfnis nach knackiger Frische durch nur wenige andere saisonale Pflänzchen zu befriedigen ist. Theoretisch lässt sich Chicorée das ganze Jahr über anbauen, doch ist er hauptsächlich von Oktober bis April zu haben. Obwohl das Gemüse nicht allzu anspruchsvoll ist, ist sein Anbau leider nicht unaufwendig – ein Züchter braucht jede Menge Geduld. Denn das Ziehen erfolgt in zwei Phasen: Zunächst werden im Mai die Samen als Reihensaat (Abstand ca. 30 Zentimeter) angepflanzt, optimalerweise in einem mittelschweren, humusreichen Boden. Dieser sollte feucht, aber nicht nass gehalten und hin und wieder von Unkraut befreit werden. Kurz vor den ersten Nachtfrösten im Herbst werden die Rüben geerntet, die im Optimalfall einen Durchmesser von ca. drei bis sechs Zentimetern haben. Nach dem vorsichtigen Herausziehen oder Ausgraben lässt man sie einige Tage auf dem Beet liegen und schneidet ihnen dann etwa 4 Zentimeter oberhalb der Rübe die Blätter ab. Damit nun Sprosse aus den Wurzeln treiben können, werden die Wurzeln in Eimer mit Erde gesteckt, lichtundurchlässig abgedeckt, bei ca. 12-18 Grad (z.B. im Keller) gelagert und stets feucht gehalten. Nach etwa acht Wochen folgt Ernte Nr. 2: Die fest verschlossenen Sprossen können von der Rübe geschnitten und schließlich zu raffinierten Gerichten verarbeitet werden. Ob süß oder herzhaft, ob roh, gebraten, gratiniert oder gekocht – Chicorée ist ein Alleskönner. Eine kleine Anregung, welch vielseitige Speisen sich aus den zarten Blättern zaubern lassen, finden Sie auf den nächsten Seiten. Aus der Dunkelheit kommen eben manchmal die strahlendsten Sterne – und aus Belgien nicht nur Pralinen, Waffeln und Pommes Frites.
Informationen:
Familie: Korbblütler (Asteraceae)
Arten: Neben dem bekannten gibt es mittlerweile auch roten Chicorée, für den die herkömmliche Pflanze mit Radicchio gekreuzt wurde. Dieser enthält weniger Bitterstoffe, schmeckt dafür aber etwas würziger als sein grünlicher Bruder.
Nährwert: Kaum ein Gemüse ist so kalorien- und fettarm wie Chicorée – auf gerade mal 16 Kilokalorien bzw. 0,3 Gramm Fett kommt er bei 100 Gramm. Dabei ist er reich an Vitamin A, B und C und unterstützt durch Kalium, Phosphor, Kalzium und Magnesium die Blutbildung, den Muskel- und Nervenstoffwechsel sowie den Knochenaufbau. Außerdem enthält er wertvolle Ballaststoffe und hat durch seine enthaltenen Bitterstoffe sowie den hohen Inulin-Gehalt eine wohltuende Wirkung auf Magen und Darm.
Verwendung: Ob kalt oder warm – das Gemüse ist vielseitig verwendbar, wobei das Wurzelende sowie der harte Strunk vor der Verarbeitung entfernt werden sollten. Roh verfeinert Chicorée Salate und harmoniert hier z.B. gut mit Äpfeln. Gebraten lässt er sich z.B. mit etwas Zucker karamellisieren, gekocht schmeckt er etwa im Kartoffelpüree oder mit einer leckeren Sauce, und im Ofen überbacken überzeugt er als Gratin.
Einkauf: Beschädigte Blätter werden schnell braun – achten Sie darum auf knackig-frische, weiße bis gelbliche, höchstens zartgrüne Kolben. Zu grüner Chicorée war zu lange am Licht und schmeckt unangenehm bitter.
Lagerung: Kühl und dunkel gelagert, z.B. im Gemüsefach des Kühlschranks und am besten in einer Papiertüte mit Löchern, ist Chicorée ca. eine Woche lang haltbar.