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Ausnahmsweise die Fleischsauce mitessen? Sich über ein nicht-veganes Geschenk freuen? Gewissensfragen, die Veggies zu den Feiertagen besonders umtreiben – und elegante Lösungsvorschläge.
Machen wir uns nichts vor: Festtage sind Fettnäpfchenzeit – im wortwörtlichen wie übertragenen Sinne. Es wird deftig geschlemmt, zumeist mit Leuten, die uns zwar seit Jahrzehnten am Herzen liegen, deren Alltag aber teilweise ganz schön weit weg ist von unserem, mit deren Ticks wir uns nur selten oder aus der Ferne auseinandersetzen müssen und deren Gewohnheiten mit den unseren normalerweise nicht kollidieren. Bis wir nun plötzlich gemeinsam glücklich sein sollen (und wollen), inmitten dieser aufeinanderprallenden Welten. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. Gerade das Thema Essen ist eines, das Zündstoff bieten kann, wenn vegane oder vegetarische Lebenseinstellung auf Traditionsbewusstsein in Form des berüchtigten Festtagsbratens trifft. Denn eigentlich sollte die gemeinsame Tafel uns ja verbinden, das gemeinsame Schlemmen für Harmonie sorgen und die vollen Bäuche für gemütliche Zufriedenheit …
In unserer Sonderausgabe VEGAN Nr. 4 (versandkostenfrei erhältlich unter shop.wellmedia.net) hatten wir Ihnen bereits eine Art „Survival-Guide“ für Familienfeiern ans Herz gelegt, in dem wir den Veganer*Innen unter Ihnen Wege aufzeigten, wie Sie Ihrer Entscheidung treu bleiben können, ohne Ihre Lieben vor den Kopf zu stoßen. Doch nicht immer sind es die ande- ren, mit denen wir kleine Kämpfe austragen müssen – manchmal führen auch die Engelchen und Teufelchen in unseren eigenen Köpfen wilde Diskussionen. Darf ich an den Feiertagen Ausnahmen machen? Sollte ich das sogar, um des lieben Friedens Willen? Gibt es für diese oder jene Situation einen Kompromiss? Im Folgenden finden Sie einige typische Situationen, die die meisten Veggies vermutlich so oder so ähnlich schon einmal erlebt haben. Nicht immer lassen sich die Probleme rundum zufriedenstellend lösen und auch hier in der Redaktion gehen die Meinungen mitunter auseinander. Die Antworten entbehren daher nicht einer gewissen Subjektivität, sollen Ihnen in vertrackten Momenten aber dennoch eine kleine Hilfestellung bieten. Lassen Sie uns gerne wissen, wie Sie solche Konflikte lösen würden – oder gelöst haben. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften unter: redaktion@veggiejournal.com
Der Fall:
„Das traditionelle Weihnachtsessen in unserer Familie ist Rinderbraten mit Rotkohl und Klößen. Als Vegetarierin esse ich den Braten natürlich nicht, jedoch die Beilagen – mit Sauce. Letztere ist aber ja auf Basis von Fleischsaft gemacht. Sollte ich sie lieber meiden?“
Tja, wer bestimmt das? In dieser konjunktivischen Form liegt dem Wort „sollen“ eine Art Empfehlung zugrunde und selbst- verständlich gäbe es eine Reihe von Argumenten, mit denen sich eine solche unterstreichen ließe. Sie möchten aus guten Gründen auf Fleisch verzichten, was sie indirekt nicht tun, wenn sie die Sauce essen. Folgt man dieser Sichtweise sollten Sie das also tatsächlich nicht tun. Andererseits ließe sich auch die gegenteilige Empfehlung nachvollziehbar rechtfertigen. Durch Ihr Verhalten tragen Sie Ihren Teil für ein möglichst unkompliziertes Zusammensein bei. Das mag angesichts von Tierleid und Umweltzerstörung erst einmal als schwaches Argument daherkommen. Doch erstens gehört auch unser unmittelbares Umfeld zur Umwelt und bedarf eines gewissen Schutzes – und zweitens könnte Ihre Vorgehensweise sogar „im Großen“ Früchte tragen. Denn auch wenn der momentane Veggie-Boom einen anderen Anschein erweckt: In vielen Köpfen steckt immer noch das Klischee vom verbissenen, genuss-feindlichen Vegetarier, der anderen mit seinen Extrawünschen den Spaß verdirbt. Mit Ihrer Kompromissbereitschaft könnten Sie Sympathiepunkte sammeln – für sich selbst, aber auch für die Idee hinter Ihrer Haltung. Man wird Ihnen vermutlich lieber zuhören und sich bereitwilliger Ihrer Denkweise öffnen. Und so wird das Opfer, das Sie mit Ihrer Inkonsequenz bringen, langfristig vielleicht mehr verändern als ein Beharren auf Ihren Prinzipien. Kurz: Nach meinem Empfinden haben wir es hier mit der berühmten Ausnahme von der Regel zu tun: Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn Sie Saucen, die auf Fleischsaft basieren, meiden – falls Sie sie in diesem Fall aber mitessen und sich weder ekeln noch sonstwie zu unwohl damit fühlen, ist das mit einem Vegetariergewissen durchaus zu vereinbaren.
Der Fall:
„Meine Geschwister möchten meiner Mutter gemeinsam eine teure Ledertasche schenken, von der auch ich weiß, dass sie sich wahnsinnig darüber freuen würde. Allerdings kann ich als Veganerin nicht wirklich hinter dem Geschenk stehen. Soll ich mich trotzdem beteiligen?“
Wie wäre es in diesem Fall mit einem Kompromiss? Ihre Geschwister kaufen die Tasche, Sie sorgen für den Inhalt – edle vegane Kosmetik z.B., ein hübsches, tierproduktfreies Portemonnaie oder einen eleganten Taschenkalender? Das kommt jeden Einzelnen dann zwar etwas teurer und natürlich könnte man das immer noch als ein Zuviel an Akzeptanz des Geschenks interpretieren. Doch signalisieren Sie hier in erster Linie Familienzusammenhalt, Liebe und Respekt vor den Wünschen Ihrer Mutter – ohne dass Sie Ihre eigenen Prinzipien verleugnen müssen. Ein recht gelungener Spagat, wie mir scheint.
Weitere Gewissensfragen und Lösungen gibt’s ab Seite 102 in der Dezember/Januar-Ausgabe 2015/2016. Alle Hefte schicken wir Ihnen portofrei zu.