Renate Künast – Unser täglich Fleisch gib uns heute…

 

 

Text-Auszug:

 

Die Kantinen im Land möchten doch einmal in der Woche einen sogenannten „Veggie Day“ einführen, also freiwillig statt Fleischgerichten vegetarische oder gar vegane Küche anbieten – eine Forderung, der viele Großküchen bereits Folge leisten, in der die BILD-Zeitung aber in gewohnt boulevardesker Manier eine quasi-totalitäre Bevormundung der Bevölkerung auszumachen glaubte, als sie Anfang August titelte: „Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!“ In der Folge übertönte die alsbald hysterische Debatte über Fleisch oder kein Fleisch weniger einfach zu kommunizierende Themen wie Finanzkrise, die Skandale um NSA und NSU und die zunehmende Verschärfung dersozialen Schieflage im Land. Trotz Konzernfilz in den Entscheidungsgremien von Bundesregierung und Ministerien, trotz des Falles Gustl Mollath und der eklatanten Verweigerung klarer Positionsbestimmungen im Bundeskanzleramt wurde das Sommerloch vom Leib-und- Magen-Thema des fleischlosen Kantinentages dominiert, an dem sich die Gemüter schieden. Dabei wird bekanntlich nichts so heiß gegessen, wie es gekocht – oder vielmehr diskutiert – wird, denn die Forderung nach dem Veggie Day ist weder neu noch radikal. Tatsächlich hat die Stadtverwaltung von Bremen schon im Januar 2010 einen fleischfreien Donnerstag eingeführt; andere Städte sind dem Beispiel gefolgt und insbesondere Münster, Marburg und Göttingen gelten als Vorreiter bei der Umkehrung des althergebrachten Prinzips, das in vielen Mensen, Kantinen und anderen Großküchen Anwendung findet: Das Verhältnis von Fleischgerichten zu vegetarischen zumindest einmal in der Woche umzukehren, wenn nicht zugunsten der letzteren komplett auf pflanzlich umzustellen. Aber der Volksmund sagt auch „Liebe geht durch den Magen“, und offenbar liegt die Liebe zum Fleisch den Deutschen näher als die Sorge um den kontinuierlichen Ausverkauf des Rechtsstaats, den Datenschutz oder das soziale Klima im Land. Für passionierte Vegetarier entbehrte die Debatte nicht einer gewissen Skurrilität: Wo man sich aus Mangel an vegetarischen oder veganen Alternativen gerade in Kantinen und Großküchen jahrelang der Notwendigkeit der Selbstversorgung ausgesetzt sah, wundert man sich über den kollektiven Aufschrei, der aus einem gut gemeinten Vorschlag eine staatliche Umerziehungshandlung machen wollte, und man fragt sich: Ist des Deutschen liebstes Wohlstandsmerkmal etwa nicht das Kraftfahrzeug, sondern das Kantinenschnitzel? Leidet das Land noch immer unter dem Nachkriegskomplex, Fleisch sei ein Symbol wiedergewonnener Prosperität? Und sind wir in unseren Konsumgewohnheiten wirklich so konditioniert, dass der Vorschlag, einmal in der Woche kein Fleisch zu sich zu nehmen, einem Sakrileg gleichkommt; einem Frontalangriff auf die verbliebene Wahlfreiheit der Konsumenten?
Szenenwechsel:
Graue Sturmwolken ballen sich bedrohlich am Himmel über dem idyllischen Gemüsegarten „Annalinde“ im Leipziger Stadtteil Plagwitz. Doch der befürchtete Platzregen bleibt aus; nur die obligatorischen Sonnenblumen nicken in der steifen Brise hin und her, als wollten sie Renate Künast willkommen heißen. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ist zu einer Diskussi- onsveranstaltung anläßlich der Debatte um den Veggie Day nach Leipzig gekommen, wird von ihren Parteikolleginnen und -kollegen in Empfang genommen und durch den weitläufigen Garten geführt. Bei dieser Gelegenheit wird hier frisches Gemüse geerntet und später zu schmackhaftem Pizzabelag umfunktioniert, um beim Pressegespräch und der anschließenden, öffentlichen Gesprächsrunde serviert zu werden. Neben der Lokalpresse ist auch das „Veggie Journal“ vertreten und wird von den versammelten Grünen merklich hofiert. Vermutet man in uns etwa Verbündete im Kampf um die politische Vorherrschaft im Land?

 

 

Zeichen des Respekts
Der 57-Jährigen ist die Profipolitikerin im Wahlkampf-Modus deutlich anzumerken, als die versammelten Pressevertreter ihre Fragen an sie stellen: Sie redet laut, deutlich, schnell; bewegt sich souverän von Thema zu Thema, garniert mit Beispielen, zahlreichen Absichtserklärungen und gelegentlichen Seitenhieben gegen die Konkurrenz, aber auch süffisant gegen „Männer, die sich nur dann frei fühlen, wenn sie am Donnerstagnachmittag ein Stück Fleisch reißen können“ – aber zum Glück seien ja nicht alle Männer so. Für Renate Künast ist der Veggie Day ein „Zeichen des Respekts vor der Umwelt und den Tieren sowie für nachhaltigeres Leben, denn wenn alle Menschen weltweit so essen würden wie wir, gäbe es einen eklatanten Mangel an Weideland. Es ist schlicht unmöglich, unseren gegenwärtigen Lebensstil auf Dauer zu erhalten oder gar zu exportieren – um einen Wechsel zu erwirken, müssen wir vor- machen, wie der aussehen soll; wie das geht, sodass der Planet sich auch erholen kann.“ Dazu gehört für sie auch eine „lebenswerte Existenz in der Stadt“, also gerade dort, wo die Infrastruktur der Supermärkte und Ein- kaufszentren oftmals die kleinen Läden mit den lokalen Produkten verdrängt hat und die Möglichkeiten, selber einen Garten zu bewirtschaften, beschränkt sind – Künast lobt die feine Pizza mit dem Belag aus dem selbstgezogenen „Annalinde“-Gemüse und betont, dass der Trend zum Urban Gardening als Beitrag zu einer gesünderen Lebensweise auch und gerade in Ballungsräumen einen Bestandteil jenes Wandels darstellt, den sie und ihre Partei wollen. Dann referiert sie die hinlänglich bekannten Zahlen und Fakten aus dem UN-Welt-Agrarbericht: Von der Abholzung der Regenwälder für Rinderweideland, von Gewässerbelastung und dem Anstieg chemiebedingter Resistenzen, dem Sojaanbau für deutsche Tierfuttermittel in Südamerika und dessen katastrophalen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt, von der Quote von neun Kilo pflanzlichem Eiweiß, das in die Produktion von einem Kilogramm tierischen Eiweiß fließt, und kommt zu dem Schluss: „Diese Art der Landwirtschaft ist nicht haltbar. Was wir brauchen, ist verstärkter ökologischer Anbau und die massive Reduzierung der Tierhaltung.
Die Art und Weise unseres Konsums bedingt ja geradezu die Massentierhaltung, und wenn wir zukünftig irgendwann neun Milliarden Menschen auf der Erde sein werden, müssen wir lernen, nachhaltiger zu leben, denn es werden sich dann nicht alle so ernähren können, wir wir das jetzt tun.“ Auf meine Frage, ob es dann nicht sinnvoller wäre, auf Bundesebene die systematische politische Bekämpfung von Massentierhaltung und Lebensmittelskandalen anzugehen, anstatt nur bescheiden die freiwillige Einführung eines vegetarischen Tages zu wünschen, wie ihn viele Kantinen sowieso schon praktizieren, antwortet sie: „Solche breiten Ansatzmöglichkeiten verfolgen wir auch. Vor allem dort, wo öffentliche Gelder im Spiel sind, besteht Gestaltungsspielraum: Das Baurecht muss geändert werden, sodass die Großvieheinheiten wieder in einem vernünftigen Bezug zur Bodenfläche stehen.“ Als Beispiel nennt sie ein Bundesland, in dem die Grünen mitregieren: „Wir sehen das in Niedersachsen. Die Leute dort haben es satt, dass der Bauernverband nicht die Bauern vertritt, sondern die Industrie. Und warum sollen industrielle Großbetriebe bezuschusst werden, die Massentierhaltung praktizieren und Billigfleisch unter Bedingungen produzieren, die nicht haltbar sind? Wer erwartet, dass die Lasagne  1,29 € kosten soll, darf nicht glauben, dass da Qualitätsfleisch drin ist oder dieses Geld dann Arbeitsplätzen inDeutschland zugute kommt. Wie soll man denn bei einem solchen Preis ernsthaft glauben, dass da viel Geld für die Herstellung übrig bleibt? Da werden Saisonarbeiter aus der Ukraine oder Weissrussland importiert, die in Containern hausen – nur so sind derartige Preise überhaupt möglich. Dahinter stecken Großinvestoren, die in Singapur oder sonstwo sitzen, die ihre Profite so oder so machen, die nicht auf staatliche Förderung angewiesen sind, während die bäuerlichen Familienbetriebe, die nachhaltig und ökologisch verträglich produzieren, vernachlässigt werden.“

 

 

Den ganzen Artikel gibt’s in der Oktober/November-Ausgabe 2013 ab Seite 24!

 

 

 

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