Er wollte höher, schneller, weiter und konsumierte um des Konsums willen. Heute ist Boris Kraemer noch immer ein Überflieger – jedoch mit Sinn und Bedacht. Der Veganismus hat ihm bei seinem Wandel geholfen.
Cordula Hermine nennt Boris Kraemer sich mit Zweitnamen bei Facebook. Seine Profilseite nutzt er halb beruflich, halb privat und sie ist für jeden öffentlich zugänglich. Netzwerken ist ihm wichtig. Vielleicht weil der gelernte Werbekaufmann gerne im Mittelpunkt steht, noch wahrscheinlicher aber, weil er überzeugt ist von einem nachhaltigen, veganen Lifestyle, den er lebt und in die Welt hinaustragen will. Und das tut er eben über Facebook. Aber nicht nur dort, auch sein Online-Magazin Vegan Rebels und seine Arbeit als Yogalehrer sind sein Sprachrohr.
In seinem früheren Leben war von Nachhaltigkeit keine Spur. Er verdiente viel Geld als selbstständiger Werber und gab noch mehr aus. „Ich habe einfach mal so einen Smart gekauft und bar bezahlt“, erzählt der 29-Jährige. Party, Alkohol und Markenklamotten waren ihm wichtig. Dann blieben plötzlich die Aufträge aus, seine Beziehung ging in die Brüche und seine Gesundheit stetig bergab. Nach einer Zeit des Verdrängens sah er langsam ein, dass er etwas ändern musste. Auch, weil der Insolvenzverwalter vor seiner Tür stand.
Er kaufte sich das Buch „Vegan for fit“ von Attila Hildmann, das er einst seiner vegan-interessierten Freundin geschenkt hatte, einfach noch mal. Und fühlte sich dann erst einmal sehr alleine. „Nur weil du jetzt vegan lebst, etwas von positivem Denken erzählst, aufhörst zu trinken und zu rauchen, ändert sich ja nicht gleichzeitig dein Umfeld. Ich war einfach der Sonderling“, berichtet Boris von der Zeit des Umbruchs. Halt gab ihm seine Familie. Sein Bruder bezeichnet ihn als einen Mann der Extreme. Wenn andere Boris als Weltverbesserer titulieren, kann er nur den Kopf schütteln. Für ihn jedenfalls gibt es keine andere Ernährungsform mehr als die vegane. Auch Sport im Allgemeinen und Yoga im Besonderen treiben ihn an und das sieht man auch: Seit der Wandlung hat er 30 Kilo abgenommen, joggt, bouldert, besiegt die Göttinen und Götter der Freeletics – und dokumentiert das natürlich fleißig auf Facebook. Alles happy also? Nicht nur, denn Durchhänger postet er nicht und so lässt er andere im Glauben, er habe keine Probleme. „Die gibt es tatsächlich sehr, sehr selten und wenn, dann heile ich sie mit Yoga und Meditation oder lege mich in die Badewanne, was überhaupt nicht öko ist. Und wenn ich Bock auf vegane Burger, Schokolade oder Zitronensorbet habe oder alles zusammen, dann esse ich das auch“, zählt er grinsend auf.
Seine Erzählungen sind fließend, seine Stimme klingt weich, warm und männlich – eine ungewöhnliche, aber überzeugende Mischung. Boris ist es gewohnt, vor vielen Menschen zu sprechen und das kommt seinen Ernährungs-Workshops, die er über Vegan Rebels anbietet, natürlich zugute. Noch etwas ist anders in seinem neuen Leben: Er macht pünktlich Feierabend. Zumindest in seinem Hauptjob als Projektleiter Digital. „Dabei war ich früher einer, der es richtig geil fand, Nächte durchzuarbeiten und anschließend noch eine Präsentation zu halten“, erinnert er sich.
Heute folgt er lieber seiner Intuition und liegt damit genau richtig. Kürzlich lief er seinen ersten Marathon – dank Yoga und Meditation sogar in einer besseren Zeit, als er es sich gewünscht hatte. Bei der Frage, was er mit 2000 geschenkten Euro anstellen würde, überlegt er lange. Sehr lange. Als Antwort kommt dann etwas Funktionales wie eine Trinkblase für seinen Laufrucksack oder ein Wasserfilter. Oder dass er seinen Hund einpacken und die Alpen erwandern würde. Man könnte ihn als vielseitig interessiert beschreiben, als einen, den schnell die Lust packt Neues auszuprobieren. Aber er ist auch einer, dessen Hunger schnell wieder gestillt ist. Und dann treibt es ihn wieder weiter und immer an seiner Seite ist der schokobraune Labrador George.
Kolumnist Jan Hegenberg („Der Graslutscher“), TV-Veggie–Proband Oliver Legel, Veggie-Restaurant-Besitzer Rolf Hiltl: Sie und noch viele weitere Veggies erzählten uns ihre persönlichen Lebensgeschichten. Sind Sie vegetarisch bzw. vegan, männlich, haben Spannendes erlebt und würden gerne porträtiert werden? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an redaktion@veggiejournal.de. Wir freuen uns auf Sie. Dieses Männer-Portrait stammt aus der Veggie-Journal-Ausgabe 01/15.